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ASEAN sucht Antworten auf US-Zollerhöhungen
Verhandlungen haben das Schlimmste verhindert. Mittelfristig könnte der Druck die Wirtschaftsregion sogar enger verbinden. Für deutsche Firmen ergibt sich ein gemischtes Bild.
04.09.2025
Von Alexander Hirschle | Singapur
Südostasien schien nach der ersten Ankündigung von Zusatzzöllen durch US-Präsident Donald Trump im April 2025 als der große Verlierer im globalen Handelswettbewerb. Die Mitgliedsländer der Vereinigung südostasiatischer Staaten (ASEAN) waren von den USA mit den mitunter höchsten zusätzlichen Zollsätzen weltweit belegt worden. Doch angesichts der Anfang August ausgehandelten neuen Zusatztarife zeigen sich die meisten Länder erleichtert.
Land | Zusatzzoll | ursprünglich angedrohter Zusatzzoll |
---|---|---|
Singapur | 10 % | 10 % |
Indonesien | 19 % | 32 % |
Kambodscha | 19 % | 49 % |
Malaysia | 19 % | 24 % |
Philippinen | 19 % | 17 % |
Thailand | 19 % | 36 % |
Vietnam | 20 % | 46 % |
Brunei Darussalam | 25 % | 24 % |
Laos | 40 % | 48 % |
Myanmar | 40 % | 44 % |
Verantwortliche in den Regierungen bemühen Begriffe wie "win-win" und "fair". Hintergrund ist, das die hohen Zusatzzollsätze zum Teil deutlich nach unten korrigiert wurden. Auch neutrale Beobachter sprechen von einer vernünftigen Mischung aus Zugeständnissen und Gewinnen. Vor allem die Regierung Vietnams, das wie Kambodscha hochgradig abhängig von Exporten in die USA ist, zeigt sich positiv gestimmt. Der von 46 Prozent auf 20 Prozent nach unten verhandelte Zusatzzoll für Einfuhren aus Vietnam in die USA liegt nun mit den meisten Ländern in der Region fast gleichauf.
Dämpfer für das Wachstum
Mehrere Finanzinstitute haben ihre Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt der ASEAN-Region für 2025 und 2026 auf jeweils rund 4 Prozent gesenkt. Im 2. Quartal 2025 hatte sich die konjunkturelle Lage zwar kurzfristig verbessert. Grund dafür waren aber vor allem vorgezogene Bestellungen angesichts der zu erwartenden Zollerhöhungen - auch "Frontloading" genannt. Im Vorjahr hatte die Staatengemeinschaft ein durchschnittliches Wachstum von knapp 5 Prozent erreicht.
China gewinnt an Bedeutung
Neben den Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung wird diskutiert, ob die Region für internationale Unternehmen weiterhin ein alternativer Standort zu China sein wird. Seit 2016 haben sich die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in die ASEAN-Region mehr als verdoppelt. Durch die zusätzlichen Zölle auf Lieferungen in die USA ist der komparative Kostenvorteil der ASEAN-Staaten gegenüber China etwas geschmolzen.
Die große Frage ist, ob die verbleibende Differenz ausreicht, dass die Verlagerung von Fabriken in die Region für ein Unternehmen rentabel ist – trotz sinkender Margen in den USA. Gleichzeitig sind die Zollsätze wohl zu gering, als dass Firmen im breiten Stil ihre Produktion in die USA holen.
Beobachter nehmen einen Schwenk in den außenpolitischen und wirtschaftlichen Beziehungen der ASEAN-Länder in Richtung Peking wahr und sehen die Zollpolitik der USA als Ursache dafür. Es ist damit zu rechnen, dass chinesische Firmen die Region künftig noch stärker als alternativen Absatzmarkt nutzen und mit Produkten überschwemmen. Das gilt nicht nur für Maschinen und Komponenten, sondern zunehmend auch für Konsumgüter wie Kfz, Kleidung, Möbel sowie Nahrungsmittel.
Wettbewerb für deutsche Firmen steigt
Chinesische Marken haben in Südostasien an Renommee gewonnen. Gleichzeitig verdrängen sie lokale Hersteller, die nicht mit den hohen Skaleneffekten der Wettbewerber aus dem Reich der Mitte konkurrieren können. Firmenschließungen und der Verlust von Arbeitsplätzen in den betroffenen Sektoren machen einigen ASEAN-Ländern immer mehr zu schaffen. Für deutsche Firmen dürfte das den ohnehin starken Wettbewerb in den ASEAN-Ländern verschärfen, während das Wirtschaftswachstum nachlässt.
