Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Markets International 4/24 I Frankreich I Wirtschaftsbeziehungen

Schulterschluss in schweren Zeiten

Die deutsch-französischen Beziehungen haben schon bessere Zeiten gesehen. Dass der Präsident nach den Neuwahlen mit schwierigen Mehrheiten zu tun hat, macht die Sache nicht einfacher. Zwischen Unternehmen läuft es runder. 

Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris

Das Deutsch-Französische“, sagt David Alexandre, „ist unsere DNA.“ Alexandre ist einer von fünf Geschäftsführern des deutsch-französischen Umwelt- und Energieunternehmens Tilia. Gegründet 2009 in Leipzig durch zwei Franzosen, ist Tilia seit 2012 in Frankreich vertreten. Und profitiert mittlerweile von seiner binationalen Herkunft. 

„Heute hilft uns unsere deutsche Seite. Das bringt ein Plus, ein Differenzierungsmerkmal“, sagt Alexandre. Tilia gelte als offener und globaler als rein französische Unternehmen, vor allem bei großen Klienten. „Kunden wissen, dass Deutschland bei erneuerbaren Energien, Wasserstoff oder Müllverwertung weiter als Frankreich ist und dass wir, als deutsch-französisches, europäisches Unternehmen, einen anderen Blickwinkel haben.“

Markets International Ausgabe 4/24

Markets International 04/24 Markets International 04/24 | © GTAI

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 4/2024. Lesen Sie noch weitere informativen Beiträge der aktuellen Ausgabe.

Zur Markets International 4/24

Das war nicht immer so. Als Tilia in Frankreich an den Start ging, stellten die Gründer die deutschen Wurzeln des Unternehmens nicht in den Vordergrund, erinnert sich Alexandre. Tilia arbeitet viel mit der öffentlichen Hand, gemeinsam mit Kommunen entwickelt man Konzepte im Bereich Wasser, Abfall und Energie. „Wir mussten sicherstellen, dass wir ins französische Gefüge eingebettet sind und französisches Know-how haben, die Normen und Gepflogenheiten kennen“, sagt Alexandre. 

Tilia ist nur eines von annähernd 2.500 Unternehmen, das von Deutschland aus nach Frankreich expandiert ist. Im Jahr 2021 stellten deutsche Unternehmen laut französischem Statistikamt Insee 25 Prozent aller ausländischen Investitionen im Land. Und das deutsche Engagement in Frankreich zieht weiter an. Mit 183 Projekten war Deutschland im Jahr 2023 wie schon im Jahr 2022 zweitwichtigster Investor in Frankreich. Nur aus den USA kamen mehr Unternehmen ins Land. 

Auch für 2024 planen deutsche Unternehmen Großinvestitionen in Frankreich. So werden Schäffler und Continental ihre Präsenz ausbauen. Und Mercedes wird seinen E-Bus Citaro ab 2024 in Ligny-en-Barrois in der Region Grand Est produzieren. 

Pro-Business-Politik kommt gut an

MI_0424_S23 MI_0424_S23

Dass Frankreich bei deutschen Unternehmen hoch im Kurs steht, wundert Patrick Brandmaier nicht. „Die Regierung Macron hat es in den vergangenen Jahren geschafft, Frankreich zu einem der führenden Investitionsziele der Welt zu machen“, sagt der Geschäftsführer der Deutsch-Französischen Auslandshandelskammer (AHK) in Paris. Reformen im Arbeits- und Steuerrecht und interessante Investitions- und Innovationsförderprogramme zögen ausländische Investoren an. Frankreich sei im Jahr 2023 zum fünften Mal in Folge der attraktivste Investitionsstandort Europas gewesen. „Internationale Unternehmen honorieren die Pro-Business-Politik von Macron“, sagt Brandmaier. Ob dies auch in Zukunft so bleibt, bleibt abzuwarten. Dass Macron erheblich an Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat und nun mit der Opposition und instabilen Mehrheiten kooperieren muss, macht nicht nur die Börse, sondern auch ausländische Unternehmen nervös.

Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Frankreich laufen bislang jedenfalls auf Hochtouren. Der deutsch-französische Außenhandel erreichte im Jahr 2023 gut 190 Milliarden Euro. Deutschland exportierte im Jahr 2023 Güter im Wert von 120 Milliarden Euro nach Frankreich, 20 Prozent mehr als in die Volksrepublik China. Maschinen und Anlagen sind die wichtigsten deutschen Ausfuhrgüter. Für Frankreich ist Deutschland Handelspartner Nummer eins. 

