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Wirtschaftsumfeld | Vietnam | Praktische Erfahrungen mit dem Arbeitsrecht
Arbeitnehmer regulär zu kündigen ist in der Praxis nicht einfach. Auch in Pandemiezeiten gelten arbeitsrechtliche Schutzvorgaben, zumindest offiziell.
09.12.2020
Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Hanoi
Ein ausgeprägter Fachkräftemangel stellt Unternehmen in der Regel eher vor das Problem, den Abgang von Leistungsträgern aus dem Unternehmen zu verhindern. Muss ein Mitarbeiter entlassen werden, zeigt sich allerdings, dass gesetzliche Regelungen und Praxis wenig miteinander zu tun haben. Die einseitige Durchsetzung einer Kündigung sollte als allerletztes Mittel eingesetzt werden. Firmen, die auf ihren Ruf bedacht sind, versuchen selbst in Extremfällen, mit ihren Mitarbeitern eine gütliche Einigung zu finden. Auch wenn es selten zu gerichtlichen Verfahren kommt, steht das Arbeitsrecht zumeist auf der Seite der Arbeitnehmer.
Weil Kündigungen auf dem Gesetzeswege absolut unüblich und auch schwierig sind, werden alle Möglichkeiten der Vertragsbefristung ausgeschöpft. Potenzielle Kündigungsgründe sollten detailliert und transparent für alle aufgeführt werden. Dies stellt im Nachhinein klar, dass eine Kündigung keine Willkürmaßnahme war.
Vor dem Hintergrund der Bevorzugung der gütlichen Einigung ist der Aufhebungsvertrag die gangbarere Variante. Dieser regelt unter anderem den an den Arbeitnehmer zu zahlenden Betrag (Abfindung, Sachzuwendungen) und beinhaltet die Verpflichtung des Arbeitnehmers, auszuscheiden und den Arbeitgeber von allen Ansprüchen freizustellen.
Im Gegensatz zum Arbeitgeber genießen Arbeitnehmer erheblich mehr Freiheiten, ihren Arbeitsplatz zu quittieren. Rein rechtlich reicht es, ein Kündigungsschreiben einzureichen und die jeweils geltenden Kündigungsfristen einhalten. In der Praxis kommt es aber immer wieder vor, dass Mitarbeiter deutlich früher gehen, ohne dass dies zu Konsequenzen für sie führt.
Die Coronapandemie hat auch auf den Arbeitsmarkt schmerzhafte Auswirkungen gehabt. Dem Labor Force Survey des vietnamesischen Statistikamts zufolge waren zum Ende des 2. Quartals 2020 mehr als 30 Millionen Arbeitnehmer negativ von Pandemieauswirkungen betroffen. Eine Vielzahl von Menschen, insbesondere in der Tourismus- und Textilindustrie, verloren ihre Arbeitsplätze. Grund für die Kündigungen waren wegbrechende Umsätze in den schwer angeschlagenen Branchen. Andere Arbeitnehmer wurden zeitweise freigesetzt, sahen ihre Arbeitszeit verringert oder ihr Einkommen gekürzt. Einige Unternehmen nutzten laut Beobachtern die Krise, um einen bestehenden Personalüberschuss unauffällig abzubauen.
Inwieweit diese Kündigungen, Gehalts- oder Arbeitszeitkürzungen arbeitsrechtkompatibel erfolgten, ist nicht ermittelbar. Zumindest in der Zeitung erklärten beispielsweise Mitarbeiter der staatlichen Fluggesellschaft Vietnam Airlines oder Lehrer im öffentlichen Schuldienst, freiwillig und zum Unternehmenswohl auf große Teile ihres Gehaltes zu verzichten. Weil aber die Unternehmen des Landes bislang nicht über freie Gewerkschaften und damit nicht über ein Gegengewicht zum Unternehmensmanagement verfügen, blieben Proteste sowie Opposition gering und zumindest für die breite Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar. Zudem arbeitet nach wie vor ein großer Teil der Menschen, gerade im Tourismusbereich, im informellen Bereich und profitiert in der Regel nicht von arbeitsrechtlichen Schutzvorgaben.
Zwar hatte die Regierung Krediterleichterungen für Unternehmen, die ihre Arbeitnehmer halten wollten, zur Verfügung gestellt. Diese gingen aber nicht selten ins Leere, auch weil die Banken des Landes nicht so schnell Zahlungen leisten konnten oder wollten, wie erforderlich.
Um Sozialversicherungskosten einzusparen, schließen manche Unternehmen mit dem Arbeitnehmer zwei Arbeitsverträge, um nur auf den mit dem niedrigeren Gehalt Sozialabgaben zu zahlen. An dieser - gesetzlich nicht gedeckten - Praxis haben nicht selten beide Seiten Interesse. Die Arbeitgeber wollen ihre Lohnkosten minimieren. Viele Beschäftigte vertrauen den Sozialkassen nicht und bevorzugen eine eigene Altersvorsorge.
Einige Arbeitgeber führen gesetzwidrig überhaupt keine Sozialabgaben ab. Investoren, die ein lokales Unternehmen übernehmen wollen, sollten im Rahmen der Due-Diligence-Prüfung auch die Sozialversicherungsbuchführung genau untersuchen, um später nicht mit ausstehenden Forderungen konfrontiert zu werden.
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