Branche kompakt | Brasilien | Chemische Industrie
Branchenstruktur
Preisgünstige Chemieimporte verdrängen die lokale Produktion. Investitionen konzentrieren sich auf die Chlor-Alkali-Industrie, Düngemittel und Kraftstoffe.
18.04.2024
Von Gloria Rose | São Paulo
Brasilien ist einer der wichtigsten Märkte für die Chemieindustrie weltweit. Laut dem deutschen Verband der Chemischen Industrie (VCI) bezifferte sich der Umsatz mit Chemieprodukten in dem Land 2022 auf 119,9 Milliarden Euro. Nur in China, den USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Südkorea lag der Umsatz noch höher. In Bezug auf den Verbrauch erreichte Brasilien weltweit Platz 5.
Die Chemieindustrie ist eine der wichtigsten Branchen Brasiliens. Die landesweit rund 1.650 Hersteller von Industriechemikalien und chemischen Endprodukten tragen etwa 11 Prozent zur Bruttowertschöpfung der Industrie bei.
Chemieindustrie am Tiefpunkt
Allerdings steht die Branche unter Druck, allen voran durch preisgünstige Importprodukte. Während etwa die Einfuhr von Industriechemikalien 2023 um 7,8 Prozent zulegte, schrumpfte der Absatz der lokalen Hersteller auf dem Binnenmarkt um 9,4 Prozent. Auch die Exporte gingen zurück. Sie verzeichneten ein Minus von 10,9 Prozent, nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise im Nachbarland Argentinien. In der Folge sank die inländische Produktion 2023 um 10,1 Prozent.
Einen so drastischen Produktionsrückgang hat die Chemieindustrie seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Im Durchschnitt lastete die Branche ihre Produktionskapazitäten 2023 nur noch zu 64 Prozent aus. Das sind 6 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr.
Die Produktion liegt schon seit 2007 unterhalb der wirtschaftlich notwendigen Grundauslastung, gibt Abiquim an. Seit fast einem Jahrzehnt investieren die Konzerne fast ausschließlich in Wartung und Modernisierung. Dabei steigt die Nachfrage nach Agrarchemikalien von Jahr zu Jahr stark an und treibt das Außenhandelsdefizit in diesem Bereich auf immer neue Rekordhöhen.
Sparte | 2023 | Veränderung 2023/2022 *) | Marktanteil |
---|---|---|---|
Industriechemikalien | 60,3 | -27,5 | 36 |
Pharmazeutika | 34,3 | 18,2 | 20,5 |
Düngemittel | 25,5 | -28,6 | 15,2 |
Pflanzenschutzmittel | 19 | -5,0 | 11,4 |
Kosmetika | 11,9 | 21,4 | 7,1 |
Reinigungsmittel | 7,1 | 2,9 | 4,3 |
Farben und Lacke | 5,6 | 10 | 3,3 |
Künstliche und synthetische Fasern | 0,9 | -16,5 | 0,5 |
Andere | 2,8 | -13,8 | 1,7 |
Insgesamt | 167,4 | -13,7 | 100 |
Petrochemie hofft auf Schutz vor Billigimporten
Der Chemieverband Abiquim fordert Antidumping-Maßnahmen gegen 77 Basischemikalien. Globale Überkapazitäten hauptsächlich in China aber auch den USA und anderen Ländern überschwemmen den brasilianischen Markt. Lokal erzeugte Chemikalien können preislich nicht mithalten. Denn die Preise für Naphtha und Erdgas, hohe Steuern und Logistikkosten verteuerten den Standort, meint Abiquim. Umso wichtiger war die Entscheidung der Regierung im August 2023, das Förderprogramm Regime Especial da Indústria Química (REIQ), über das etwa 25 Petrochemieunternehmen Steuererleichterungen erhalten, weiterzuführen.
Aussicht auf Investitionen verbessert sich
Ende 2023 bezifferte Abiquim das voraussichtliche Investitionsvolumen im Bereich Industriechemikalien zwischen 2023 und 2027 auf nur 1,4 Milliarden US$. Doch durch den Trend zur Dekarbonisierung und Brasiliens günstiger grüner Energie verbessert sich die Attraktivität des Standorts. Investoren aus China und aus dem Nahen Osten haben Brasilien im Blick.
Brasiliens Wasserwirtschaft expandiert und der inländische Bedarf an Chlor wird stark steigen. Dementsprechend verzeichnet die Chlor-Alkali-Industrie bereits eine Reihe an Investitionsprojekten. Zwischen 2022 und 2025 wird die Branche voraussichtlich 1 Milliarde US$ investieren.
