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Wirtschaftsumfeld | Brasilien | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten

Arbeitsmarkt

Nach zwei Jahren Pandemie ist die Arbeitslosenquote auf einen Tiefstand gefallen. Für deutsche Unternehmen mit Bedarf an Fachkräften bleibt Brasilien ein schwieriges Terrain.

Von Johannes Dimas | Rio de Janeiro

Die Arbeitslosigkeit in Brasilien ist 2022 kontinuierlich gesunken. Im August fiel die offizielle Arbeitslosenquote auf unter neun Prozent. Das ist der niedrigste Stand seit rund sieben Jahren. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 hatte sie noch bei über 14 Prozent gelegen.

Informelle Beschäftigung ist in Brasilien weit verbreitet. Anfang 2022 hatten 40 Prozent aller Erwerbstätigen kein formales Arbeitsverhältnis, meldet das brasilianische Statistikamt IBGE. Für deutsche Niederlassungen sind allerdings die formalen Arbeitsverhältnisse von Bedeutung, deren Regelungen auf dem brasilianischen Arbeitsgesetzbuch (CLT) basieren. Das Gros der Arbeitnehmer in Brasilien arbeitet in Vollzeit, Teilzeitarbeit ist selten.

In der Praxis macht es bei Verhandlungen zu Löhnen oder Überstunden einen großen Unterschied, ob Gewerkschaften oder andere Arbeitnehmervertretungen involviert sind. Die offiziell registrierten Gewerkschaften vertreten laut IBGE gut ein Zehntel der formal Beschäftigten. Darüber hinaus haben konkurrierende Vereinigungen einen großen Einfluss, so zum Beispiel die freien Verbände der Lkw-Fahrer.

Allgemeine Arbeitsmarktdaten

Bevölkerung (in Mio.)1)

214,0

Erwerbspersonen - Erwerbstätige und Arbeitslose ab einschl. 14 Jahren (in Mio.)1)

108,4

Erwerbstätige (ab einschl. 14 Jahren in Mio.)1)

 98,3

Arbeitslosenquote, offizielle (in %)1)

9,3

Analphabetenquote 2019 (in %)2)

6,6

Universitätsabschluss 2018 (25 bis 34 Jahre in %)3)

21,3

Universitätsabschluss 2018 (55 bis 64 Jahre in %)3)

14,3

1) Angaben des IBGE für das 2. Quartal 2022; 2) Angaben des IBGE; 3) Angaben des INEPQuelle: Brasilianisches Statistikamt IBGE 2019 und 2022; Instituto Nacional de Estudos e Pesquisas Educacionais Anísio Teixeira (INEP) 2019

Neoliberale Reformen auf dem Prüfstand

Die Politik des am 30. Oktober 2022 abgewählten Präsidenten Jair Bolsonaro zielte auf eine Schwächung der Gewerkschaften und der individuellen Rechte von Arbeitskräften. Klagerechte der Arbeitnehmer wurden eingeschränkt und Strafzahlungen für Unternehmer im Zuge von Kündigungen reduziert. Damit gelang eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Allerdings wurde keine Antwort auf den Fachkräftemangel gefunden.

Der zukünftige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat sich für eine Rücknahme einzelner Reformen ausgesprochen, ohne dies jedoch zu konkretisieren. Arbeitnehmer und Selbstständige sollen sozial besser abgesichert, der Mindestlohn aufgewertet und das öffentliche Bildungswesen ausgebaut werden. Privatisierungen steht er skeptisch gegenüber. Eine Steuerreform soll Wohlhabende progressiv stärker belasten.

Die Machtverhältnisse im Nationalkongress stehen jedoch einem radikalen Kurswechsel im Wege. Der linksgerichtete Lula wird Allianzen schmieden und Kompromisse eingehen müssen.

Fachkräftemangel drückt auf Qualität und Produktivität

Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bereitet vielen Unternehmen in Brasilien Probleme. Nach einer Umfrage des Verbands der Industrie (CNI) aus dem Jahr 2020 traf dies auf die Hälfte der befragten Unternehmen zu. Fast alle befragten Firmen aus den Bereichen Rohstoffe und verarbeitendes Gewerbe gaben an, dass sich dies negativ auf die Produktivität und Qualität der Produkte auswirke.

Die unzureichende Fähigkeit Brasiliens, Nachwuchskräfte zu fördern, zu halten und dem Arbeitsmarkt bereitzustellen, spiegelt sich auch in den Rankings des International Institute for Management Development (IMD) wider:

Im Ranking zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit fällt Brasilien weiter zurück. Beim Unterkriterium Bildung ist es das Schlusslicht. Insgesamt kommt Brasilien im Jahr 2022 nur auf Platz 59 von 63 untersuchten Ländern (2020: 56; 2021: 57). Damit reiht sich die stärkste Wirtschaftsmacht in der Region hinter Länder wie Chile, Peru, Mexiko und Kolumbien ein. Auch im World Talent Ranking des IMD belegt Brasilien regelmäßig die letzten Plätze.

Während Lula als Präsident in seiner Amtszeit bis Anfang 2011 die Bildungschancen für ärmere Bevölkerungsteile erfolgreich forcierte, vernachlässigte der neoliberale Kurs der letzten Jahre den Bildungssektor. In seiner neuen Amtsperiode will Lula einen Schwerpunkt auf die öffentliche Bildung legen. Dabei hat er auch die Defizite im Blick, die die Pandemie hinterlassen hat. Mittel- bis langfristig kann das dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Agenturen unterstützen die Personalverwaltung

Die Anwerbung von Fachkräften in Brasilien stellt nicht nur ausländische Unternehmen vor Herausforderungen. Für die Rekrutierung auf Hochschulniveau und von Führungskräften werden oft Personalagenturen eingesetzt.

Unter den sozialen Netzwerken kommt LinkedIn eine herausragende Bedeutung zu. Plattformen wie Vagas zielen auf ein breiteres Spektrum. Bei der Suche nach Arbeitskräften mit geringerem Ausbildungsstand helfen das nationale Beschäftigungssystem (SINE) und die Gewerkschaften.

Brasilianischen Arbeitskräften wird oft eine geringe Loyalität nachgesagt. Etablierte Wirtschaftsbereiche mit hohem Wettbewerbsdruck, etwa die Automobilindustrie, konnten jedoch die Fluktuation mit angemessenen Löhnen und Leistungen senken.

Die komplexen arbeitsrechtlichen Bedingungen sollten nicht unterschätzt werden. Agenturen unterstützen Firmen bei der Strukturierung von Arbeitsentgelten, der Lohnbuchhaltung und bieten zunehmend Lösungen zur Auslagerung an.

Outsourcing liegt im Trend

Alternativen zu formalen Anstellungen wurden zuletzt erleichtert. Neben den klassischen Bereichen Reinigung und Objektschutz werden insbesondere IT-Dienstleistungen ausgelagert.

Dienstleistungen können von Einzelunternehmen (PJ, pessoa jurídica) und Selbstständigen (autónomo) bezogen werden. Risiken hinsichtlich Scheinselbstständigkeit bestehen jedoch mit Blick auf juristische Unsicherheiten und lange Verfahrenszeiten weiter.

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