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Mehr Tempo und Sicherheit für Tschechiens Schienennetz
Die zentrale Lage verleiht Tschechien eine Schlüsselrolle im europäischen Eisenbahnverkehr. Doch der Ausbau des Schienennetzes wurde vernachlässigt und muss nun nachgeholt werden.
28.08.2025
Von Gerit Schulze | Prag
Die Tschechische Republik ist ein Eisenbahnland. Mit über 9.500 Kilometern an Schienenstrecken hat sie ein verzweigtes Gleisnetz, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten weitgehend stabil geblieben ist. Die Bahntrassen sind doppelt so lang wie im viermal größeren Finnland.
Jahr | Länge in km | Davon elektrifiziert |
---|---|---|
1995 | 9.430 | 2.640 |
2005 | 9.614 | 2.997 |
2015 | 9.566 | 3.208 |
2024 | 9.514 | 3.277 |
Allerdings spielt das Land seinen geografischen Vorteil nur unzureichend aus. Das zeigt ein Blick in die Statistik von IRG-Rail, einer Plattform der Eisenbahnregulierungsbehörden Europas. Demnach wird ein Kilometer Schiene in Tschechien pro Tag nur für 51 Zugkilometer genutzt. Diese "Network usage intensity" genannte Kennziffer für 2023 beschreibt, wie intensiv ein Schienennetz befahren wird. In Deutschland betrug dieser Wert 81 Kilometer und in der Schweiz sogar 124 Kilometer.
Obwohl Tschechien ein gut ausgebautes Eisenbahnnetz hat, ist die Qualität der Infrastruktur unterdurchschnittlich. Erst ein Drittel der Strecken ist elektrifiziert. In Europa (ohne Russland und Belarus) liegt der Anteil bei über 50 Prozent, im Nachbarland Polen bei 63 Prozent, wie Zahlen der IRG-Rail für 2023 belegen.
Bislang ohne Hochgeschwindigkeit
Auch beim Aufbau eines Hochgeschwindigkeitsnetzes hinkt Tschechien anderen Ländern in Europa hinterher. Das maximale Zugtempo auf den Gleisen beträgt 160 Kilometer pro Stunde. Beim Ausbau der Schienenwege konzentriert sich Prag daher in den kommenden Jahrzehnten auf fünf Bereiche:
- Bau von Hochgeschwindigkeitsstrecken
- Elektrifizierung und Modernisierung bestehender Strecken
- Einführung des Europäischen Zugsicherungssystems ETCS
- Ausbau der Bahnhöfe und Knotenpunkte
- Integration der tschechischen Schienenwege in die Transeuropäischen Netze (TEN-V) und internationalen Korridore
Der Bau des Hochgeschwindigkeitsnetzes startete im Mai 2025 bei Prostějov in der Region Olomouc. Derzeit laufen die Planungs- und Genehmigungsverfahren für weitere Abschnitte. Insgesamt werden Neubaustrecken auf einer Länge von 350 Kilometern projektiert. Auf ihnen sollen Höchstgeschwindigkeiten bis zu 320 Kilometer pro Stunde möglich sein. Der Bau würde nach aktuellen Schätzungen rund 31 Milliarden Euro kosten.
Die wichtigste Achse führt von der sächsisch-tschechischen Grenze über Prag und Brno bis nach Břeclav, von wo Abzweige nach Wien und Bratislava verlaufen. Für die Neubaustrecke Prag-Dresden wollen Tschechien und Deutschland einen 30 Kilometer langen Tunnel durch das Erzgebirge bohren. Eine zweite Achse geht von Brno über Ostrava in Richtung Katowice. Ein dritter Zweig verbindet Prag in nordöstlicher Richtung mit Hradec Králové und Pardubice und geht weiter ins polnische Wrocław. Südwestlich führt diese Strecke über Plzeň nach München.
Die neue Leitstelle für das Hochgeschwindigkeitsnetz entsteht im Prager Stadtteil Libeň. Baustart dafür ist 2027.
Neues Zugsicherungssystem wird flächendeckend eingeführt
Eine wichtige Voraussetzung für höhere Geschwindigkeiten ist die Einführung des Europäischen Zugsicherungssystems ETCS. Es soll das bisherige nationale System LVZ LS ablösen und die Sicherheit und Interoperabilität im tschechischen Bahnverkehr verbessern.
Der "Plan zur Modernisierung der Sicherungssysteme des tschechischen Eisenbahnnetzes" sieht vor, das gesamte Streckennetz bis 2040 umzurüsten. Bis 2030 sollen 55 Prozent geschafft sein. Außerdem werden alle Schienenfahrzeuge mit ETCS-Bordeinheiten (OBU) ausgestattet.
Bereits seit 2023 läuft auf der Strecke Olomouc-Uničov ein Pilotbetrieb. Die Trasse ist mit ETCS Level 2 ausgestattet, das eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Zug und Streckenzentrale ermöglicht.
Die geschätzten Gesamtkosten für die Einführung des neuen Zugsicherungssystems belaufen sich auf 1,4 Milliarden Euro. Davon entfällt das meiste Volumen auf die Bahnstrecken und ein geringer Teil auf die Umrüstung der Fahrzeuge.
Die Mittel stammen aus den EU-Fonds Connecting Europe Facility (CEF) und dem Operationellen Programm Verkehr (OPD3) sowie aus dem Staatlichen Infrastrukturfonds für den Verkehrssektor (SFDI). Die Europäische Investitionsbank (EIB) genehmigte 2023 einen Kredit über rund 1 Milliarde Euro für die Modernisierung des tschechischen Eisenbahnnetzes. Die Hälfte davon fließt in die ETCS-Einführung und den Bau sicherer Bahnübergänge. Die tschechische Regierung verhandelt mit der EIB über einen weiteren Kredit von 2,6 Milliarden Euro für die Verkehrsinfrastruktur.
