Immer mehr Menschen in Europa nutzen die Bahn. Verkehrsunternehmen investieren darum in neue Züge. Steigende Nachfrage und mehr Wettbewerb schaffen Chancen für deutsche Zulieferer.
Noch nie haben so viele Menschen in der EU so weite Strecken mit der Bahn zurückgelegt wie heute. Das zeigt ein Blick auf die sogenannten Personenkilometer – ein Wert, der sich berechnet aus der Summe der Fahrgäste multipliziert mit der zurückgelegten Strecke.
Die europäische Statistikbehörde Eurostat meldet für das jüngste verfügbare Jahr 2023 ein Ergebnis von 429,6 Milliarden Personenkilometern. Die Zahl übertrifft das bisherige Rekordjahr 2019 um 9,6 Prozent. Berichte von nationalen Stellen deuten auf weiteres Wachstum im Jahr 2024 und im 1. Halbjahr 2025 hin.
Geht es nach den Beförderungsunternehmen, hält der Aufwärtstrend an. So verkündet die italienische Staatsbahn FS, man werde zwischen 2025 und 2039 die Zahl der Fahrgäste in Hochgeschwindigkeitszügen um 30 Prozent erhöhen.
Schnelle und international einsetzbare Züge sind gefragt
Damit dieses Vorhaben gelingt, investiert FS in Rollmaterial. Bis 2034 will das Unternehmen bis zu 46 Hochgeschwindigkeitszüge für über 1,3 Milliarden Euro beim Hersteller Hitachi beschaffen. Die Züge sollen Geschwindigkeiten von rund 300 Kilometern in der Stunde erreichen.
Solche Investitionen sind kein Einzelfall. Die tschechische Staatsbahn ČD beschaffte 2024 Lokomotiven und Waggons im Wert von 750 Millionen Euro. Für 2025 plant der Beförderer eine ähnliche Summe ein.
Auch durch Polen rollt eine Modernisierungswelle. Auslöser ist die Freigabe wichtiger EU-Fördermittel durch die Europäische Kommission im Jahr 2024. Die Zuschüsse fließen nun in die Bahnindustrie. Der staatliche Personenbeförderer PKP Intercity bestellte 46 Elektrolokomotiven und 63 Mehrsystem-Lokomotiven für insgesamt 740 Millionen Euro beim polnischen Zughersteller Newag. Zusätzlich orderte das Unternehmen 350 Waggons beim Anbieter FPS H. Cegielski. Mit den Mehrsystem-Lokomotiven will Polen internationale Strecken bedienen, denn die Fahrzeuge vertragen unterschiedliche Netzspannungen.
Auch die Schweiz denkt grenzüberschreitend: Die Staatsbahn SBB kündigte an, im Jahr 2026 bis zu 40 mehrsystemfähige Schnellzüge für Fahrten ins Ausland auszuschreiben. Als Grund nennt das Unternehmen die wachsende Zahl internationaler Bahnreisender.
Solche Großaufträge laufen nicht immer reibungslos. In Spanien wartet der staatliche Betreiber RENFE auf 30 Hochgeschwindigkeitszüge vom Hersteller Talgo. Weil die im Jahr 2016 bestellten Fahrzeuge auch Mitte 2025 noch nicht geliefert wurden, machte RENFE Vertragsstrafen geltend. Talgo steht mittlerweile vor einer Übernahme durch den Stahlkonzern Sidenor.
Neuer Wettbewerb belebt das Geschäft
Dass die staatlichen Bahnunternehmen investieren, hat noch einen weiteren Grund: Sie bereiten sich auf neue Konkurrenz vor. Das vierte Eisenbahnpaket der EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, Personenverkehrsdienste künftig auszuschreiben. Eine Bevorzugung staatlicher Anbieter ist nicht mehr zulässig, sobald bestehende Verträge auslaufen.
Diese schrittweise Liberalisierung zeigt bereits Wirkung. In Frankreich drängen zunehmend italienische, spanische und weitere internationale Bahngesellschaften auf den Markt. Seit Juni 2025 betreibt etwa Transdev – ein Unternehmen mit Beteiligung der deutschen Holding Rethmann – die Verbindung Marseille-Nizza.
Der Markteintritt neuer Anbieter zieht Investitionen nach sich. So will das Unternehmen Velvet künftig im Westen Frankreichs Verbindungen anbieten. Zu diesem Zweck hat der Beförderer zwölf TGV-Schnellzüge beim französischen Hersteller Alstom bestellt. Die Fahrzeuge sollen ab 2028 den Betrieb aufnehmen.
Tschechien öffnete seinen Bahnmarkt bereits vor Jahren. Seither bewerben sich private Anbieter wie RegioJet, Arriva und Leo Express um Verkehrsleistungen. Die Firmen wollen ihre Marktanteile auf Kosten der Staatsbahn ČD weiter ausbauen.
