Bericht | USA | Abfallentsorgung, Recycling
In den USA wächst das Interesse am chemischen Recycling
Befürworter sehen chemisches Recycling als eine Schlüsseltechnologie gegen Plastikmüll. Die Investitionen steigen und deutsche Unternehmen sind mit von der Partie.
18.11.2024
Von Heiko Stumpf | San Francisco
Die USA stehen vor einem gewaltigen Plastikproblem. Mit steigenden Abfallmengen und niedrigen Recyclingraten landen immer mehr Kunststoffe auf Deponien oder in der Umwelt. Um der Plastikflut entgegenzuwirken, rücken verstärkt innovative Behandlungs- und Rückgewinnungsmethoden in den Mittelpunkt, wie etwa das chemische Recycling.
Chemisches Recycling bezeichnet Verfahren, bei denen Plastikabfälle mithilfe von Hitze oder Chemikalien in ihre molekularen Grundbausteine aufgespalten werden. Diese können anschließend zur Herstellung von Kunststoffen oder anderen Produkten verwendet werden.
Kapazitäten wachsen bis 2030 rasant
Noch steht das chemische Recycling am Anfang seiner Markteroberung. Im Jahr 2024 sind in den USA nur etwa zehn Anlagen mit einer Gesamtkapazität von rund 450.000 Tonnen in Betrieb. "Rechnet man alle bereits angekündigten Neuprojekte zusammen, dann dürften sich die Kapazitäten bis 2029 fast verzehnfachen", sagt Joshua Dill, Plastic Recycling Analyst bei dem Marktforschungsinstitut ICIS. Dadurch könnten die USA bis Ende des Jahrzehnts über chemische Recyclingkapazitäten in Höhe von etwa 5 Millionen Tonnen verfügen.
Dabei kommen auch erste Großvorhaben in Gang. So will das kalifornische Unternehmen Brightmark rund 950 Millionen US-Dollar (US$) am Standort Thomaston im Bundesstaat Georgia investieren. Die geplante Anlage ist darauf ausgelegt, jährlich etwa 400.000 Tonnen Plastikabfall chemisch zu recyceln. Der Baustart soll im Jahr 2025 erfolgen.
Auch Eastman Chemicals zählt zu den Vorreitern. Ein geplantes Projekt in Longview, Texas, soll insgesamt 1,2 Milliarden US$ kosten und eine jährliche Kapazität von etwa 110.000 Tonnen aufweisen. Die US-Regierung unterstützt das Vorhaben mit rund 375 Millionen US$ an Fördermitteln. Die Mittel stammen aus dem Industrial Demonstrations Program des Department of Energy. Für Eastman Chemicals wäre dies bereits das zweite Projekt in den USA. Bereits im März 2024 ging eine Anlage in Kingsport, Tennessee in Betrieb, welche ebenfalls über eine Kapazität von 110.000 Tonnen pro Jahr verfügt.
Der Chemieriese Dow will bis 2030 chemische Recyclingkapazitäten in Höhe von 600.000 Tonnen pro Jahr schaffen, wofür mehrere Projekte in den USA und Europa in Planung sind. ExxonMobil strebt bis 2027 eine Gesamtkapazität von 500.000 Tonnen pro Jahr an.
Akteur/Projekt | Standort | Kapazität (in t pro Jahr) | geplante Fertigstellung | Verfahren |
---|---|---|---|---|
Nexus Circular/Braskem | Chicago, Illinois | bis zu 120.000 t pro Jahr | bis spätestens 2030 | Pyrolyse |
New Hope Energy/TotalEnergies | Tyler, Texas | 150.000 t pro Jahr | 2025 | Pyrolyse |
ExxonMobil | Baton Rouge, Louisiana | n/a | 2027 | Pyrolyse |
Brightmark | Thomaston, Georgia | 400.000 t pro Jahr | 2027 | Pyrolyse |
245Recycle | Großraum Houston, Texas | 400.000 t pro Jahr | 2027 | Pyrolyse |
revalyu | Statesboro, Georgia | bis zu 400.000 t pro Jahr | Ende 2025 | Glykolyse |
Cyclyx International/Agilyx/ExxonMobil | Houston, Texas | 136.000 t pro Jahr | Mitte 2025 | Pyrolyse |
Eastman Chemicals | Longview, Texas | 110.000 t pro Jahr | 2027 | Methanolyse |
Freepoint Eco-Systems | Eloy, Arizona | 180.000 t pro Jahr | 2026 | Pyrolyse |
Empire Green Generation | Follansbee, West Virgina | bis zu 180.000 t pro Jahr | Ende 2025 | Pyrolyse |
Rückstand beim Recycling: USA brauchen dringend neue Ansätze
Der Bedarf für neue Lösungen ist enorm, denn beim Recycling liegen die USA im Vergleich zu Europa um Jahrzehnte zurück. Bereits die aktuelle Datengrundlage ist unzureichend. So verfügt die nationale Umweltbehörde EPA lediglich über Statistiken, die bis 2018 reichen.
Die OECD beziffert den im Jahr 2019 in den Vereinigten Staaten erzeugten Kunststoffabfall über alle Abfallströme hinweg auf rund 73 Millionen Tonnen. Mit 220 Kilogramm pro Kopf ist dies das Fünffache des weltweiten Durchschnitts. Bis 2040 könnte das jährliche Aufkommen an Plastikabfall auf etwa 100 Millionen Tonnen ansteigen.
Das ganze Dilemma zeigt sich in den Berechnungen des National Renewable Energy Laboratory (NREL), wonach im Jahr 2019 nur etwa 5 Prozent der Plastikabfälle recycelt wurden. Angesichts dieser Herausforderungen reichen traditionelle mechanische Recyclingmethoden nicht aus, um die Wiederverwertungsraten zu erhöhen.
