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Wirtschaftsausblick | Argentinien

Argentinien ringt um seine Zukunft

Ökonomisch verbessern sich 2024 die Aussichten für Argentinien. Aus dem Vollen schöpfen kann die neue Regierung aber nicht. Für Unternehmen besteht die Devisenproblematik weiter.

Von Stefanie Schmitt | Buenos Aires

Top-Thema: Argentinien nach Präsidentschaftswahlen vor ungewisser Zukunft

Ab dem 10. Dezember 2023 wird mit Javier Milei ein Präsident die Geschicke Argentiniens bestimmen, der im Wahlkampf mit der Ankündigung radikaler Änderungen im Wirtschaftsprozess von sich reden machte. Hierzu gehören die Abschaffung des argentinischen Peso, die Übernahme des US-Dollar (US$), eine schnelle Öffnung der Wirtschaft nach außen und die Privatisierung von Staatsunternehmen wie der Ölgesellschaft YPF. Den aufgeblähten Staatsapparat will Milei drastisch verkleinern, etwa durch die Abschaffung von aus seiner Sicht überflüssigen Behörden wie der Zentralbank sowie durch die Kürzung zahlreicher Subventionen und Sozialausgaben.

So sinnvoll einzelne Maßnahmen volkswirtschaftlich sind – so ist zum Beispiel offensichtlich, dass der offizielle Wechselkurs des Peso jeglichen Realitätsbezug verloren hat – so wenig gibt es einen konkreten Zeit- und Maßnahmenplan. Darüber hinaus ist unklar, inwieweit Milei seine Pläne umsetzen kann. Der politische Quereinsteiger hat zu wenig Personal, um die schätzungsweise 5.000 relevanten Führungspositionen mit eigenen Anhängern zu besetzen. Seine erst vor zwei Jahren gegründete Partei La Libertad Avanza (LLA) besitzt nicht die erforderlichen Mehrheiten, um die für die Reformen notwendigen Gesetze zu verabschieden. Die LLA hat im Abgeordnetenhaus nur 38 von 257 Sitzen, und im Senat 8 von 72. Dagegen stellt die peronistische Opposition in beiden Kammern des Nationalkongresses jeweils die größte Fraktion.

Das Jahr 2024 birgt viele Risiken

Bisher weiß niemand, welche Kompromisse Milei gegenüber potenziellen Partnern etwa aus dem konservativen Lager um den ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri und die ausgeschiedene Präsidentschaftskandidatin Patricia Bullrich einzugehen bereit ist beziehungsweise eingehen muss. 

Unklar ist auch, inwieweit die Peronisten bei den zu erwartenden sozialen Einschnitten stillhalten – oder ob sie nicht vielmehr ihre Anhänger aus den Gewerkschaften und sozialen Organisationen zu lähmenden Protesten auf die Straße holen. Hinzu kommt, dass Wechselkursanpassungen auch Effekte auf nicht importierte Waren haben. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre schlägt der Handel abwertungsbedingte Preiserhöhungen auf alle Produkte auf, auch auf im Land hergestellte Lebensmittel. Das trifft besonders arme Menschen, und damit fast die Hälfte der Bevölkerung. Soziale Unruhen sind so absehbar. 

Wirtschaftsentwicklung: Bessere Ernte und höhere Exporte vergrößern Handlungsspielraum

Angesichts des politischen Wechsels ist der Ausblick für die Wirtschaft 2024 mit großer Unsicherheit verbunden. In seiner Prognose vom Oktober 2023 geht der Internationale Währungsfonds (IWF) davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Argentiniens 2024 real um knapp 2,8 Prozent wachsen wird.

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Ein Grund für das erwartete Wachstum ist die deutlich bessere Ernte im laufenden Agrarjahr 2023/24, nachdem Argentinien in der Vorsaison von einer verheerenden Dürre heimgesucht worden war. Diese hatte zu massiven Ernteausfällen und Exporteinbußen geführt. 

Darüber hinaus ist mit höheren Einnahmen aus Öl- und Gasexporten zu rechnen. Diese können mittelfristig weiter steigen, sobald die Transportengpässe behoben sind, darunter der Bau einer Pipeline über Bolivien nach Brasilien. Unter einem Präsidenten Milei erscheint es viel wahrscheinlicher, dass die Regierung hierfür private Investoren an Bord holt als unter der peronistischen Vorgängerregierung.

Große Hoffnungen ruhen außerdem auf steigenden Lithiumexporten. Bislang wird in Argentinien an drei Förderstätten Lithium abgebaut, sechs weitere sollen 2024/25 dazukommen. Trotzdem wird eine Regierung Milei nicht aus dem Vollen schöpfen können. Die Lithiumeinnahmen kommen in erster Linie den Provinzen zugute, und bei den Mehreinnahmen im Agrarbereich in der laufenden Saison geht es lediglich um 10 Milliarden bis 15 Milliarden US$. Trotzdem könnte ein allgemeiner Stimmungsumschwung weitere Potenziale freisetzen - und damit der Wirtschaft insgesamt mehr auf die Beine helfen.

Regierung steht vor großen Herausforderungen

Insgesamt warten auf Milei große Herausforderungen. Die Staatskassen sind leer, und die Devisenreserven der Zentralbank negativ. Stattdessen schiebt das Land Auslandsschulden von rund 276 Milliarden US$ vor sich her. Die Bevölkerung leidet unter einer Inflation von inzwischen über 140 Prozent. Auch für 2024 ist zunächst nicht mit einem Ende der galoppierenden Preissteigerungen zu rechnen, denn dafür lief die Notenpresse in der Vergangenheit zu hochtourig. Gleichzeitig ächzen die Unternehmen unter einem absurden Wechselkurs- und Importregime.

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Deutsche Perspektive: Knappe Devisen größtes Risiko für das Geschäft

Aufgrund der weiter bestehenden Devisenengpässe wird es für Unternehmen extrem schwierig bleiben, Importe zu bezahlen – und dies ist derzeit laut AHK Argentinien auch für deutsche Firmen das gravierendste Problem. Selbst Tochterunternehmen, die gute Geschäfte in Peso machen, stehen bei ihren Mutterhäusern oder Lieferanten mit hohen Beträgen in der Kreide. Es soll Mittelständler geben, deren argentinische Töchter ihnen gegenüber Schulden von bis zu 5 Millionen Euro nicht begleichen können. Manche wären in der Lage viel mehr zu verkaufen, wenn sie die notwendigen Importe tätigen könnten.

Aber das ist nicht das einzige Risiko bei den derzeit oft guten Peso-Geschäften: "Die Krux ist: Wir haben keine Devisen, um moderne Maschinen zu kaufen und uns auf dem Stand der Technik zu halten. Wenn sich der argentinische Markt wieder öffnet, dann sind wir dem Wettbewerb aus dem Ausland nicht mehr gewachsen. Deshalb gibt es auch immer mehr Unternehmen, die das bisherige System unterstützen, so schlecht sie es finden, denn eine Marktöffnung würden sie vermutlich nicht überleben", so eine Unternehmerin.

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Nähere Informationen zu Argentinien finden Sie auf unserer Länderseite Argentinien.

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