Nicht alle Länder öffnen ihren Bahnmarkt
Wachstumschancen gibt es im Großraum Prag. Hier läuft die größte Ausschreibung für einen neuen Verkehrsbetreiber in der Geschichte Tschechiens. Der Vertrag soll von 2029 bis 2059 laufen. Der Gewinner müsste voraussichtlich 54 Doppelstocktriebzüge beschaffen.
Auch der polnische Anbieter PKP-Intercity kündigt an, Doppelstockzüge einzukaufen. Die Hersteller Stadler und Alstom haben Angebote eingereicht. Es geht um 42 Triebzüge für mehr als 2 Milliarden Euro. PKP-Intercity könnte bald neue Konkurrenz bekommen. Polens Regierung kündigt den Bau eines Streckennetzes für Hochgeschwindigkeitszüge an. Die Gleise sollen Ballungsräume mit dem geplanten Großflughafen CPK verbinden. In diesem Zusammenhang will die CPK-Projektgesellschaft einen Fuhrpark aus Schnellzügen aufbauen. Auch PKP-Intercity plant damit, entsprechende Fahrzeuge zu kaufen. Der deutsche Lieferant Siemens lässt bereits Interesse an den Projekten durchklingen.
Die Schweiz ist als Nicht-EU-Mitglied ein Sonderfall bei der Liberalisierung der Schiene. Trotz Drucks der Europäischen Kommission bleibt der nationale Personenfernverkehr weitgehend in der Hand der SBB. Beim Warentransport über die Schiene regiert hingegen der freie Markt - wie auch in den Staaten der EU. Die Güterverkehrstochter SBB Cargo will bis 2040 ihr gesamtes Rollmaterial erneuern.
Deutsche Zulieferer agieren in einem innovativen Marktumfeld
Die meisten Züge auf Europas Schienen stammen aus europäischen Fabriken. In Italien produziert Hitachi verschiedene Modelle für den Fern-, Regional- und Nahverkehr. Der japanische Konzern nutzt die ehemaligen Produktionshallen des Bahnunternehmens Ansaldo. Der Markenname Ansaldo Trasporti lebt weiter. Inzwischen gehört er dem italienischen Unternehmen Gesa Industry.
Italien behauptet sich auch als Entwicklungsstandort. Der französische Alstom-Konzern forscht in seinen italienischen Niederlassungen an Wasserstoffzügen.
Deutsche Hersteller liefern Komponenten für Züge in ganz Europa. Auf dem spanischen Markt ist beispielsweise das Thüringer Unternehmen Schliess- und Sicherungssysteme seit über 20 Jahren aktiv. Es produziert Artikel wie Türen, Fenster und Rampen. Der Markteinstieg gelang über eine Kooperation zwischen Siemens und Talgo. Heute macht das Spanien-Geschäft 12 Prozent des Umsatzes aus. "Spanien bleibt für uns ein wichtiger Markt, auf dem wir weiter wachsen wollen", sagt Geschäftsführerin Mareike Hilke gegenüber Germany Trade & Invest. Das Potenzial ist groß: Neben Talgo produzieren hier Branchengrößen wie CAF, Alstom und Siemens.
In der Schweiz dominiert der heimische Hersteller Stadler Rail den Markt. Dennoch können sich deutsche Zulieferer erfolgreich positionieren - wie zum Beispiel Knorr-Bremse aus München. Das Unternehmen unterzeichnete 2024 mit Stadler einen langfristigen Wartungsvertrag. Knorr-Bremse wird Bremssysteme für den Schweizer Zughersteller reparieren und austauschen.
In Tschechien prägen Škoda Transportation und CZ LOKO die Branche. Forschung und Entwicklung stehen bei den Unternehmen hoch im Kurs. Ein Beispiel: Die Prager Firma AŽD entwickelt einen autonom fahrenden Zug, der im April 2025 erstmals mit Passagieren unterwegs war.
Die Hersteller in Polen bereiten sich in der Zwischenzeit auf die Ausschreibungen für Hochgeschwindigkeitszüge vor. Noch fehlen im Land die nötigen Technologien. Newag setzt deshalb auf eine Kooperation mit der koreanischen Firma Hyundai Rotem. Der zweite große polnische Zughersteller PESA arbeitet mit Talgo zusammen.
Leasingmodelle gewinnen an Bedeutung
Ein Trend unter Bahnunternehmen ist, dass die Beförderer immer mehr Züge mieten oder leasen, statt zu kaufen. Deutsche Fahrzeughersteller nutzen diese Entwicklung. Cargounit, der größte Verleiher in Mittelosteuropa, besitzt über 100 Elektrolokomotiven von Siemens. Im Juni 2025 bestellte der Verleiher weitere 22 Fahrzeuge der Baureihe Vectron.
Auch in Frankreich gibt es für Siemens Grund zur Freude: Das Leasingunternehmen Alpha Trains bestellte 35 Vectrons mit einer Option auf 35 weitere Lokomotiven.