Branchen | Brasilien | Bauwirtschaft
Wettbewerbssituation und Geschäftspraxis
Deutsche Unternehmen müssen langfristig am Markt präsent sein und einen Mehrwert bieten, um sich im Preiswettbewerb durchzusetzen.
19.06.2023
Von Gloria Rose | São Paulo
- Bausektor durchläuft intensive Umstrukturierung
- Branche ist heute fragmentierter
- China engagiert sich - jedoch weiterhin ohne Vorzeigeprojekt
- Branche öffnet sich für Innovationen
- Starker Preiswettbewerb bei Einfuhren
- Besondere Herausforderungen in Brasilien
- Langer Atem als Grundvoraussetzung
- Private und öffentliche Auftragsvergabe
Bausektor durchläuft intensive Umstrukturierung
Ausgewählte Strukturdaten zur Bauwirtschaft in Brasilien (Veränderung in Prozent)
Kennziffer | 2019 1) | 2020 2) | Veränderung 2020/19 3) |
---|---|---|---|
Wert der Bauinvestitionen insgesamt (in Milliarden US$), davon | 68,3 | 59,0 | 12,8 |
Hochbau | 30,2 | 26,4 | 14,2 |
Tief-/Infrastrukturbau | 22,0 | 19,6 | 16,3 |
Spezialisierte Bauleistungen | 16,2 | 13,0 | 5,7 |
Anteil der Bauinvestitionen im öffentlichen Auftrag (in %) | 30,3 | 30,0 | |
Anzahl der Unternehmen, davon | 125.077 | 131.809 | 5,4 |
Hochbau | 49.568 | 52.925 | 6,8 |
Tief-/Infrastrukturbau | 13.036 | 14.048 | 7,8 |
Spezialisierte Bauleistungen | 62.473 | 64.836 | 3,8 |
Wohnbau, davon 4) | |||
Neuangebote (Anzahl/Einheiten) | 184.761 | 151.782 | -17,8 |
Verkäufe (Anzahl/Einheiten) | 172.902 | 189.857 | 9,8 |
Bestand an Immobilienangeboten zum Jahresende (Einheiten) | 187.836 | 164.786 | -12,3 |
Bis vor wenigen Jahren wurden Aufträge in Brasiliens Tiefbau größtenteils staatlich ausgeschrieben. Heute fehlen dem Staat dafür die nötigen Finanzressourcen. Der Einbruch der Auftragslage und die Korruptionsaffären der Ermittlungsoperation Lava Jato brachten alle großen brasilianischen Baukonzerne in finanzielle Schwierigkeiten. Heute erfolgt der Tiefbau zu 80 Prozent im Auftrag privater Konzessionäre oder anderer Investoren. Allerdings verlor der Tiefbau durch den Einbruch der Staatsausgaben auch an Gewicht. Im Jahr 2011 trug das Segment 42 Prozent zum Branchenumsatz bei, zehn Jahre später waren es nur noch 33 Prozent.
Mit der Trendwende zu privaten Auftraggebern etablieren sich neue Wettbewerbsbedingungen für den Tiefbau. Die ehemals Großen haben Effizienzaspekte jahrzehntelang vernachlässigt. Privaten Betreiberunternehmen können sie daher oft keine attraktiven Lösungen anbieten. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass die Konzerne zukünftig für Korruptionsaffären belangt werden, die bislang nicht bekannt wurden. Damit wären bereits geschlossene Wiedergutmachungsabkommen mit dem Staat hinfällig. Einmal in Verruf geraten, wird es schwer, das Vertrauen der privaten Auftraggeber zu gewinnen.
Branche ist heute fragmentierter
Während vor zehn Jahren die acht größten Konzerne ein Viertel des Umsatzes im Tiefbau erwirtschafteten, tragen die acht größten heute gerade einmal 10 Prozent zum Tiefbauumsatz bei. Der Umsatz der ehemals bedeutenden brasilianischen Baukonzerne Odebrecht (heute: OEC), Andrade Gutierrez, Camargo Corrêa, OAS (heute: Metha), Queiroz Galvão (heute: Álya Construtora), Galvão Engenharia, UTC Engenharia und Constran brach rasant ein. Hinzu kamen hohe Strafzahlungen, die die zukünftigen Gewinne schmälerten. Viele beantragten ein gerichtliches Sanierungsverfahren und haben Schwierigkeiten, Garantien für Großprojekte beizubringen. Die Umstrukturierung in der Baubranche ist noch immer in Gang.
