Wirtschaftsumfeld | USA | Regionalstruktur
Tennessee ist bekannt für Countrymusik und Elektrofahrzeuge
Deutsche Unternehmen sehen sich in wirtschaftlich unsicheren Zeiten verstärkt nach Export- und Investitionsmöglichkeiten in den USA um. Tennessee rückt dabei in den Fokus.
23.11.2022
Von Ullrich Umann | Washington, D.C.
Der US-Bundesstaat Tennessee ist in den letzten zwei Jahrzehnten für deutsche Hersteller interessant geworden. Das gilt für Produzenten von Kühl- und Klimatechnik sowie von Anlagen und Ausrüstungen für Industrie und Logistik. Aber auch Verarbeiter von Lebensmitteln und Getränken haben sich hier niedergelassen.
Überraschend schnell war der Aufstieg Tennessees bei der Montage von Elektrofahrzeugen. Zunächst überführte das Nissan-Werk am Standort Smyrna den elektrisch betriebenen Leaf in die Serienfertigung. Das war 2013, in der Frühphase des sich damals ankündigenden Elektrofahrzeugalters. Volkswagen (VW) zog im Werk am Standort Chattanooga 2021 mit dem Serienstart des ID.4 nach. Ab 2023 wird diese Serienfertigung erweitert.
Tennessee produziert Elektrofahrzeuge für den Weltmarkt
Dieser rasanten Entwicklung ausländischer Fahrzeuganbieter können und wollen die beiden US-Markenhersteller GM und Ford nicht nachstehen und bereiten in ihren Werken in Tennessee die Serienfertigung des Cadillac LYRIQ ab 2023 sowie des elektrisch betriebenen F150 ab 2025 vor. GM investiert für diesen Zweck am Standort Spring Hill 2 Milliarden US-Dollar (US$) und Ford zusammen mit seinem Joint-Venture-Partner SK Innovations in Memphis 5,6 Milliarden US$. Im Ergebnis werden gleich vier große Automobilhersteller neue Elektrofahrzeuge aus Tennessee heraus liefern. Landesweit ist das für diese Antriebsart einmalig.
Hersteller | Standort | Beschäftigtenzahl | Modell |
---|---|---|---|
Nissan | Smyrna | 6.700 | Leaf |
VW | Chattanooga | 3.800 | ID.4 |
GM | Spring Hill | 3.175 | Cadillac LYRIO |
Ford | Memphis | 5.800 | electric F150 |
Dieser Boom blieb deutschen Zulieferern und Dienstleistern für das Elektrozeitalter im Straßenverkehr nicht verborgen. Zumal in dem Bundesstaat neben der schnell wachsenden Automobilindustrie entlang der Autobahnen und Bundesstraßen zahlreiche Ladesäulen sowie Tankstellen für Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff eingerichtet werden. Um die Einrichtung kümmern sich das seit 1933 bestehende Staatsunternehmen Tennessee Valley Authority sowie die öffentlich und privat getragene Initiative Drive Electric Tennessee.
Zusätzlich stellen Kommunen wie Chattanooga, Knoxville, Nashville, Kingsport und Memphis ihre städtischen Fahrzeug- und Busflotten auf Elektroantrieb um. Finanziell unterstützt werden sie dabei vom US-Energieministerium (U.S. Department of Energy) im Rahmen des Programms Clean Cities Coalition. Zur Flottenumstellung benötigen einige der Städte örtlich angepasstes Know-how sowie geeignete Fahrzeuge und Lademöglichkeiten.
Deutscher Mittelstand entdeckt den Südosten der USA für sich
Die Deutsch-Amerikanische Handelskammer Atlanta (AHK USA-Süd) nahm die breite Entwicklung hin zur E-Mobility in Tennessee zum Anlass, deutsche und amerikanische Branchenfirmen und Vertreter der öffentlichen Verwaltung an einen Gesprächstisch zu bringen. In Nashville veranstaltete die AHK am 15. November 2022 das Forum Transatlantic Electric Mobility. Aus Deutschland nahmen Vertreter der Unternehmen teil, die sich im Rahmen einer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützten und von der AHK USA-Süd organisierten Markteintrittsreise zum Thema e-Mobility im Südosten der USA aufhielten: Drei Bond, EJOT, Heraeus Battery Technology, Kayser Automotive Systems, Coneva, Heidelberg Amperfied, Voitas und Witt Solutions.
Neben zahlreichen Geschäftsmöglichkeiten bietet Tennessee, wie andere US-Bundesstaaten auch, Ansiedlungshilfen an. "Für deutsche Unternehmen, die sich in unserem Bundesstaat niederlassen möchten, entwickelte das Department of Economic and Community Development of Tennessee ein soft landing-Programm“, teilte Chassen Haynes, Senior Director of Business Development, Germany Trade & Invest mit. "Fallweise reisen wir nach Deutschland, um am Stammsitz des Investoren den Arbeitskräftebedarf und die besonderen Anforderungen an einen potenziellen Investitionsstandort in Tennessee zu ermitteln und erste Details zu besprechen."
Der Umfang und die Laufzeit der Anreize für Investoren hängen unter anderem von der Anzahl der entstehenden Arbeitsplätze, der Höhe der Investition oder der Branche ab. "Wir verhandeln die Investitionshilfen unseres Bundesstaates mit jedem Unternehmen individuell", konkretisierte Chassen Haynes, "und sind dabei für Wünsche offen und kompromissbereit. Unsere Haushaltslage lässt das zu."
Cluster und moderate Löhne ziehen Investoren an
Nach Angaben der Wirtschaftsförderung Tennessees (Department of Economic and Community Development) haben mehr als 100 deutsche Firmenniederlassungen in dem Bundesstaat bereits mehr als 5 Milliarden US$ investiert und beschäftigen aktuell 16.000 Arbeitskräfte. Zu den größten Investoren gehören VW, ThyssenKrupp, Wacker Chemie und Develey Senf & Feinkost. Vom Investitionswert her ist Deutschland das zweitwichtigste Herkunftsland im Bundesstaat nach Japan und vor Großbritannien sowie Kanada.
Wird die Zahl der Firmenniederlassungen als Kriterium genommen, liegt Deutschland mit 40 Unternehmen auf Platz drei, nach Japan mit 47 und Kanada mit 42. Aus Deutschland haben sich zum Beispiel zwölf Hersteller von Anlagen, Apparaturen und Industrieausrüstungen, sechs Anbieter von Nahrungsmitteln und Getränken, fünf Logistikfirmen, fünf Automobil- und Zulieferunternehmen, drei Chemiebetriebe sowie zwei Metallverarbeiter in Tennessee niedergelassen. Aktuell laufende deutsche Investitionen konzentrieren sich auf die künftige Herstellung von Antriebsbatterien, Kühl- und Klimatechnik, Maschinen und Ausrüstungen, Automobilteilen sowie den Ausbau der Logistikinfrastruktur.
Neben den schnell wachsenden Clustern im Fahrzeug- und Anlagenbau, der Chemie-, Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie sowie in der Logistikwirtschaft zieht Tennessee Direktinvestitionen vor allem mit den vorherrschenden moderaten Lohnkosten, der Verfügbarkeit von günstigem Bauland sowie mit großzügigen Ansiedlungshilfen an. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass Fachkräfte für die sich ansiedelnden Unternehmen vielfach erst lokal ausgebildet werden müssen. Einen Schwerpunkt legen die Behörden daher auf Schulungs- und Qualifizierungsbeihilfen für potenzielle Mitarbeitende in den ansiedlungsbereiten Unternehmen.