Branchen | Vereinigtes Königreich | Automobilsektor
Marktchancen
Der elektromobile Wandel wird bei den Neuregistrierungen immer sichtbarer. Der Staat will aber mit zwei Maßnahmen das Tempo erhöhen und stößt damit bei Herstellern auf Widerstände.
13.09.2023
Von Marc Lehnfeld | London
Pkw-Nachfrage steigt 2023 deutlich
Der britische Automarkt zieht im Jahr 2023 wieder deutlich an. Der Branchenverband The Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) erwartet in diesem Jahr mit 1,847 Millionen Pkw-Neuregistrierungen einen Anstieg um 14,4 Prozent gegenüber dem von weltweiten Lieferengpässen geprägten, schwachen Vorjahr. Bewahrheitet sich die Prognose, lägen die Neuwagenverkäufe trotzdem noch rund ein Fünftel unter dem Vor-Corona-Hoch von über 2,3 Millionen Registrierungen.
In den ersten sieben Monaten 2023 übertreffen die Neuregistrierungen gar die Prognose mit einem Wachstum von fast 20 Prozent. Volkswagen baut seine Marktführerschaft gegenüber Ford nicht nur aus, sondern wächst mit 40 Prozent doppelt so schnell wie der Gesamtmarkt. Immer sichtbarer wird die elektromobile Trendwende. Die Nachfrage nach Vollelektrofahrzeugen steigt um 38 Prozent, während Diesel-Pkw-Zulassungen um 17 Prozent fallen. Etwas hinter dem Markt wachsen Benziner-Neuzulassungen noch um 13 Prozent.
2020 | 2021 | 2022 | |
---|---|---|---|
Pkw | 1.631.064 | 1.647.181 | 1.614.063 |
Kleintransporter bis 3,5t | 292.657 | 355.380 | 282.139 |
Lkw | 39.918 | 43.151 | 45.503 |
davon Lkw unter 6,0t | 6.757 | 5.988 | 4.787 |
davon Lkw ab 6,0t | 32.918 | 37.163 | 40.716 |
Busse | 3.996 | 3.467 | 3.411 |
Staat will Verkauf von Verbrennungsmotoren verbieten
Der britische Pkw-Markt wandelt sich nicht nur aus der veränderten Nachfrage. Auch der Staat erhöht den Druck auf die Hersteller, vor allem durch zwei Maßnahmen. Der Verkauf von Pkw mit konventionellem Verbrennungsmotor soll schon ab 2030 verboten werden und ab 2035 sollen auch Hybridfahrzeuge nicht mehr verkauft werden. Das Verbot ist zwar gesetzlich noch nicht verankert. Premierminister Rishi Sunak bekräftigte aber an der bereits vor einigen Jahren getroffenen Entscheidung festzuhalten, nachdem eine Gruppe konservativer Unterhausabgeordneter im Juli 2023 Bedenken gegen die Pläne hervorbrachte.
Elektro-Pkw fahren bereits auf britischen Straßen. Das sind etwa 3,1 Prozent aller Pkw.
Zusätzlich flankiert die Regierung das Verbrenner-Aus mit bindenden Verkaufsquoten für Elektroautos zu koppeln. Im geplanten "Zero Emission Vehicle (ZEV) Mandate" sollen schon ab 2024 Hersteller verpflichtet werden, mindestens 22 Prozent ihrer Verkäufe mit Elektrofahrzeugen zu erreichen. Diese Quote soll dann jährlich bis auf 100 Prozent im Jahr 2035 angehoben werden. Wer die Vorgabe nicht erfüllt, zahlt eine Strafe von 15.000 Pfund beziehungsweise etwa 17.250 Euro pro Fahrzeug. Obwohl das ZEV-Mandat schon im nächsten Jahr gelten soll, wurde es noch nicht beschlossen. Die Ende Mai abgeschlossene öffentliche Anhörung des Verkehrsministeriums zeigt aber bereits die Planungsrichtung der Regierung.
