Wirtschaftsumfeld | Vietnam | Wirtschaftsstruktur
Die exportorientierte Industrie bestimmt die Wirtschaftsstruktur
Vietnam gewinnt für deutsche Unternehmen an Attraktivität als Absatz- und Beschaffungsmarkt. Vor Ort produzierende, ausländische Exportgrößen dominieren weiter die Wirtschaft.
15.11.2023
Von Lisa Flatten | Hanoi
Gerade im Rahmen ihrer "China Plus One"-Strategie bauen ausländische Firmen weiter Produktionsstätten in Vietnam auf. Damit profitieren sie von den — im regionalen Vergleich — geringen Löhnen, guten Investitionsbedingungen und den Freihandelsabkommen. Vor allem japanische und südkoreanische Firmen haben in den letzten Jahren den Weg für ausländische Engagements geebnet. Auch chinesische Firmen öffnen Produktionsstätten, um so möglichen Sanktionen im Handelsstreit mit den USA zu entgehen und ihre Industriekunden im Land zu bedienen. Mittlerweile ziehen auch deutsche Firmen nach.
Vietnam ist zu einem der weltweit wichtigsten Produktionsstandorte für Elektronik, Kleidung, Schuhe und Möbel geworden. Mit einer Exportquote von mehr als 90 Prozent spielt die Ausfuhr eine bedeutende Rolle für die Wirtschaft. Dies macht das Land anfällig für globale Wirtschaftskrisen.
Der Staat in Südostasien wird zunehmend interessant für deutsche Firmen als Absatz- und Beschaffungsmarkt. Die kaufkräftige Mittelschicht in Vietnam hat Nachholbedarf und gibt ihr Einkommen mittlerweile auch für nicht lebensnotwendige Güter aus. Die deutschen Exporte nach Vietnam haben sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt, sie liegen mit 3,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 aber noch unter dem Niveau von 2021, als die Ausfuhren 3,7 Milliarden Euro betrugen.
Zahlreiche Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement; FTA) machen den Standort attraktiv. Das FTA zwischen Vietnam und der EU verbessert den Marktzugang für deutsche Anbieter von Konsumgütern, die von Vietnamesen sehr geschätzt werden. Auch wird der südostasiatische Staat als Beschaffungsmarkt für deutsche Einkäufer interessanter.
Die Regierung verfolgt den ehrgeizigen Plan, aus Vietnam bis 2045 eine Industrienation zu machen. Gleichzeitig ist das Land stark vom Klimawandel betroffen und setzt daher hohe Ziele im Bereich Klimaschutz. Besonders im Energiesektor sind große Investitionen erforderlich, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Der Energiesektor hängt derzeit noch stark von der Kohleverstromung ab, und der Übergang zu Gas und erneuerbaren Energien dürfte in den kommenden Jahrzehnten interessante Geschäftschancen eröffnen. Gleiches gilt für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Die Regierung will von 2021 bis 2025 wertmäßig dreimal so viel investieren wie in dem Fünfjahreszeitraum davor.
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Hochmoderne Exporteure treiben das Wirtschaftswachstum
Strukturell bestehen große Unterschiede in Vietnams Wirtschaft. Getrieben durch die Investitionen ostasiatischer – vor allem japanischer und südkoreanischer – Firmen, hat sich in Teilen eine hochmoderne Geschäfts- und Industriekultur etabliert. Diese Firmen produzieren größtenteils für den globalen Export. Einzelne große vietnamesische Privatunternehmen wie Vingroup oder das Software- und Telekommunikationsunternehmen FPT können, gerade in Hinblick auf Digitalisierung, international ebenfalls mithalten.