Von Brasiliens mittelgroßen Bauunternehmen sind nur wenige in der Lage, die erforderlichen Garantien zu bieten und Großaufträge anzunehmen. Zu den Ausnahmen gehört die HTB Gruppe, zu der auch das Bauunternehmen Tedesco (Porto Alegre) gehört. HTB rückte im Ranking der Topkonzerne bereits nach oben. Durch die Verlangsamung im Infrastrukturausbau bleibt den vormals mittelständischen Bauunternehmen U&M Mineração e Construção, Barbosa Melo, HTB, Racional und Construcap mehr Zeit, sich als die neuen großen Generalunternehmen (EPC-Contractor) zu etablieren.
China engagiert sich - jedoch weiterhin ohne Vorzeigeprojekt
Im Jahr 2016 übernahm China Communications Construction Company (CCCC) den von der Lava-Jato-Affäre betroffenen Baukonzern Concremat. Während der Reise von Präsident Lula nach China im April 2023 unterzeichnete der chinesische Baugigant ein Vorhaben für eine Schienenstrecke im Bundesstaat Pará, die 2 Milliarden US-Dollar (US$) kosten soll. Aus dem geplanten Bau eines Privathafens in São Luís im benachbarten Bundesstaat Maranhão wurde jedoch bislang nichts. Auch andere Ankündigungen setzte CCCC nicht um. Nach mehrmaligem Aufschub soll nun aber der vierjährige Bau der längsten Brücke Lateinamerikas zwischen Salvador und der Insel Itaparica (Bundesstaat Bahia) starten. Die 35-jährige Konzession, die sich CCCC im Jahr 2020 zusammen mit dem chinesischen Konzern CR20 sicherte, wurde Anfang 2022 preislich angepasst.
Neben CCCC und CR20 engagieren sich weitere chinesische Infrastrukturkonzerne im Land. Seit 2018 errichtete die chinesische Gruppe Shandong Kerui zusammen mit Método die Erdgasverarbeitungsanlage Itaboraí (Rio de Janeiro). Allerdings kündigte Petrobras den Vertrag mit dem Konsortium Kerui-Método 2022 auf. Jetzt wird der brasilianische EPC-Generalunternehmer Toyo Setal den Erdgaskomplex fertigstellen. Für den Bau der Schienenstrecke FIOL nahm der Bergbaukonzern BAMIN im April 2023 das Konsortium des brasilianischen Tiefbauunternehmens Tiisa mit CREC-10, der Tochter der China Railway Group, unter Vertrag.
Die chinesischen Staatskonzerne CTG, SPIC und State Grid etablierten sich als wichtige Akteure in Brasiliens Stromsektor. China Energy Engineering Corporation (CEEC) unterzeichnete anlässlich des Chinabesuchs von Präsident Lula ein Abkommen zur Investition von 10 Milliarden US$ in erneuerbare Energien in Brasilien. Chinas Energiegigant ist bereits an einem Windpark und einem Solarpark im nordöstlichen Bundesstaat Rio Grande do Norte beteiligt. CEEC-Tochter China Gezhouba Group Corporation (CGGC) übernahm 2018 die öffentlich-private Partnerschaft des Wasserreservoirs São Lourenço und plant den Bau eines Gaskraftwerkes in Maricá (Rio de Janeiro).
Neben den chinesischen Konzernen betätigen sich nur wenige ausländische Bauunternehmen in Brasilien. Dazu gehören der spanische Baukonzern Acciona, ECB der portugiesischen Gruppe Mota-Engil und HTB der deutschen Zech-Gruppe. Der kanadische Investmentfonds Brookfield engagiert sich in Brasiliens Wasserwirtschaft über das Unternehmen BRK Ambiental.
Top 10 der Baukonzerne in Brasilien 2021 (Umsatz in Millionen US$, Veränderung in Prozent)
Unternehmen | Bruttoumsatz 20211) | Veränderung 2021/20 2) |
---|---|---|
549 | -21 | |
259 | 24 | |
249 | 21 | |
241 | 657 | |
211 | 21 | |
191 | 132 | |
188 | 58 | |
187 | 5 | |
181 | -5 | |
177 | 21 |
Branche öffnet sich für Innovationen
Brasilianische Start-ups haben die Bauwirtschaft für sich entdeckt und beleben die Branche. Erfolgreiche Bespiele stellen Tecverde, Ambar und Housi dar. QuintoAndar und Loft zählen bereits zu den Einhörnern, sprich erzielten eine Marktbewertung von über 1 Milliarde US$. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre verdreifachte sich die Anzahl der sogenannten PropTechs und ConstruTechs in Brasilien. Im Jahr 2022 verzeichnete Terracotta Ventures 955 Start-ups des Immobilien- und Baugewerbes, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Wagniskapitalgeber fördert das Ökosystem über die Plattform MITHUB. Einige Bauunternehmen, Wohnungsbaugesellschaften und auch Baumaterialhersteller beteiligen sich aktiv an der Entwicklung. Eine digitale Disruption erwartet die eher konservative Branche jedoch nicht.
