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Special | Slowakei | 20 Jahre EU-Osterweiterung

Slowakei: Tatra-Tiger braucht neues Kraftfutter

Die Slowakei galt als Spätzünder auf dem Weg in die EU – hat dann nach dem Beitritt aber besonders viel Tempo gemacht. Für weitere Erfolge muss Bratislava Reformen anpacken.

Von Gerit Schulze | Bratislava

Am Anfang sah alles nach einem Fehlstart aus: Noch in den 1990er Jahren hagelte es Kritik an der niedrigen Privatisierungsquote und den Demokratiedefiziten. Erst im Frühjahr 2000 begannen die EU-Beitrittsgespräche. Trotzdem schaffte es die Slowakei pünktlich in den Kreis der neuen Mitglieder. Und gleich zum Start 2004 sorgte die Regierung für einen Paukenschlag: Eine Flat Tax von 19 Prozent bei der Einkommen-, Körperschaft- und Mehrwertsteuer. Die Steuerreform war ein voller Erfolg und lockte Investoren an, die Wirtschaft nahm Fahrt auf, die Staatseinnahmen stiegen kräftig und schnell war vom "Tatra-Tiger" die Rede.

Heute ist die Slowakei ein fester Bestandteil der Europäischen Union. Durch den Beitritt zur Eurozone zementierte sie 2009 ihr Bekenntnis zur EU. Die Wirtschaft wächst im langjährigen Durchschnitt 1 Prozentpunkt schneller als im Nachbarland Tschechien. Die Wolkenkratzer-Skyline in Bratislava zeugt vom wirtschaftlichen Aufschwung der Tatrarepublik.

Weltmeistertitel dank der Autoindustrie

Kernpfeiler des slowakischen Wirtschaftswunders ist die Automobilindustrie. Vier große Hersteller betreiben Fabriken im Land: Volkswagen, Kia, Stellantis und Jaguar Land Rover. Ein fünfter - Volvo Cars - zieht derzeit seine Produktion bei Košice hoch. Mit ihnen kamen die großen Zulieferer ins Land und schufen Arbeitsplätze.

180 Pkw

pro 1.000 Einwohner produziert die Slowakei jährlich.

Heute hat die Slowakei weltweit die höchste Pro-Kopf-Produktion an Pkw. Die Branche trägt mehr als ein Zehntel zum Bruttoinlandsprodukt und über 40 Prozent zu den Exporterlösen bei. Genau das birgt jedoch Gefahren, denn die Transformation der Automobilbranche hin zu emissionsfreien Antriebssystemen steht noch aus. Und die Jahresproduktion stagniert seit neun Jahren bei rund 1 Million Fahrzeugen.

Zwar siedelten sich Investoren auch in anderen Branchen an (siehe Interview mit dem deutschen Unternehmer Alois Hogh). Doch die Wertschöpfung in den Montagehallen ist meist gering. Sektoren wie Metallverarbeitung, Maschinenbau sowie Gummi- und Kunststoffherstellung produzieren häufig für die Fahrzeugindustrie und zementieren damit die Abhängigkeit von dieser Branche.

Mit kaum einem anderen Land ist die deutsche Wirtschaft so eng verwoben wie mit der Slowakei - dies bindet uns aneinander für künftige Herausforderungen: Nachhaltigkeit, funktionierende Lieferketten ohne einseitige Abhängigkeiten, Zukunftsfähigkeit durch Forschung und Entwicklung und Fachkräftesicherung, um nur einige zu nennen. Die Europäische Union ist hierfür unser gemeinsamer Bezugsrahmen oder besser unsere gemeinsame Heimat.

Barbara Wolf Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in der Slowakischen Republik

Zu wenig Patente und Forschungsausgaben

Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs ist es der Slowakei in 20 Jahren EU-Mitgliedschaft kaum gelungen, Innovationen und neue Technologien auf den Weg zu bringen. Weniger als 1 Prozent des BIP geben Staat und Unternehmen für Forschung und Entwicklung aus. Damit gehört das Land zu den Schlusslichtern in Europa. Nachbar Tschechien kommt auf einen doppelt so hohen Wert.

Im European Innovation Scoreboard für 2023 wird die Slowakei in der untersten Kategorie als "Emerging Innovator" einsortiert. Der Rückstand zum EU-Durchschnitt wächst, weil die Slowaken zu wenig Patente anmelden. Negativ bewerten die Autoren der Europäischen Kommission die geringe Mobilität von Forschenden, die niedrigen Forschungsausgaben im Unternehmenssektor und die fehlende Unterstützung der Regierung.