"Chemisches Recycling entwickelt sich zu einer ergänzenden Lösung, insbesondere für schwer wiederverwertbare Materialien wie Weichplastikverpackungen oder gemischte und verschmutzte Plastikabfälle", so Joshua Dill.
Kaum Fortschritte beim Kunststoffrecycling
Im Rahmen des National Recycling Goal 2030 formuliert die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) das Ziel, die landesweite Recyclingquote auf 50 Prozent zu erhöhen (letzter Stand 2018: 32 Prozent). Dabei gibt es jedoch kein spezifisches Recyclingziel für einzelne Materialien wie Kunststoffe.
Für Kunststoffe ist deshalb der U.S. Plastics Pact von Bedeutung. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Initiative, bei der sich beteiligte Unternehmen und Organisationen dazu verpflichten, gemeinsame Ziele zur Reduzierung von Kunststoffabfällen und zur Förderung des Recyclings zu verfolgen.
Der erzielte Fortschritt fällt unzureichend aus. Die ursprünglich für 2025 geplanten Ziele wurden deshalb kurzerhand auf das Jahr 2030 verschoben. Nun gibt es fünf Jahre extra, um Plastik nachhaltiger machen.
Ziele des U.S. Plastics Pact für 2030:
- 50 Prozent der Kunststoffverpackungen sollen effektiv recycelt oder kompostiert werden (Stand 2022: 13,3 Prozent).
- 100 Prozent der Verpackungen sollen wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar sein (Stand 2022: 47,7 Prozent).
- 30 Prozent des Verpackungsinhalts sollen aus recyceltem oder biobasiertem Material bestehen (Stand 2022: 9,4 Prozent).
- 30 Prozent Reduzierung des Einsatzes von neuen Kunststoffen.
- Problematische und unnötige Kunststoffverpackungen sollen eliminiert werden.
Am U.S. Plastics Pact sind Unternehmen wie General Mills, Nestlé, Kraft Heinz oder Coca-Cola beteiligt.
Kritik bleibt nicht aus, aber deutsche Unternehmen setzen positive Akzente
Das häufigste Verfahren im chemischen Recycling ist die Pyrolyse. Etwa 80 Prozent der in den USA geplanten Projekte setzen auf diese Methode, konstatiert Joshua Dill. Bei der Pyrolyse werden Kunststoffabfälle unter hohen Temperaturen und ohne Sauerstoff erhitzt, sodass sie sich in kleinere Bestandteile wie Öl, Gas oder Wachs zersetzen.
Insbesondere bei Umweltorganisationen steht die Pyrolyse jedoch in der Kritik. Der Hauptvorwurf ist, dass das bei dem Verfahren entstehende Pyrolyseöl häufig als Kraftstoff und nicht als Rohstoff für neue chemische Produkte verwendet wird, weshalb kein geschlossener Materialkreislauf entsteht.
Ludwigshafener Konzern mit Vorreiterrolle
Dass es auch anders geht, beweist BASF. Zusammen mit dem Partner Total Energies nahm der Chemieries Anfang 2024 das ChemCycling-Projekt in Port Arthur, Texas, in Betrieb. Dabei werden chemische Grundbausteine, die durch Pyrolyse aus Kunststoffabfällen gewonnen wurden, in existierende Produktionsanlagen eingespeist. Für neue Produkte wie Hochleistungskunststoffe oder Polyurethan reduziert sich dadurch die Menge an fossilen Ausgangsstoffen.
Deutsche Zertifizierung für chemische Recyclingprojekte
Um zu zertifizieren, dass die Produkte des Pyrolyseprozesses für die Herstellung neuer chemischer Produkte und nicht primär als Brennstoffe genutzt werden, nutzen einige Projektverantwortliche den in Deutschland entwickelten ISSC Plus-Standard. Dazu zählt neben der BASF auch das Unternehmen Freepoint Eco-Systems mit einem Vorhaben in Arizona. Verwaltet wird der Standard von ISSC Systems mit Sitz in Köln.
Neben der Pyrolyse gibt eine Reihe weiterer Verfahren für chemisches Recycling. Das deutsche Unternehmen Revalyu Ressources setzte im Oktober 2023 den Spatenstich für ein 200 Millionen US$ teures Projekt in Statesboro, Georgia, bei dem das Glykolyseverfahren angewendet wird. Mit Hilfe des Lösungsmittels Glykol werden dabei PET-Flaschen in ihre Grundbestandteile zerlegt, um sie danach wiederzuverwenden.
Politik bei Förderung gespalten
Bislang wird das chemische Recycling vor allem in den sogenannten "roten" Bundesstaaten gefördert, die mehrheitlich von den Republikanern regiert werden. Insgesamt haben 25 US-Staaten Gesetze erlassen, die chemisches Recycling als einen verarbeitenden Prozess und nicht als eine Form der Abfallentsorgung einstufen. Dadurch können die Anlagen leichter genehmigt und betrieben werden. Zudem verbessert sich der Zugang zu staatlichen Fördermitteln.
Demokratisch regierte "blaue" Bundesstaaten wie Kalifornien setzen hingegen stärker auf die erweiterte Produzentenverantwortung (EPR) als Teil ihrer Recyclingstrategien für Kunststoffe. Dadurch werden die Hersteller angehalten, die Recyclingquote zu erhöhen und Plastikabfälle zu reduzieren. Die Frage, ob chemisches Recycling als gültiger Weg zur Erfüllung von Recyclingquoten anerkannt wird, ist noch offen.