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ArgentinienKonjunktur / Außenhandel, Struktur / Investitionsklima / Kaufkraft, Konsumverhalten
Wirtschaftsumfeld
Wirtschaftsausblick | Argentinien
Die anlaufende Impfung soll auch die Wirtschaft vor der nächsten Covid-19-Welle schützen. Ein neues Abkommen mit dem IWF soll einen Stabilitätsanker setzen.
25.01.2021
Von Carl Moses | Buenos Aires
Nach drei Jahren schwerer Rezession kann Argentinien für 2021 auf eine leichte Erholung der Wirtschaft hoffen. Von der Zentralbank befragte Experten erwarten im Mittel eine reale Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5,5 Prozent, nach einem Einbruch um mehr als 10 Prozent 2020. Voraussetzung ist, dass die für den argentinischen Herbst und Winter ab März/April 2021 erwartete neue Welle an Covid-19-Infektionen halbwegs eingedämmt werden kann. Die Hoffnungen dafür ruhen auf der zum Jahreswechsel angelaufenen Impfkampagne.
Für eine Stabilisierung der Wirtschaft wäre zudem ein neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zentral, um die Rückzahlung von IWF-Krediten über 44 Millliarden US-Dollar (US$) langfristig zu strecken und möglicherweise die Aufnahme neuer Schulden zu ermöglichen. Da zur Finanzierung des hohen Staatsdefizits (2020 rund 9 Prozent des BIP) keine ausreichenden Kredite verfügbar sind, muss die Zentralbank zum Ausgleich der Staatskasse zu viele Pesos drucken. Die überschüssige Liquidität treibt die verschiedenen Wechselkurse des Peso und zuletzt auch die durch Preiskontrollen nur vorübergehend zurückgestaute Inflation (2020: 36 Prozent) abermals in die Höhe. Für 2021 wird ein Anstieg der Inflationsrate auf etwa 50 Prozent und eine entsprechend hohe Abwertung des Peso gegenüber dem Dollar erwartet.
Nicht nur aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung der Pandemie, sondern auch wegen fehlender Klarheit über den Kurs der Wirtschaftspolitik sind Prognosen für 2021 mit besonders großer Unsicherheit belastet. Verschiedenen Szenarien der Beratungsfirma Ecolatina zufolge könnte das BIP-Wachstum 2021 zwischen plus 7,5 und minus 1,5 Prozent liegen.
Das externe Umfeld entwickelt sich günstig für Argentinien. Die Preise von Soja und anderen Exportprodukten stiegen zuletzt stark. Obwohl eine Dürreperiode die Ernteerträge schmälert, stehen zusätzliche Exporterlöse ins Haus. Positive Impulse kommen auch vom Nachbarland Brasilien, Argentiniens wichtigstem Exportkunden für Industriewaren, wo sich die Konjunktur schneller als erwartet erholt.
Indikator | 2019 | 2020 | Vergleichsdaten Deutschland 2019 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 444 | 383 | 3.854 |
BIP pro Kopf (US$) | 9.910 | 8.473 | 46.385 |
Bevölkerung (Mio.) | 44,8 | 45,2 | 83 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 US$ = ... Pesos) | 48,25 | 70,63 | - |
Die Investitionstätigkeit dürfte sich 2021 von ihrem langfristigen Tief leicht erholen (Prognose: plus 15 Prozent). Die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote fiel 2020 mit rund 14 Prozent des BIP auf den niedrigsten Stand seit 2002. Die hohen Risikoaufschläge in den Renditen argentinischer Staatsanleihen (14 Prozent) und die hohen Differenzen zwischen dem offiziellen und den verschiedenen parallelen Wechselkursen des Peso (65 Prozent Spread) verdeutlichen die Unwägbarkeiten des Geschäftsumfelds. Dennoch ziehen die Investitionen in den letzten Monaten wieder an, nicht zuletzt weil - zum parallelen Wechselkurs des Peso berechnet - argentinische Unternehmen und andere Vermögenswerte derzeit in harter Währung zu Schnäppchenpreisen erworben werden können.