Auf der anderen Seite mangelt es noch an einer stärkeren Einbindung kleinerer und mittlerer lokaler Unternehmen in den Produktionskreislauf der ausländischen Exportgrößen. Vorprodukte werden weiterhin vor allem aus China importiert. Vietnamesischen Firmen fehlt es vielfach noch an Arbeitsproduktivität, technischer Ausstattung und Know-how, um die für den Weltmarkt benötigte Qualität zu liefern. Vor allem getrieben durch die ostasiatischen Investitionen entwickelt sich in manchen Bereichen jedoch langsam eine lokale Zulieferindustrie – so etwa in der Metall- und Kunststoffverarbeitung sowie im Elektroniksektor.
Samsung ist seit Jahren größter einzelner Treiber für den vietnamesischen Export. Doch mit sinkender internationaler Nachfrage gingen Samsungs Auslieferungen alleine im 1. Quartal 2023 um 22,5 Prozent zurück, vor allem in der Kategorie Smartphones. Dies ist ein Beispiel für die Anfälligkeit der vietnamesischen Wirtschaft bei globalen Nachfragerückgängen und wird sich dementsprechend in der Exportstatistik für das Jahr 2023 niederschlagen.
Verarbeitende Industrie wird wichtiger für die Wirtschaft
Die Regierung fördert die fortlaufende Industrialisierung und hat wiederholt Reformen für ein verbessertes Investitionsumfeld angekündigt. Die Modernisierung der staatlichen Industriegiganten kommt dagegen bisher nur schleppend voran.
Der Primärsektor hat zugunsten der verarbeitenden Industrie in den letzten fünf Jahren an Wichtigkeit für die vietnamesische Wirtschaft verloren. Das verarbeitende Gewerbe legte von 16 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2018 auf rund 25 Prozent im Jahr 2022 zu. Vor allem die exportorientierte Industrie ist ein wesentlicher Träger des Wirtschaftswachstums geworden. Doch die Dienstleistungsbranche ist weiterhin der wichtigste Sektor – sowohl für die Wirtschaft, als auch für die Beschäftigung. Insbesondere der Groß- und Einzelhandel, die Logistikbranche wie auch das Finanzwesen boomen.
Sektoren | Anteil am BIP 2022 | Anteil an den Beschäftigten 2022 |
---|---|---|
Dienstleistungen | 41,3 | 38,9 |
Verarbeitendes Gewerbe | 24,8 | 23,3 |
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 11,9 | 27,5 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 2,8 | 0,4 |
Baugewerbe | 6,2 | 9,2 |
Energieversorgung | 4,0 | 0,3 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 0,5 | 0,4 |
Sonstige | 8,5 | - |
Nord- und Zentralvietnam gewinnen wirtschaftlich an Bedeutung
Vietnam verfügt über drei große Wirtschaftszentren. Der Süden rund um Ho-Chi-Minh-Stadt ist der wirtschaftliche Mittelpunkt des Landes. Jedoch sind die Löhne hier im Landesvergleich relativ hoch, es herrscht Platzmangel und auch der Zugang zu Häfen ist schwierig. Dennoch ist der Standort weiter beliebt bei deutschen Firmen. Der Norden um Hanoi und Haiphong hat in den vergangenen Jahren an Attraktivität gewonnen – vor allem für die Elektronik- und Kfz-Industrie. Sowohl der Tiefseehafen in Haiphong als auch die seit kurzem fertiggestellte Straßenverbindung nach China binden die Region an die Weltmärkte an.
Ein drittes Zentrum bildet sich in Zentralvietnam rund um Da Nang und Hoi An heraus. Die günstigen Löhne locken vor allem japanische, südkoreanische und amerikanische Firmen. Das Mekong-Delta ganz im Süden ist die Kornkammer des Landes und Hauptregion für die Fischereiwirtschaft.
Gebiet | BIP pro Kopf (in Euro) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|
Red River Delta (inkl. Hanoi und Haiphong) | 4.863 | 23,5 |
Nordmittelgebiet und mittlere Küstenregion (inkl. Da Nang) | 2.741 | 20,7 |
Südosten (inkl. Ho-Chi-Minh-Stadt) | 6.192 | 18,8 |
Mekong River Delta | 2.583 | 17,4 |