Mehr Güterverkehr soll auf die Schiene
Neben der flächendeckenden Einführung des ETCS muss Tschechien die Elektrifizierung seiner Bahntrassen vorantreiben. Das würde nicht nur höhere Reisegeschwindigkeiten erlauben, sondern auch die Schadstoffemissionen im Bahnverkehr verringern. Außerdem soll die Eisenbahn gegenüber Lkw-Transporten aufgewertet werden. Tschechiens strategisches Ziel ist es, 75 Prozent des Güterverkehrs ab einer Distanz von 300 Kilometern von der Straße auf Schiene und Wasser zu verlagern.
Die Streckenelektrifizierung findet nicht nur beim Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes statt, sondern auch auf bestehenden Trassen. Dazu gehören Prag-Kladno mit Anbindung des Václav-Havel-Flughafens, Plzeň-Domažlice und Brno-Přerov.
Bis 2050 soll das Kernnetz der Eisenbahn elektrifiziert sein. Neben der Finanzierung aus nationalen und EU-Mitteln sind öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) geplant.
Projektentwickler interessieren sich für Bahnhöfe
Private Investoren werden auch bei der Sanierung wichtiger Bahnhöfe eingebunden. Knotenpunkte wie Prag, Brno und Ostrava werden modernisiert, um die Kapazitäten für Fern-, Nah- und Güterverkehr zu erweitern und die Verknüpfung von Bahn, Bus, Rad und Auto zu verbessern. Häufig befinden sich die Objekte in bester Lage und sind damit für Immobilienentwickler interessant. In Prag engagieren sie sich beim Umbau der Bahnhöfe Masarykovo nádraží und Smíchov. Dabei sind technische Lösungen für Barrierefreiheit und eine moderne Ausstattung gefragt.
Projektliste: Großvorhaben bieten gute Geschäftschancen
Landesweit füllt sich die Liste an ambitionierten Investitionsprojekten. Sie könnten Tschechiens Eisenbahnwesen zu einem Qualitätssprung verhelfen und eröffnen auch deutschen Anbietern gute Beteiligungschancen.
Bezeichnung | Stand & Zeitplan | Projektträger | Projektvolumen in Mio. Euro *) |
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Ausbau des Eisenbahnknotens Prag | Teile des Prager Eisenbahnverkehrs sollen unter die Erde verlegt werden. Dafür sind neue Tunnelsysteme und unterirdische Bahnhöfe geplant. Baubeginn 2035, Betrieb ab 2047 | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | 7.400 |
Umbau des Eisenbahnknotens Brno | Verlegung und Umbau des Bahnhofsareals, Anbindung an Hochgeschwindigkeitsnetz, Kreuzung der TEN-V-Strecken, Bauarbeiten für 2028 bis 2035 geplant | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium, Staatlicher Fonds für die Verkehrsinfrastruktur, Stadt Brno | 2.900 |
Neubau der Bahnstrecke von Prag nach Beroun | Geschwindigkeiten von 200 km/h angepeilt, u.a. großer Tunnel nötig, ist Teil der Strecke von Prag über Plzeň nach Deutschland, Bau für 2028 bis 2038 geplant | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | 2.000 |
Umbau des Prager Hauptbahnhofes | Umbau des Bahnhofes und Überbauung der Schienen für Wohn- und Gewerbeimmobilien | Penta Real Estate; Stadt Prag; Bahngesellschaft České dráhy; Projektbüro SUDOP Praha; Prager Verkehrsbetriebe (Dopravní podnik hlavního města Prahy); Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic) | mehrere hundert |
Ausbau der Eisenbahnstrecke Prag-Václav-Havel-Flughafen-Kladno | Bau begonnen, insgesamt 11 Etappen, Fertigstellung für 2030 geplant, ÖPP-Projekt | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | mehrere hundert |
Modernisierung der Eisenbahnstrecke von Litoměřice nach Ústí nad Laben und Děčín und Ausrüstung mit ETCS | Ausschreibung in Vorbereitung und bis Ende 2026 geplant, Umweltverträglichkeitsprüfung fertig | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | 810 |
Umbau des Rangierbahnhofs Česká Třebová | Austausch von 60 km Schienen und 600 Weichen, Einbau von ETCS-Technik, Erneuerung der Oberleitungen, Umbau läuft seit März 2025, dauert 7 Jahre | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Umsetzung durch Konsortium aus Eurovia CZ, Strabag Rail, Chládek a Tintěra, Elektrizace železnic Praha | 680 |
Umbau und Modernisierung des Bahnhofs Prag-Smíchov | Umbau des Hauptgebäudes, Verlegung neuer Schienen, Parkhaus, neue Bahnsteige, Terminal für Personennahverkehr, Verbindung mit dem neuen Stadtviertel Smíchov City; Bau läuft bereits, Fertigstellung für 2027 geplant | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium, Stadt Prag | 207 |
Neubau der Eisenbahnbrücke im Prager Stadtteil Výtoň | Projektant ausgewählt, Bau für 2026 bis 2029 geplant | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | 138 |
Modernisierung der Strecke Plzeň-Domažlice-Staatsgrenze zu Deutschland | 5 Bauabschnitte, ermöglicht Geschwindigkeiten von 200 km/h, Bau für 2025 bis 2030 geplant | Verwaltung des Eisenbahnnetzes (Správa železnic), Verkehrsministerium | 117 |