Förderung für Düngemittel
Um die Lieferketten langfristig zu sichern, veröffentlichte die Regierung im März 2022 ein Strategiepapier. Der Plano Nacional de Fertilizantes (PNF) strebt an, die Importabhängigkeit in den kommenden 30 Jahren von derzeit 85 auf 50 Prozent zu reduzieren. Derzeit debattiert der Senat über ein neues Förderprogramm für den Sektor. PROFERT soll steuerliche Anreize zur inländischen Produktion setzen.
Laut Sinprifert, dem Branchenverband der Düngemittelindustrie, planen die Hersteller derzeit Investitionen von über 4 Milliarden US$ bis 2026. Auf Brasiliens Düngemittelmarkt herrscht eine hohe Marktkonzentration: Die vier größten Unternehmen Mosaic, Yara, Fertipar und Eurochem bedienen etwa drei Viertel der Nachfrage.
Hoher Wettbewerb am Pflanzenschutzmarkt
Biochemische und biologische Pflanzenschutzmittel erwirtschaften einen immer höheren Umsatzanteil. Die Branche investiert entsprechend. Laut dem Marktforschungsinstitut Kynetec handelte es sich bei einem Viertel der 55 Produkte, die im 1. Halbjahr 2023 für den Markt zugelassen wurden, um biologische Mittel. Aufgrund schnellerer Zulassungsverfahren und der Harmonisierung im Außenhandel kommen mehr Produkte auf den Markt, darunter hauptsächlich Generika.
Petrobras investiert in Diesel und Biokraftstoffe
Große Investitionspläne verfolgt der Ölkonzern Petrobras. Rund 17 Milliarden US$ wendet der halbstaatliche Konzern von 2024 bis 2028 für die Verarbeitung, den Transport und den Vertrieb von Kraftstoffen auf. Die Dieselproduktion wird an fünf Raffinerien ausgebaut:
GasLub in Itaboraí
Revap in São José dos Campos
Regap in Betim
Replan in Paulínia und
Rnest in Ipojuca
Hinzu kommen 1,5 Milliarden US$ für Biokraftstoffe. Zudem nimmt Petrobras den Betrieb der Stickstoffdüngeranlage Ansa wieder auf. Für die Fertigstellung der Düngerfabrik UFN 3 versucht der Konzern, arabische Investitionspartner zu gewinnen.
Petrobras verkaufte bis Ende 2022 vier der vormals 14 Raffinerien. Doch mit dem Regierungswechsel 2023 kamen die Privatisierung des Ölkonzerns, die Veräußerung weiterer Raffinerien sowie der Verkauf des Petrochemiekonzerns Braskem zu einem Stopp. Heute wird Brasiliens Kraftstoffmarkt zu etwa 60 Prozent von Petrobras bedient. Rund 20 Prozent des Treibstoffs werden importiert und weitere 20 Prozent von den landesweit acht privaten Raffinerien erzeugt.
Erdgas aus Tiefseefeldern und Argentinien
Brasilien profitiert von den großen Öl- und Gasvorkommen vor der Küste und steigert die Produktion von Jahr zu Jahr. Dadurch kann das Land die bisherigen Lieferungen aus Bolivien ersetzen, die zur Neige gehen. Bereits Ende 2024 soll eine Pipeline den Petrochemiestandort GasLub Itaboraí in Rio de Janeiro versorgen. Eine zweite Pipeline zum GasLub und die Pipeline in Sergipe gehen bis 2029 respektive 2028 in Betrieb. Zudem soll zukünftig Erdgas aus den Vaca-Muerta-Vorkommen in Argentinien über das Pipelinesystem Boliviens nach Brasilien fließen.
Unternehmen | Sparte | Umsatz 2022 1) | Veränderung 2022/2021 2) |
---|---|---|---|
Braskem | Petrochemie | 18,7 | -8,6 |
Mosaic | Düngemittel | 8,3 | 55,9 |
Yara Brasil | Düngemittel | 5,8 | 24,8 |
Syngenta | Pflanzenschutz | 5,5 | 45,2 |
Fertipar | Düngemittel | 5,1 | 29 |
BASF | Chemie | 4,7 | 16,9 |
Unigel | Chemie | 1,9 | 27,3 |
UPL do Brasil | Pflanzenschutz | 1,6 | 5,5 |
FMC | Pflanzenschutz | 1,6 | 26,7 |
Cibra | Düngemittel | 1,5 | 63,5 |