Auch Start-ups bekommen kaum Schützenhilfe. Da steuerliche Anreize fehlen, halten sich Risikokapitalgeber zurück. Der kleine Binnenmarkt ist als Absatzgebiet für innovative Neuentwicklungen zu klein. Technische Fachkräfte wandern oft ins Ausland ab und gründen dort. Im "Global Startup Ecosystem Index 2023" von StartupBlink findet sich die Slowakei weit hinten auf Platz 65. Seit fünf Jahren in Folge ist das Land in dem Ranking abgerutscht.

Viele Hausaufgaben für die neue Regierung

Nach zwei Jahrzehnten in der EU steht die Slowakei damit an einem Scheidepunkt. Damit der einstige Tigerstaat sein hohes Wirtschaftswachstum der Vergangenheit in Zukunft fortsetzen kann, müssen einige Weichen neu gestellt werden. Ob die neue Regierung unter dem alten Premierminister Robert Fico dazu bereit ist, bleibt unklar. In den ersten Monaten ihrer Amtszeit lenkte sie viel Energie auf eine Justizreform, die die Unabhängigkeit der Staatsanwälte beschneidet und die Bekämpfung der Korruption erschwert. 

58,5 %

könnte die Staatsverschuldung Ende 2024 betragen.

Die Koalition kündigte an, wieder stärker in die Wirtschaft einzugreifen. Sie will Immobilienbesitz und Banken stärker besteuern. Obendrein muss der Haushalt konsolidiert werden, denn die Staatsverschuldung steuert auf 60 Prozent zu, was die Europäische Kommission bereits kritisierte.

Trotzdem gibt es Wachstumspotenzial. Auch im Regierungsprogramm des Fico-Kabinetts hat der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen einen festen Platz, wenngleich die Kernkraft der Eckpfeiler der Stromversorgung bleibt. Außerdem plant das Kabinett eine "Dekade der Digitalisierung". Ziel ist es, die Bevölkerung für digitale Technologien zu qualifizieren, eine sichere Infrastruktur aufzubauen und die Verwaltung zu digitalisieren.

Geld für die Vorhaben gibt es unter anderem aus Brüssel. Bis 2030 kann die Slowakei über 25 Milliarden Euro aus europäischen Fördertöpfen ausgeben. Schwerpunkte sind Verkehr, Gesundheit und Klimaschutzprojekte. Premier Fico will die Planungsprozesse für staatliche Großinvestitionen beschleunigen. Konkret geht es um den Ausbau der Autobahnen, Schienenwege und um Wasserkraftwerke. Davon könnte vor allem der bislang vernachlässigte Osten des Landes profitieren.

Die Slowakei ist zu einem engen Wirtschaftspartner Deutschlands geworden. Sie gehört zu den Top-10-Lieferländern der deutschen Automotive-Lieferkette. Die Bundesrepublik ist außerdem der größte Beschaffungsmarkt der Slowakei. Wachstumspotenzial sehen wir vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Automatisierung sowie Energie- und Umwelttechnik. Problematisch ist dagegen die Situation am Arbeitsmarkt - Fachkräfte sind schwer zu finden, die Löhne steigen kräftig.

Peter Lazar Präsident der AHK Slowakei

Chancen bei Energiespeicherung und Wasserstoff

Schon jetzt entwickelt sich die Ostslowakei zum Zentrum der Energiespeicherung. Dabei helfen Pumpspeicherkraftwerke und große Batterien. Ebenso sorgt das Land als Produktionsstandort für Batterien für Schlagzeilen.

Auch beim Thema Wasserstoff will die Slowakei ihr Potenzial ausschöpfen. Zwei Vorhaben zum Transport und zur Speicherung des Energieträgers haben eine Förderzusage im Rahmen der europäischen IPCEI-Projekte (Important Project of Common European Interest) bekommen. Der Ausbau des Pipelinenetzes könnte Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe auslösen.

Vielleicht wird die Slowakei also auch bei Zukunftstechnologien zum Spätzünder, der dann aber wieder umso schneller durchstartet. Für deutsche Unternehmen bleibt das Land auf jeden Fall ein interessanter Geschäftspartner.

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