Noch keine Top 10-Marke erfüllt ZEV-Mandat
Zahlreiche Hersteller kritisieren das ZEV-Mandat und warnen vor dem Verlust der Attraktivität des Automobilstandorts. Unter den zehn populärsten Marken 2022 überstieg noch keine die 22-Prozent-Quote. Im Schnitt erreichen sie erst knapp 13 Prozent. Am nächsten liegt BMW mit einem Anteil von 19,5 Prozent, gefolgt von Hyundai (17,9 Prozent) und Mercedes (17,7 Prozent). Angesichts der rasant wachsenden Nachfrage nach Elektro-Pkw und deutlich sinkender Verbrennerregistrierungen haben sie gute Chancen das ZEV-Mandat zu erfüllen.
Die Lage bei den Herstellern auf der Insel selbst ist extrem gespalten. Der größte Hersteller Nissan erreicht erst 13,4 Prozent, bei Jaguar Land Rover (JLR) befindet sich Jaguar mit 37,5 Prozent zwar auf einem sicheren Pfad, aber die größere Marke Land Rover hängt mit gar keinem Vollelektromodell deutlich hinterher. Bei Mini machen die emissionsfreien Pkw 16,1 Prozent aus, Toyota und Bentley fallen wiederum fast komplett aus.
Hersteller | Neuzulassungen | Veränderung gegenüber der Vorperiode | Marktanteil | Anteil emissionsfreier Pkw *⁾ |
---|---|---|---|---|
Volkswagen | 131.850 | -10,8 | 8,2 | 14,5 |
Ford | 126.826 | 9,1 | 7,9 | 3,5 |
Audi | 110.144 | -6,6 | 6,8 | 12,0 |
BMW | 108.624 | -6,8 | 6,7 | 19,5 |
Toyota | 102.181 | 1,3 | 6,3 | 0,4 |
Kia | 100.191 | 10,3 | 6,2 | 16,4 |
Vauxhall | 83.691 | -8,5 | 5,2 | 13,5 |
Mercedes-Benz | 80.910 | -17,4 | 5,0 | 17,7 |
Hyundai | 80.419 | 15,4 | 5,0 | 17,9 |
Nissan | 76.711 | 12,0 | 4,8 | 13,4 |
Der Entwurf zum ZEV-Mandat sieht allerdings auch einige Erleichterungen vor. So sollen die Hersteller beispielsweise ihre Registrierungen, die die ZEV-Quote über- oder unterschreiten, mit den Folgejahren verrechnen können. Vergleichbar mit dem Emissionshandel sollen Pkw-Produzenten außerdem die Möglichkeit haben ihr "Guthaben" an andere Hersteller weiterzugeben. Sich über originär guthabenreiche Vollelektrohersteller wie Tesla oder Polestar zur Vermeidung von Strafen eine mandatskonforme Bilanz zu erkaufen, dürfte hingegen allen Herstellern grauen.
Von der Range Anxiety zur Charging Anxiety
Problematisch sieht der britische Automobilverband SMMT nicht nur das ZEV-Mandat, sondern auch die langsame Entwicklung der Ladeinfrastruktur im Land. Die "Charge Anxiety“ habe die "Range Anxiety“ bereits abgelöst. Bei Kunden ist also die Angst, keine Ladesäule zu finden, größer als die mittlerweile deutlich aufgeholte Reichweite der Batterie selbst.
Mithilfe staatlicher Förderungen will die Regierung den Aufbau von rund 6.000 Schnellladepunkten bis 2035 an allen englischen Autobahnen und den wichtigsten Hauptstraßen antreiben. Der mit umgerechnet über 1 Milliarde Euro ausgestattete Rapid Charging Fund zündet allerdings bisher noch nicht. Das Zwischenziel von mindestens sechs Schnelladepunkten an jeder englischen Raststätte zum Ende diesen Jahres wird das Land nach Einschätzung von RAC verfehlen.