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ASEAN-Stromnetz eröffnet neue Geschäftschancen
Der Strombedarf in Südostasien steigt in den kommenden Jahren stark an. Der Ausbau eines gemeinsamen Stromnetzes soll Versorgungssicherheit und grüne Energie fördern.
22.10.2025
Von Alexander Hirschle | Singapur
Die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) ist eine der wachstumsstärksten Regionen der Welt. Hand in Hand mit dem Wirtschaftswachstum und dem geplanten Ausbau der Industrien steigt auch der Bedarf an Energie. Der Think Tank Ember geht davon aus, dass die Nachfrage nach Strom in der Region zwischen 2023 und 2030 um mehr als 40 Prozent zunehmen wird.
Gleichzeitig verfügen viele ASEAN-Staaten über ein großes Potenzial zur Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarkraft oder Geothermie. Laos beispielsweise gilt als "Batterie Südostasiens" mit riesigen Mengen an Strom aus Wasserkraft.
Das Potenzial des Landes kann sich aber noch nicht voll entfalten. Eine schlechte Netzanbindung (Grid Connectivtiy) verhindert, dass der grüne Strom günstig und ausreichend in den wichtigsten Verbraucher- und Produktionszentren ankommt. Der Ausbau der Netzinfrastruktur zu einem gemeinsamen Stromnetz, dem "ASEAN Power Grid" (APG), steht seit Jahren auf der Agenda. Nun zeichnen sich Fortschritte in Richtung einer Realisierung des Vorhabens ab.
Grenzüberschreitendes Stromprojekt leistet Pionierarbeit
Nukleus des APG und erster großer Integrationsschritt ist das Laos-Thailand-Malaysia-Singapore Power Integration Project (LTMS-PIP). Die erste Phase dieses Vorhabens wurde 2022 gestartet. Sie beinhaltet den Export von Strom aus Wasserkraft (100 Megawatt) von Laos nach Singapur über bereits bestehende Leitungen der beiden dazwischen liegenden Staaten Thailand und Malaysia. Es handelt sich dabei um einen Meilenstein: zum ersten Mal arbeiteten vier ASEAN-Staaten im Bereich des grenzüberschreitenden Stromhandels zusammen.
Zu diesem Zweck hatte die in Singapur zuständige Keppel Electric mit dem laotischen Stromversorger Électricité du Laos ein entsprechendes Abkommen (Power Purchase Agreement) unterzeichnet. In einer zweiten Phase ab September 2024 wurden die Kapazitäten auf 200 Megawatt verdoppelt, wobei auch Strom in Malaysia eingespeist werden soll.
Hohe Investitionen sind von Nöten
Nach Berechnungen der International Energy Agency werden sich die Stromkosten in ASEAN durch das APG um bis zu 5 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr verringern. Dem stehen jedoch hohe Investitionskosten gegenüber. So prognostizieren Vertreter der ASEAN die Investitionen für den Aufbau des APG bis zum geplanten Abschluss im Jahr 2045 auf 764 Milliarden US$. Etwa 100 Milliarden US$ fallen nach Schätzungen der Asian Development Bank (ADB) alleine für die Installation der Übertragungsleitungen an. Für deutsche Firmen könnten sich Geschäftsmöglichkeiten entlang der ganzen Lieferkette ergeben.
Nach Schätzungen der Net Zero World Initiative benötigt das Projekt in der Aufbauphase rund 2 Milliarden US$ pro Jahr für Forschung und Entwicklung. Dadurch ergeben sich Ansatzpunkte für deutsche Wissenschaftsinstitutionen. Um die grenzüberschreitende Stromverteilung effizient zu gestalten, wird zudem der Bedarf an modernen Leitungen, Umspannwerken und Netzsteuerung sowie für Smart Grid-Lösungen steigen.
In den ASEAN-Ländern werden künftig Pumpspeicherkraftwerke an Bedeutung gewinnen. Ebenso wird der Ausbau von erneuerbaren Energien den Bedarf an beispielsweise Windturbinen und Komponenten wie Wechselrichtern erhöhen. Produkte mit hoher Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit dürften dabei besonders gefragt sein.