Top 10 der Wohnungsbaugesellschaften in Brasilien 2021 (Umsatz in Millionen US$, Veränderung in Prozent)
Unternehmen | Bruttoumsatz 20211) | Veränderung 2021/20 2) |
---|---|---|
1.318 | 4,8 | |
911 | 25,3 | |
421 | 31,1 | |
329 | 8,4 | |
322 | 46,0 | |
273 | 180,0 | |
241 | 41,0 | |
185 | 9,2 | |
177 | -6,4 | |
163 | 90,0 |
Top 10 der Baumaterialhersteller in Brasilien 2021 (Umsatz in Millionen US$, Veränderung in Prozent)
Unternehmen | Bruttoumsatz 20211) | Veränderung 2021/20 2) | Produkte |
---|---|---|---|
4.129 | 33,2 | Zement und -derivate, Mörtel, Fugenmasse etc. | |
1.513 | 39,0 | Holz- und Keramikverkleidungen, Holzplatten, Sanitärprodukte | |
Arauco (Chile) | 595 | 70,1 | Holzplatten und -verkleidungen |
584 | 31,2 | Zement und -derivate | |
555 | 50,6 | Holzplatten und -verkleidungen | |
454 | 36,3 | Holzplatten, -verkleidungen, -türen | |
LafargeHolcim (Schweiz) | 397 | 46,6 | Zement und -derivate, Einzelhandel |
372 | 52,1 | Betone und -derivate | |
354 | 43,6 | Porzellan- und Keramikfliesen |
Starker Preiswettbewerb bei Einfuhren
Zölle und der schwache Real verteuern die Einfuhr deutscher Produkte, die sich im Preiswettbewerb insbesondere gegenüber Importen aus China behaupten müssen. Über das Sonderregime Ex-tarifário kann eine vorübergehende Zollbefreiung für Technologien beantragt werden, die nicht in Brasilien verfügbar sind. Herstellergarantien, Vorteile im Kundenservice oder in der Finanzierung helfen, den Absatz zu steigern. Das Geschäftsmodell sollte auf Bedarf und Geschäftspraxis der jeweiligen Abnehmer abgestimmt werden.
Besondere Herausforderungen in Brasilien
Aufgrund der Größe des Landes unterscheiden sich die natürlichen Gegebenheiten, lokalen Gewohnheiten und auch Bauweisen in Brasilien sehr stark. Deutsche Akteure, die in Brasilien tätig sind, beklagen den Mangel an handwerklich ausgebildetem Personal, Ingenieuren und koordinierter Planung. Hinzu kommen bürokratische Verzögerungen bei Umweltlizenzen sowie ein ineffizienter Einsatz von Arbeitskraft und Material. Widrigkeiten bergen auch der Transport und die Lagerung von Materialien, ökologische Schäden und hohe Energiekosten.
Langer Atem als Grundvoraussetzung
Geschäftsbeziehungen entstehen in Brasilien in der Regel über eine persönliche Vertrauensbasis. Entscheidend sind Zuverlässigkeit und Vertrauen - gerade bei Infrastrukturprojekten, die in der Regel über einen langen Zeitraum projektiert, ausgeführt und auch im Nachhinein begleitet werden.
Um sich zu platzieren, muss ein deutsches Unternehmen den brasilianischen Markt langfristig begleiten und präsent sein. Ein spontaner Markteintritt zum Zeitpunkt hoher Nachfrage ist selten erfolgreich, es sei denn, es können besonders große Preis- oder Effizienzvorteile geboten werden. Eine langfristige Zusammenarbeit mit brasilianischen Partnerunternehmen bietet sich auch wegen der immer noch hohen Bürokratie und des komplizierten Steuersystems an.
Private und öffentliche Auftragsvergabe
Als Generalunternehmen (EPC-Contractor) fungieren neben den Baukonzernen und Wohnungsbaugesellschaften auch große Gesellschaften für Prestige-Immobilien wie der US-Konzern Tishman Speyer. Bei der gezielten Kontaktsuche unterstützen die Auslandshandelskammern die deutschen Unternehmen.
Im Tiefbau empfiehlt sich ein frühzeitiger Kontakt zu potenziellen Konzessionsnehmern - möglichst noch vor einer Versteigerung der Verträge. Nur so kann der interessierte Betreiber Effizienzgewinne durch moderne Technologien in sein Gebot einkalkulieren.
Ausschreibungen öffentlicher Projekte werden über das zentrale Portal de Compras veröffentlicht. Die Teilnahme ausländischer Unternehmen wurde bereits im Jahr 2020 entbürokratisiert. Durch den neuen Rechtsrahmen Lei nº 14.133/2021, der ab Ende 2023 auf den drei föderalen Ebenen verpflichtend sein wird, ergeben sich weitere Vereinfachungen.
Die GTAI stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen zur Verfügung.