Gegenüber Herstellern aus anderen Mitgliedsländern sowie aus China, Japan, Südkorea, Indien, Australien und Neuseeland hatten deutsche Produkte durch Einfuhrzölle schon in der Vergangenheit in vielen Ländern der ASEAN-Gemeinschaft einen Nachteil. Diese Konkurrenten profitieren von Freihandelsabkommen mit ASEAN oder einzelnen Mitgliedern. Die EU hat bisher nur mit Singapur und Vietnam Freihandelsabkommen abgeschlossen, ein weiteres mit Indonesien ist durch eine politische Einigung in Aussicht.
Zukünftig kommen noch die größtenteils zollfreien Einfuhren aus den USA hinzu. Hersteller aus den USA suchen häufig in ähnlichen Sektoren wie deutsche Firmen Kunden. Im Rahmen der Verhandlungen mit Präsident Trump haben die meisten südostasiatischen Staaten darüber hinaus zugesagt, künftig verstärkt in den USA einzukaufen.
ASEAN setzt auf Integration und Weiterentwicklung
Die Zusatzzölle können für die Region mittelfristig auch positive Entwicklungen anstoßen. Für Beobachtende war beim ASEAN-Gipfel im Mai 2025 erkennbar, dass die Staatsoberhäupter der Region die Zusammenarbeit innerhalb des Staatenbundes stärken wollen und sich der Dringlichkeit von Maßnahmen bewusst sind.
Handel innerhalb der Region vereinfachen
Das erste Ziel ist, künftig den Handel zwischen den ASEAN-Staaten auszuweiten. Bisher beläuft sich der Intrahandel der Gemeinschaft nur auf rund 20 Prozent. In der EU sind es dagegen circa 60 Prozent.
Um den Handel zu fördern, sollen nicht tarifäre Hürden sowie widersprüchliche Standards und Ursprungsregeln abgeschafft werden. Während des Gipfels wurden die Verhandlungen zur Überarbeitung des ASEAN Trade in Goods Agreement (ATIGA) abgeschlossen. Dadurch sollen noch bestehende Zölle weiter sinken, Handelshemmnisse eliminiert und die Zollabwicklung optimiert werden. Die neue Fassung wollen die Mitgliedstaaten im Oktober offiziell unterzeichnen.
Industrie modernisieren
Ein weiteres Ziel ist, die Industrien in der Region weiterzuentwickeln und so den lokalen Wertschöpfungsanteil bei Produkten zu erhöhen. Gemäß der "ASEAN Community Vision 2045" streben die Mitgliedsländer an, intraregionale Investitionen zu intensivieren und die Lieferketten stärker zu integrieren. Ebenso ist geplant, die industriellen Fertigungskapazitäten auszubauen. Sollte das gelingen, könnte mittelfristig die Nachfrage nach hochwertigen Kapitalgütern und Komponenten aus Deutschland steigen.
Partnerschaften ausbauen
Außerdem wollen die ASEAN-Länder versuchen, neue Absatzmärkte zu erschließen. Dadurch könnte Deutschland als Handelspartner wieder stärker ins Spiel kommen. Die europäischen Staaten intensivieren ebenfalls ihre Bemühungen um eine engere wirtschaftliche Anbindung an die südostasiatische Gemeinschaft. Es besteht die Hoffnung, dass die Bestrebungen um zusätzliche Freihandelsabkommen zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten und der EU an Dynamik gewinnen. Deutschland und Singapur verkündeten bereits 2024 ihre strategische Partnerschaft.
"Nach wie vor zeigen deutsche Firmen großes Interesse an der ASEAN-Region und suchen nach Möglichkeiten, ihr Geschäftsfeld hier auszubauen, zu erweitern, und auch notwendige Fachkräfte auszubilden", so der Geschäftsführer der Deutschen Auslandshandelskammer auf den Philippinen (GPCCI), Christopher Zimmer. Beispielsweise gab SAP im August 2025 die Eröffnung von SAP Labs Vietnam in Ho-Chi-Minh-Stadt bekannt und plant in den nächsten fünf Jahren weitere Investitionen in Höhe von über 150 Millionen Euro, um digitale Innovationen voranzutreiben.
Programme einzelner Mitglieder eröffnen Chancen
In den ASEAN Mitgliedstaaten gibt es zusätzlich noch eigene proaktive Vorstöße, um die Volkswirtschaften neu auszurichten. Dadurch können ebenfalls Geschäftschancen für deutsche Firmen entstehen. Die vietnamesische Regierung kündigte Mitte August 2025 ein gigantisches Infrastrukturprogramm im Wert von rund 50 Milliarden US-Dollar an. Die Initiative umfasst 250 Einzelprojekte. Sie soll die Resilienz der bisher stark von Exporten und FDI abhängige Ökonomie gegenüber externen Schocks stärken.
Auswirkungen der US-Handelspolitik in Südostasien
Germany Trade & Invest hat für Sie die Situation in verschiedenen Ländern der ASEAN-Region zusammengefasst. Lesen Sie mehr in unseren Länderberichten!