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Branche kompakt | Vereinigtes Königreich | Chemische Industrie

Branchenstruktur

Die Chemieindustrie sieht ihre Forderungen nach einer wegweisenden Industriepolitik nicht erfüllt. Dafür gibt es Fortschritte bei UK REACH.

Von Marc Lehnfeld | London

Die Chemiewirtschaft im Vereinigten Königreich zählt laut dem Branchenverband Chemical Industries Association (CIA) mehr als 4.400 Unternehmen mit 151.000 Beschäftigten und indirekt rund 500.000 abhängigen Arbeitsplätzen. Etwa 7 Prozent des Umsatzes der britischen Industrie entfiel 2021 auf die Chemieindustrie, so die Daten des britischen Statistikamts. Den größten Umsatzanteil der Branche generierte mit über 44 Prozent die Herstellung von Basischemikalien, darunter vor allem Kunststoffe in Primärform. Die Herstellung von Seifen und Reinigungsmitteln erwirtschaftete den zweitgrößten Umsatzanteil des Chemiesektors.

Die britische Chemieindustrie verfügt über mehrere Cluster im ganzen Land. Das schottische petrochemische Cluster Grangemouth westlich von Edinburgh ist über eine Ethylen-Pipeline mit den Chemieclustern Chemicals Northwest in Nordwestengland und dem North East of England Process Industry Cluster (einschließlich des Chemieparks Wilton International) in Teesside verbunden. Ein weiteres nennenswertes Cluster ist die Region Humber mit der Initiative Catch und dem Saltend Chemical Park an der Ostküste Englands.

Auch deutsche Unternehmen sind im britischen Chemiesektor aktiv. Dazu gehören zum Beispiel BASF, Beiersdorf, Bayer CropScience, Evonik, Henkel, Lanxess oder der Chemiegroßhändler Brenntag. Der globale Industriegasmarktführer Linde plc mit Sitz in Irland ist über seine Tochtergesellschaft BOC im Königreich tätig.

Wichtige Branchenunternehmen im Vereinigten KönigreichUmsatz in Millionen Euro, Veränderung in Prozent

Unternehmen

Umsatz 2022 1), 2)

Veränderung 2022/20213)

Sparte

Ineos Group Holdings S.A.

20.927

11,2

Petrochemie, Spezialchemie, Ölprodukte
Johnson Matthey Plc 4)

17.511

6,8

Spezialchemie
AkzoNobel N.V. 

10.846

13,1

Farben, Spezialchemie
Synthomer Plc

2.803

11,5

Spezialchemie
Croda International Plc 5)

2.450

10,6

Spezialchemie
Boc Ltd  (Tochterunternehmen von Linde Plc)

1.283

17,2

Industriegase
BASF Plc

1.196

16,6

Chemikalien, Kunststoffe
Elementis Plc 

699

3,8

Spezialchemie
Ensus UK Ltd 5) (Tochterunternehmen von Südzucker AG)

390

32,0

unter anderem Bioethanol-Kraftstoff
Synthite Ltd

88

31,9

Grundchemikalien
1 Globaler Umsatz; 2 Bundesbank-Wechselkurs 2022: 1 Euro = 0,85276 Pfund Sterling (£); 3 Veränderung auf Basis der Landeswährung; 4 Geschäftsjahr endend 31. März 2023; 5 Geschäftsjahr endend 28 Februar 2023.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

Rede des Finanzministers überzeugt Chemieindustrie nicht

Der Industrieverband CIA zeigt sich nach dem Spring Statement des Finanzministers Jeremy Hunt enttäuscht. Steve Elliot, Chief Executive Officer des Verbandes, begrüßt zwar die Erweiterung der Vollabschreibungen von Investitionen (full expensing) auf Leasinggüter, bezeichnet sie aber auch als "begrenzten und lange überfälligen Schritt". Der Branchenverband verweist auf den harten Wettbewerb im Vergleich zu anderen Standorten und vermisst eine Industriestrategie für das Land und die Chemiebranche im Speziellen. 

Mit der Forderung nach einer Industriestrategie ist CIA nicht allein. Auch die Branchenverbände der Fertigungs- und Automobilindustrie fordern von der aktuellen Regierung schon lange eine verbindliche Industriepolitik. Ende November 2023 veröffentlichte das Department for Business and Trade (DBT) zwar einen Advanced Manufacturing Plan, dieser umfasst die Chemieindustrie aber nur teilweise.

