Chinesische Hersteller wollen den Markt über E-Autos erobern und investieren. Brasiliens Kfz-Industrie hofft unter der neuen Regierung auf Fördermaßnahmen.
Halbleiterkrise bremst die Erholung
Die globale Versorgungskrise mit Halbleitern wirkt sich stark auf die Kfz-Industrie in Brasilien aus. Laut Herstellerverband Anfavea fiel deswegen schon 2021 die Produktion um etwa 370.000 Kfz niedriger aus. Im vergangenen Jahr wurden wenigstens 14 Betriebe vorübergehend geschlossen und rund 250.000 Fahrzeuge weniger produziert als vorgesehen. Die Versorgungslage hat sich lange noch nicht stabilisiert. Im Februar 2023 setzte Volkswagen wegen fehlender Kfz-Teile den Betrieb in drei der landesweit vier Werke für drei Wochen aus.
Nach dem Zuwachs um 11,6 Prozent im Vorjahr steigerten die Autobauer die Produktion im Jahr 2022 um 5,4 Prozent. Mit voraussichtlich über 2,4 Millionen Kfz produzierte der Sektor immer noch 18 Prozent weniger als im Vorkrisenjahr 2019. Zum Jahresbeginn erwartete Anfavea für das Gesamtjahr 2023 ein Wachstum von nur 2,2 Prozent.
Kfz-Produktion in Brasilien (Stückzahl)
Kategorie | 2020 | 2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 |
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Pkw | 1.607.175 | 1.707.851 | 1.823.674 | 6,8 |
Leichte Nutzfahrzeuge | 297.539 | 362.711 | 352.505 | -2,8 |
Lkw | 90.936 | 158.810 | 161.816 | 1,9 |
Busse | 18.405 | 18.881 | 31.664 | 67,7 |
Insgesamt | 2.014.055 | 2.248.253 | 2.369.659 | 5,4 |
Quelle: Anfavea 2023
Chinesische Hersteller drängen auf die Überholspur
Traditionelle Hersteller zögern in Brasilien die Produktion von E-Autos hinaus und können dadurch Marktanteile an die aufkommenden chinesischen Player verlieren. Mitte 2021 übernahm Great Wall Motors (GWM) das Mercedes-Benz-Werk in Iracemápolis (São Paulo). Der chinesische Kfz-Hersteller will in Brasilien Sport Utility Vehicles (SUV) und Pickups mit reinem Elektro- und mit Hybridantrieb produzieren. Bis Mitte 2023 will GWM rund 50 Vertriebs- und Servicestandorte einrichten.
GWM ist nach JAC und BYD der dritte chinesische Kfz-Anbieter im brasilianischen Markt. BYD profilierte sich in Brasilien als Marktführer für Elektrobusse und gehört zu den Top-5-Anbietern von E-Autos. Nun will Chinas größter E-Autobauer auch die Pkw-Produktion vor Ort aufnehmen. Zur Auswahl stehen stillgelegte Fabriken in Camaçari (Bahia) und Campo Largo (Paraná).
Ende 2022 startete Mercedes-Benz mit dem eO500U die Elektrobus-Fertigung in São Bernardo do Campo (São Paulo). Allein die Stadt São Paulo benötigt bis 2024 rund 2.600 E-Busse, um ihre Klimaziele zu erreichen. Auf dieses Marktpotenzial setzt auch HIGER BUS. Der chinesische Bushersteller unterzeichnete im Juli 2022 eine Absichtserklärung für den Bau einer Fabrik im Hafenkomplex Pecém (Ceará).
