Wirtschaftsumfeld | Belgien | Wirtschaftsstruktur
Industrie will in Zukunft noch stärker auf Hightech setzen
Belgiens Wirtschaftsstruktur steht vor einem Wandel. Ein Fokus ist die Chemieindustrie. Auch die Wasserstoffindustrie gewinnt an Bedeutung.
03.04.2024
Von Michael Sauermost | Bonn
Belgien ist eine kleine Volkswirtschaft. Die Wirtschaftsleistung erreicht Statistiken der Europäischen Kommission zufolge etwa ein Fünftel des Niveaus von Frankreich. Im Vergleich zu Deutschland ist es rund ein Siebtel. Was allerdings die Wirtschaftsleistung pro Kopf angeht, so spielt das Land in der Liga der Großen mit und erzielt Werte wie Deutschland. Laut Eurostat bedeutete dies 2022 Platz 8 im Europaranking. Deutschland belegte Platz 9.
Rund um den Hafen Antwerpen stimmt die Chemie
Die geographische Lage macht Belgien zu einem bedeutenden Handelsknotenpunkt Westeuropas. Die Infrastruktur ist sehr gut entwickelt. Von besonderer logistischer Bedeutung ist dabei Europas zweitgrößter Hafen Antwerpen-Brügge. Der Umschlagplatz in Flandern gilt als Herzstück des belgischen Wirtschaftswachstums. Im Einzugsgebiet des Hafens haben sich viele Industrieunternehmen angesiedelt. Dabei ist besonders das größte Petrochemiecluster Europas hervorzuheben.
Der Dienstleistungssektor hat im Laufe der Zeit eine bedeutende Rolle gewonnen. Laut Wirtschaftsministerium entfielen auf ihn im Jahr 2021 etwa 57 Prozent der Unternehmen und 49 Prozent der Erwerbstätigen. Der Handel stellte ein Fünftel der Unternehmen und 22 Prozent der Arbeitsplätze. Die Industrie kam lediglich auf 6 Prozent der Unternehmen. Allerdings entfielen auf das verarbeitende Gewerbe rund 18 Prozent der Beschäftigten.
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Gewinnbringende Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland
Auch wenn die Geschäftserwartungen deutscher Unternehmen im Rahmen der Herbstumfrage der AHK debelux 2023 für 2024 analog zur allgemeinen Konjunkturlage Belgiens gedämpft blieben: an Lukrativität hat der industriell ausgerichtete Wirtschaftspartner in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewonnen. Vor allem in Hightech-Bereichen wie der Industrie 4.0 ist der Spielraum für bilaterale Kooperationen deutlich größer geworden.
Dazu kommen neue Entwicklungen im Energiesektor. Dort - sowie generell, wenn es um Nachhaltigkeit geht - können deutsche Firmen in Nischenbereichen ihre Stärken ausspielen. Bei etwa einem Drittel der Mitgliedsunternehmen der AHK debelux handelt es sich um Industrieunternehmen. Rund 18 Prozent entfallen auf Dienstleistungen und knapp 23 Prozent auf den Handel/Großhandel.
Forschung rückt Hightech-Branchen in den Fokus
In Zukunft wird Belgien noch stärker auf Innovation setzen. Universitäten und weitere Forschungseinrichtungen sind auch international gut vernetzt. Der Technologieverband Agoria unterstützt Firmen bei ihren Hightech-Aktivitäten und ihrer nachhaltigen Ausrichtung.
Was die Digitalisierung angeht, ist Belgien gut aufgestellt. Das Chemiecluster im Hafengebiet von Antwerpen entwickelt sich zu einem führenden Testgebiet für die Industrie 4.0. Die Fertigung von Elektro-, Hybrid- sowie Brennstoffzellenfahrzeugen schreitet voran. Neben dem innovativen Pharmasektor werten auch Fortschritte in Sachen Biotechnologie sowie künstlicher Intelligenz die belgische Industrielandschaft auf.
Laut einem Bericht der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen bestehen in Belgien insbesondere für elektrische und elektronische Geräte sowie im Maschinenbau noch besonders große Chancen für die Diversifizierung beziehungsweise für das Exportgeschäft. Allerdings seien auch die Möglichkeiten bei Chemie und Pharma noch nicht ausgeschöpft. Als zukunftsträchtiger Bereich in einer dynamischen Entwicklungsphase gilt der Wasserstoffsektor. Belgien will sich als europäische Logistikdrehscheibe für grünen Wasserstoff etablieren.
Sektoren | Anteil an der Bruttowertschöpfung 2022 |
---|---|
Agrarsektor | 0,7 |
Verarbeitendes Gewerbe | 14,1 |
Energie | 2,9 |
Baugewerbe | 5,3 |
Dienstleistungen (Handel, Finanzdienstleistungen) | 55,6 |
Andere Dienstleistungen (inklusive Health Care) | 21,3 |
Regionale Unterschiede machen sich bemerkbar
Belgien ist ein komplexer Föderalstaat mit den drei Regionen Flandern im Norden, der Wallonie im Süden und der Hauptstadtregion Brüssel. Aus geografischer Sicht konzentriert sich die belgische Wirtschaftstätigkeit auf den industriell entwickelten Norden des Landes. Flandern erwirtschaftete 2022 einen Anteil von 62,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Wallonie kam auf knapp 20, die Hauptstadtregion auf 18,3 Prozent. Die Wallonie bleibt nach wie vor mit strukturellen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der industriellen Umstellung konfrontiert. Von der einstigen Montan- und Textilindustrie geprägte Gebiete erleben einen anhaltenden Strukturwandel.
Das BIP pro Kopf war 2022 in der Hauptstadtregion Brüssel 60 Prozent höher als im niederländischsprachigen Flandern und mehr als doppelt so groß wie in der frankophonen Wallonie. Die belgischen Regionen unterscheiden sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sprachlich, historisch und kulturell. Autonomieforderungen - vor allem von flämischer Seite - haben in den vergangenen Jahrzehnten zu Kompetenzverlagerungen vom Zentrum hin zu den Regionen geführt. Die Folge sind vielerorts komplexe und aufwändige Verwaltungsstrukturen. Dies kann den administrativen Aufwand für Unternehmen merklich erhöhen.
Gebiet | Anteil am BIP (in %) | BIP pro Kopf (in Euro) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|---|
Brüssel | 18,3 | 78.344 | 1,2 |
Flandern, darunter die Provinzen: | 62,5 | 49.058 | 6,8 |
Antwerpen | 20,2 | 58.038 | 1,9 |
Limburg | 6,6 | 38.776 | 0,9 |
Ost Flandern | 13,2 | 44.501 | 1,6 |
Brabant | 12,1 | 62.288 | 1,2 |
West Flandern | 10,5 | 47.194 | 1,2 |
Wallonie, darunter die Provinzen: | 19,2 | 34.502 | 3,6 |
Hainault | 7,5 | 29.266 | 1,5 |
Lüttich | 7,2 | 34.061 | 1,2 |
Luxemburg | 1,5 | 28.811 | 0,3 |
Namur | 3,0 | 31.555 | 0,6 |