Der Ausbau des Netzes wird auch die Verlegung von Unterseekabeln beinhalten. Ein weiteres wachsendes Marktsegment sind Batterietechnologien und Speichersteuerungssysteme zur Netzstabilisierung. Beratungsfirmen können bei der strategischen Planung, regulatorischen Ausgestaltung und Simulation von Energiesystemen unterstützen. Ebenso steigt der Bedarf an sicheren und skalierbaren IT-Lösungen für Energieinfrastruktur sowie nachhaltiger Finanzierung von großen Infrastrukturprojekten.
Singapur muss Überzeugungsarbeit leisten
Ein APG auf Basis erneuerbarer Energien birgt zahlreiche Vorteile für ASEAN, wie etwa einen verbesserten Zugang zu Strom und eine erhöhte Energiesicherheit. Darüber hinaus würde die wirtschaftliche Entwicklung der Region einen Schub bekommen.
Bisher begeistert sich vor allem der ressourcenarme Stadtstaat Singapur für das Projekt. Andere ASEAN-Staaten sind zurückhaltender – angesichts der hohen Investitionskosten und dem für sie geringeren Mehrwert. Um die anderen Mitglieder von den Vorteilen eines integrierten Stromnetzes zu überzeugen, muss Singapur seine Nachbarn bei der Strukturierung und Finanzierung der Vorhaben unterstützen und eine koordinierende Rolle einnehmen.
Es gibt weitere Herausforderungen
Um ein integriertes Stromnetz in ASEAN zu realisieren, sind eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. So müssen die unterschiedlichen Regularien und Standards in den einzelnen Ländern harmonisiert werden. Die Strommärkte der Mitgliedsstaaten sind unterschiedlich organisiert. Ein weiteres Hemmnis liegt in den Durchleitungsgebühren (Wheeling Charges) für den Stromtransport, die die Netzbetreiber in den einzelnen Staaten erheben.
In Gesprächen mit Germany Trade & Invest kritisierten multinationale Organisationen, dass beim Erzeuger in Laos nur noch wenig Geld ankomme – obwohl es in dem klassischen Entwicklungsland am meisten gebraucht werde. Medieninformationen zufolge hegt die singapurische Behörde EMA (Energy Market Authority) Hoffnungen, dass sich die ASEAN-Minister bei einem Treffen Ende Oktober 2025 über die Wheeling Charges einigen können.
Finanzierung mit internationalen Gebern
Ein großes Problem sehen Branchenkenner in den hohen Investitions- und Infrastrukturkosten. Zwar sind grüne Investitionen in der ASEAN-Region 2024 stark gestiegen, besonders bei erneuerbaren Energien. Dennoch sieht EMA für Südostasien eine Investitionslücke von 210 Milliarden US$ pro Jahr – obwohl sich in der Region einige der am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder befinden.
Singapur prüft daher innovative Finanzierungsmethoden und bezieht dabei internationale Institutionen wie Banken und Versicherungsgesellschaften mit ein. Die ADB unterstützt den Ausbau des APG mit finanzieller und technischer Hilfe und arbeitet mit der Weltbank und weiteren Partnern an einer speziellen Finanzierungslösung in Höhe von rund 10 Milliarden US$. Zusätzlich finanziert die ADB technische Zusammenarbeit, Machbarkeitsstudien und Kapazitätsaufbau. Auch die von China initiierte, multinationale Entwicklungsbank AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank) hat in der Presse ihr Interesse am APG verkündet.
Der Druck zu einer vertieften Integration der ASEAN ist durch die Zollpolitik der USA zuletzt deutlich gestiegen. Einige Ansätze in Richtung Abbau von internen Handelshemmnissen wurden bereits beim ASEAN-Treffen im Mai 2025 in Kuala Lumpur vollzogen. Der nächste Gipfel von 26. bis 28. Oktober 2025 wird von Beobachtern als einer der wichtigsten in der Geschichte der Gemeinschaft eingestuft, da hier konkrete Schritte in Richtung einer besseren Zusammenarbeit erzielt werden sollten. Bewahrheiten sich diese Hoffnungen, könnte die Entwicklung des regionalen Stromnetzes tatsächlich neuen Schwung erhalten.