Produktion und Vertrieb von E-Autos in Brasilien
Hersteller | Vertrieb von Kfz mit Elektroantrieb | Produktion vor Ort | Produktionsausbau geplant |
Stellantis | Elektro und Hybrid | Verbrennungsmotor | Ethanol-Hybrid |
Volkswagen | Markteinführung von sechs E-Modellen bis Ende 2023 | Verbrennungsmotor | Ethanol-Hybrid |
General Motors | Elektro | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Toyota | Hybrid | Verbrennungsmotor und Ethanol-Hybrid | Ethanol-Hybrid |
Renault | Elektro | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Nissan | Elektro | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Honda | Hybrid | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
CAOA Chery | Elektro und Hybrid | Verbrennungsmotor und Ethanol-Hybrid | Ethanol-Hybrid |
Hyundai | - | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
BMW | Elektro und Hybrid | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Audi | Elektro und Hybrid | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Land Rover | Hybrid | Verbrennungsmotor und Hybrid | Hybrid |
Mitsubishi | - | Verbrennungsmotor | unbestimmt |
Quelle: Wirtschaftszeitung Valor Econômico 2022; Recherchen von Germany Trade & Invest 2022
Hohe Dynamik im Kfz-Sektor
Im Gegensatz zu den chinesischen Expansionsplänen fahren viele Konzerne ihre Aktivitäten in Brasilien zurück. Die weltweite Neuausrichtung der Branche beschleunigt den Abbau von Überkapazitäten. Selbst vor der Coronakrise lasteten die über 20 Hersteller die Produktionskapazität von knapp 5 Millionen Fahrzeugen zu weniger als 60 Prozent aus. Ins Visier der globalen Headquarter geraten unrentable Modelle und teure Produktionslinien mit einem hohen Anteil importierter Komponenten.
Ende 2022 beendete Stellantis die Motorenproduktion in Campo Largo. Toyota schloss das Werk in São Bernardo do Campo. Am gleichen Standort baute Daimler Truck Ende 2022 massiv Stellen ab. Die Mercedes-Benz-Group stellte die Pkw-Fertigung in Brasilien ganz ein. Ford zog ab 2021 die gesamte Produktion aus Brasilien ab. Audi verschlankte die Produktion in São José dos Pinhais (Paraná) und nahm den Betrieb Mitte 2022 wieder auf.
Wichtige Investitionsprojekte in der Kfz-Industrie in Brasilien
Vorhaben/Akteur | Investitionssumme (in Mio. US$) * | Projektstand | Anmerkungen |
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Investitionen in neue Modelle, Motoren, Konnektivität und Modernisierung in den Werken Betim (Minas Gerais) und Goiana (Pernambuco) / Stellantis FCA | 2.968 | Investitionszyklus 2019 bis 2025 | Förderprogramm Rota 2030 |
Ausbau und Modernisierung der Werke São José dos Campos und São Caetano do Sul (São Paulo) / General Motors (GM) | 1.855 | Investitionszyklus 2020 bis 2024 | GM bestätigte die Investitionen im Januar 2021, Förderprogramm IncentivAuto |
Modernisierung des Werks in Iracemápolis (São Paulo) sowie in die Markteinführung von E-Autos / Great Wall | 1.855 | Investitionszyklus 2023 bis 2032, Inbetriebnahme des Werks Mitte 2023 | Ankündigung im März 2022 |
Investitionen in Lateinamerika, Produktion eines neuen Automodells in Taubaté (São Paulo) / Volkswagen | 1.298 | Investitionszyklus 2022 bis 2026 | Ankündigung im November 2021 |
E-Motoren und neue Technologien in Resende (Rio de Janeiro) / Volkswagen Caminhões e Ônibus (Traton Group) | 371 | Investitionszyklus 2021 bis 2025 | Ankündigung im September 2020, bestätigt im Dezember 2021 |
Neue Produktionslinien im Werk in São José dos Pinhais (Paraná) / Renault | 371 | Investitionszyklus 2022 bis 2025 | Ankündigung im Juni 2022 |
Modernisierung der Werke in Anápolis (Goiás) und Jacareí (São Paulo) / CAOA Group | 285 | Investitionszyklus 2021 bis 2023 | Ankündigung im November 2020 |
Modernisierung der Produktion von Lkw und Bussen in Curitiba (Paraná) / Volvo | 285 | Investitionszyklus 2022 bis 2025 | Ankündigung im Februar 2022 |
Modernisierung des Werks in Resende (Rio de Janeiro) und neue Modelle / Nissan | 241 | Investitionszyklus 2022 bis 2025 | Ankündigung im April 2022 |
* umgerechnet zum Durchschnittswechselkurs 2021: 1 US$ = 5,39 R$Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023
Die lokale Kfz-Industrie wird über das Programm Rota 2030 gefördert, fordert jedoch weitere Maßnahmen. Unmittelbar nach dem Regierungswechsel Anfang 2023 startete Anfavea die Lobby-Arbeit in der Hauptstadt Brasília. Wichtigstes Anliegen ist das Ende der Zollbefreiung für die Einfuhr von E-Autos. Auf Kfz wird üblicherweise ein Tarif von 35 Prozent berechnet.