Dabei verweist DBT auf die Bedeutung der Chemieindustrie für die Gesamtwirtschaft und betont ihre zentrale Rolle bei der Dekarbonisierung, Zukunftsfeldern wie CCUS, Wasserstoff, Batterieforschung und der gesamten Lieferkette für Elektroautos. CIA kritisiert hingegen weiterhin, dass "eine klare Richtung der Industriepolitik und ein unterstützender Finanzrahmen immer noch fehlt" und fordert explizit eine "stabile und realistische Industriestrategie". Angesichts der wahrscheinlich im Herbst stattfindenden Unterhauswahlen sind die Erwartungen an bedeutende Impulse durch die aktuelle Regierung hingegen gering. 

Produktionswert ausgewählter chemischer Branchen im Vereinigten KönigreichIn Millionen Euro, Veränderung und Marktanteil in Prozent

Sparte / Herstellung von

2022 1)

Veränderung 2022/20212)

Marktanteil 3)

Industriegasen 

1.125

38,1

5,4

Farbstoffen und Pigmenten

1.406

-1,3

6,8

sonstigen anorganischen Grundstoffen und Chemikalien

2.056

24,4

9,9

sonstigen organischen Grundstoffen und Chemikalien

2.974

5,6

14,3

Düngemitteln und Stickstoffverbindungen

2.427

36

11,7

Kunststoffen in Primärform

6.196

12,7

29,8

Schädlingsbekämpfung- und Pflanzenschutzmitteln

821

-2

3,9

Anstrichmitteln und Druckfarben

3.800

-15,8

18,3

Insgesamt

20.805

7,6

100

1 durchschnittlicher Referenzkurs der Europäischen Zentralbank 2022: 1 Euro = 0,85276 Pfund Sterling (£); 2 auf Basis der Landeswährung; 3 Anteil am Gesamtumsatz der Sparte.Quelle: Office for National Statistics (ONS) 2023

Übergangsregelungen für das UK-REACH-Regime werden verlängert

In Bewegung ist auch noch der regulatorische Übergangsprozess vom EU-REACH- in das UK-REACH-Regime. Mit der erneuten Verlängerung der Registrierungsfristen für UK-REACH um drei Jahre auf 2026, 2028 und 2030 wurde Zeit geschaffen, um das neue System effizienter zu gestalten. Das britische System soll für Anmelder vor allem günstiger werden, um die finanzielle Doppelbelastung für Registrierungen in EU- und UK-REACH zu verringern. Denn trotz britischem EU-Austritt werden viele Chemieunternehmen auf der Insel weiterhin ihre Produkte auf dem wichtigen europäischen Absatzmarkt registrieren. Der Mehraufwand wird auf umgerechnet etwa 1,5 bis 4 Milliarden Euro geschätzt. 

Deutsche Chemieunternehmen wie BASF weisen außerdem auf die daraus wachsende Barriere für den britischen Produktionsstandort hin. Schließlich müssen nicht nur chemische Endprodukte, sondern auch Zwischenerzeugnisse für die Weiterverarbeitung auf der Insel importiert und damit via UK REACH registriert werden. 

Das zuständige Department for Environment Food and Rural Affairs (Defra) hat nach einer Konsultationsrunde mit der Industrie nun in einem aktuellen Policy Paper (UK REACH alternative transitional registration model) die Grundzüge für ein UK REACH System vorgestellt. Diesem fehlen aber noch zahlreiche Details. Daher soll noch Anfang 2024 eine weitere Konsultationsrunde angestoßen werden, um den neuen Regulierungsrahmen zu entwerfen. Auch in diesem Fall könnten die anstehenden Unterhauswahlen und ein nach aktueller Stimmungslage möglicher Regierungswechsel ein vereinfachtes Registrierungsverfahren begünstigen.

Dekarbonisierung der Industrie lockt Chemieriesen

Neue Investitionen zielen unter anderem auf die Dekarbonisierung der Industrie, bei der sich die britischen Chemieunternehmen verpflichtet haben, ihre CO₂-Emissionen bis 2034 um 50 Prozent zu reduzieren. Entlang des allgemeinen Dekarbonisierungspfads der Industrie wollen die Chemiehersteller ihre Emissionen bis 2050 um 90 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2018 senken. 

Die britische Regierung setzt auf die CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS) und lockt damit auch die großen Chemieunternehmen in einen neuen Wachstumsmarkt (siehe auch Markttrends). Zu ihnen gehört unter anderem der weltweit größte Hersteller von Katalysatoren und Spezialchemieproduzent Johnson Matthey (JM), der seine Abscheidungstechnologie in die Wasserstoffproduktionsanlage von H2H Saltend einbauen wird. Im Februar 2024 wurde bekannt, dass JM-Konkurrent BASF wiederum seine OASE-Technologie für die Abscheidung der blauen Wasserstoffproduktion im H2Teesside-Projekt liefern wird.

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