Die Erwartung von Abwertung und Inflation treibt Privathaushalte ebenso wie Unternehmen zu Investitionen in Sachwerte. Das können Bau- oder Renovierungsmaßnahmen ebenso sein wie der Erwerb von Maschinen und Ausrüstungen. Lieber investieren, als Pesos auf der Bank lassen, ist die Devise. Der Transfer von Kapital ins Ausland ist ebenso beschränkt wie der Erwerb von Hartwährungen zum offiziellen Wechselkurs.
Die öffentlichen Investitionen sollen sich 2021 laut Haushaltsplan der Regierung auf mehr als 2 Prozent des BIP gegenüber 2019 verdoppeln. Ob dies finanziert werden kann, ist unklar. Im Wahljahr 2021 dürften die meisten Mittel in möglichst viele kleine Einzelmaßnahmen fließen. Großprojekte dürften dagegen mangels Finanzierung vorerst kaum über Ankündigungen hinauskommen.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Mehrzweck-Staudamm Chihuido I (640 MW) | 2.250 | Zuschlag vor Jahren erteilt, Baubeginn verzögert | Staatssekretariat für Energie (www.energia.gov.ar) und Provinz Neuquén; Zuschlagnehmer ist Konsortium unter Führung des Unternehmens Helport (http://www.arhelport.com), Voith Hydro steht als Hauptlieferant hinter dem Projekt |
Atomkraftwerk Atucha III | 7.200 | Planung | Staatssekretariat für Energie (www.energia.gov.ar), Finanzierung und Technologie aus China |
Wasserkraftwerke Jorge Cerpenic und Néstor Kirchner | 4.700 | In Bau | UTE Represas Patagonia (https://represaspatagonia.com.ar); Finanzierung aus China |
Offizielle Ausschreibungsdatenbank: https://comprar.gob.ar/Default.aspx
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite, Rubrik „Ausschreibungen“ und „Entwicklungsprojekte“.
Sofern die durch die Pandemie bedingten Restriktionen nicht abermals zunehmen, ist für 2021 mit einer Erholung der Konsumnachfrage um 5 bis 6 Prozent zu rechnen. Die Erwartung einer drastischen Peso-Abwertung und steigender Inflation heizt die Nachfrage nach Autos, Hausgeräten und anderen dauerhaften Konsumgütern an. Zudem wird die Regierung alles daran setzen, vor den Parlamentswahlen im Oktober 2021 zumindest eine vorübergehende Erholung der Kaufkraft für die Verbraucher zu ermöglichen. Das Warenangebot wird allerdings zunehmend durch Restriktionen für Importe und Devisen gebremst.
Wenngleich Hilfsmaßnahmen der Regierung wie die teilweise Übernahme der Lohnzahlungen privater Unternehmen sowie Sonderzahlungen an bedürftige Haushalte in der Krise die Kaufkraft gestützt haben, sanken die Reallöhne 2020 im dritten Jahr in Folge. Seit 2012 sind die Reallöhne im Privatsektor um ein Viertel gesunken, kalkuliert das Institut Invenómica. Die Beratungsfirma Econométrica berechnete, dass die durchschnittlichen Monatslöhne 2020 in harter Währung mit 835 US$ nur noch halb so hoch waren wie vor sechs Jahren. Zum Parallelkurs betrugen sie nur noch ein Viertel (405 US$).
Argentiniens Konjunkturexperten erwarten für 2021 auf beiden Seiten der Handelsbilanz steigende Werte. Warenexporten für 60 Milliarden US$ (plus 7 Prozent gegenüber 2020) sollen laut Umfrage der Zentralbank Importe für 48 Milliarden US$ (plus 20 Prozent) gegenüberstehen. Devisen für den Import sind allerdings mitunter schwer zu erhalten. Aufgrund der niedrigen Devisenreserven muss mit weiteren Verschärfungen der Restriktionen gerechnet werden. Der Wert der Warenimporte lag 2020 um 38 Prozent unter dem durchschnittlichen Importwert der vorangegangenen zehn Jahre. Entsprechend hoch dürfte der Nachholbedarf sein.
2019 | 2020 | Veränderung 2020/2021 | |
---|---|---|---|
Importe | 49.125 | 39.800 | -19,0 |
Exporte | 65.115 | 56.000 | -14,0 |
Handelsbilanzsaldo | 15.990 | 16.200 | - |