Der Bundesstaat São Paulo führte 2019 ein eigenes Förderprogramm ein, um der Abwanderung der Kfz-Industrie entgegenzuwirken. IncentivAuto gewährt Herstellern je nach Höhe der Investition eine Minderung der Umsatzsteuer um bis zu 25 Prozent. Dennoch stellte der brasilianisch-chinesische Hersteller CAOA Chery im Jahr 2022 die Produktion in Jacaraí (São Paulo) ein und verlagerte sie auf das Werk in Anápolis (Goiás).
Über den Direktverkauf an Großabnehmer kurbeln die Hersteller den Absatz an. Um hohe Preisabschläge von bis zu 35 Prozent gewähren zu können, nehmen die Autobauer oftmals Gewinneinbußen in Kauf. Mittlerweile wird die Hälfte der Pkw und der leichten Nutzfahrzeuge direkt verkauft. Mietwagenunternehmen können über den Direktkauf Steuern einsparen und hohe Gewinne einfahren, insofern sie die Kfz nicht eher als zwölf Monate nach der Neuzulassung als junge Gebrauchtwagen verkaufen.
Angesichts der hohen Gewinne der Autovermietung entwickeln immer mehr Hersteller den Bereich "Mobility as a Service" für den brasilianischen Markt. Toyota und Renault bieten Carsharing-Dienste an. Ein Auto-Abo kann bei Audi, CAOA, Fiat, Jeep, Nissan, Renault, Volkswagen und Toyota abgeschlossen werden.
Argentinien-Krise mindert den Export
Die Auftragslage in Argentinien, Brasiliens wichtigstem Exportmarkt, schwächelt nach wie vor. Drei Viertel aller Exporte gingen zuvor in das Nachbarland, 2022 waren es weniger als 30 Prozent. Brasiliens Kfz-Industrie sucht Alternativen und beliefert zunehmend auch Mexiko, Kolumbien und Chile.
Die brasilianische Kfz-Zulieferindustrie erwirtschaftete 2022 ein Umsatzplus von 8,5 Prozent. Für das Jahr 2023 erwartet der Verband der Kfz-Zulieferer Sindipecas ein nominales Wachstum um 6,1 Prozent. Sowohl Export- als auch Importvolumen legten im vergangenen Jahr zweistellig zu. Wichtigstes Exportziel der brasilianischen Zulieferer ist nach wie vor Argentinien, gefolgt von den USA, Mexiko und Deutschland.
Die Einfuhr von Kfz-Teilen liegt weiter deutlich über dem Vorkrisenniveau. Im Jahr 2022 war Deutschland nach China und den USA das drittwichtigste Lieferland. Wichtigste importierte Kfz-Teile sind Schaltgetriebe, Getriebegehäuse und Karosserieteile.
Einfuhr ausgewählter Kfz-Teile nach Brasilien (in Millionen US-Dollar, Veränderung in Prozent)
| 2021 | Veränderung 2021/2020 | aus Deutschland |
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SITC 778.3 Kfz-Elektrik | 921,8 | 47 | 23,6 |
SITC 784 Karosserien, Stoßstangen etc. | 7.736 | 45 | 916,0 |
SITC 773.13 Zündkabelsätze | 391,8 | 39 | 7,6 |
SITC 713.2 Motoren | 1.007 | 37 | 20,4 |
Summe | 10.057 | 44 | 967,6 |
Quelle: UN-Comtrade 2023
(Stand Februar 2023)
Von Gloria Rose
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São Paulo