Politisch nicht immer auf einer Linie

Dennoch ist nicht alles gut. Auch abgesehen von den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im französischen Parlament läuft es seit Beginn des Jahres 2022 auf politischer Ebene zwischen Deutschland und Frankreich nicht immer rund. ­Unterschiedliche Positionen in Fragen wie Energie, Verteidigung, Handel oder budgetäre Disziplin stellen die politischen Beziehungen auf die Probe. 

Die deutsche Haushaltsdisziplin gefährdet nicht nur Investitionen in Deutschland, sondern belastet alle Länder der Eurozone. So lautet ein in Frankreich nicht selten gehörter Vorwurf. In Deutschland hingegen hat man wenig Verständnis für Frankreichs eher laxen Umgang mit europäischen Schuldengrenzen. Nach Griechenland und Italien ist es 2023 das Land mit der höchsten Schuldenquote Europas. Knapp 111 Prozent des französischen Bruttoinlandsprodukts beträgt die Schuldenlast des Landes: gut 3.000 Milliarden Euro. 

347.000

Zahl der Beschäftigten in deutschen Unternehmen in Frankreich im Jahr 2021.

Auch Energie ist und bleibt ein Streitthema. Die Franzosen sind stolz auf ihre Atomkraftwerksflotte und verstehen Deutschlands Atomausstieg nicht. Der Vorwurf: Deutschland poche auf Dekarbonisierung, aber stoße wegen seiner Abhängigkeit von der Kohle immer noch wesentlich mehr CO2 aus als Frankreich. 

Und im Umgang mit Verteidigungsfragen oder China ist gerade Präsident Macron zumindest verbal gelegentlich forscher, als die deutsche Seite es gern sieht. Die Franzosen wiederum halten Deutschland bisweilen für zu zögerlich. 

Bislang musste man sich deswegen keine Sorgen machen, hört man aus Diplomatenkreisen. Kein Land ist so eng mit Deutschland verflochten, kein Land so intensiv bis in die höchsten Regierungsebenen eingebunden wie Frankreich. Deutschland und Frankreich waren die „Lokomotive Europas“ und haben auf europäischer Ebene Programme wie den Innovationsfonds oder den Net Zero Industry Act vorangetrieben. Gemeinsames Ziel: die internationale Wettbewerbsfähigkeit des ­alten Kontinents auch in Zeiten ­extremer Konkurrenz mit China und den USA zu sichern.

Nach den Neuwahlen: was ändert sich?

Der gefürchtete Erdrutschsieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) ist ausgeblieben. Stärkste Kraft in der neu gewählten Assemblée Nationale ist das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, gefolgt vom bisherigen Regierungsbündnis Ensemble. Der RN ist – anders als erwartet – nur dritte Kraft. In der Nationalversammlung stehen sich nunmehr drei ideologisch entgegengesetzte Blöcke gegenüber. Die große Schwierigkeit wird darin liegen, eine arbeits- und abstimmungsfähige Mehrheit zu finden. Die parlamentarische Zusammenarbeit mehrerer Parteien in festen Koalitionen ist in Frankreich bislang nicht üblich.es Management. 

Beobachter aber bezweifeln, dass diese aktive gemeinschaftliche Europapolitik auch in Zukunft noch Bestand haben wird. Die Schwächung Macrons im eigenen Land wird auch auf sein europäisches Engagement und Gewicht durchschlagen. Auch auf politischer Führungsebene könnte die deutsch-französische Kommunikation schwieriger werden. Diplomaten hoffen darauf, dass die guten Wirtschaftsbeziehungen in diesen politisch bewegten Zeiten für Stabilität sorgen.

Denn: „Die deutsch-französische Freundschaft ist Realität, auch wirtschaftlich. Und das gilt trotz politischer Dissonanzen“, stellt Patrick Brandmaier klar. Aber auch auf wirtschaftlicher Ebene sehen er und Unternehmen noch Verbesserungspotenzial. 

822 Millionen Euro

Investitionen in Frankreich haben deutsche Firmen im Mai 2024 angekündigt.

Trotz der Pro-Business-Reformen ist und bleibt Frankreich ein Land mit einer komplexen Bürokratie. David Alexandre von Tilia weiß ein Lied davon zu singen. „Gerade im Wasserbereich herrscht ein Wirrwarr an überlappenden Kompetenzen“, sagt der Unternehmer. „Wir brauchen dringend eine administrative Vereinfachung“, sagt der Tilia-Geschäftsführer: bei Zuständigkeiten, bei Verwaltungs- und bei Genehmigungsprozessen. 

„Nichts geht wirklich schnell hier“, bestätigt AHK-Chef Brandmaier trocken. Insbesondere für Unternehmen aus dem Bereich Pharma und Medizintechnik wird Frankreich zu einem zunehmend unattraktiven Markt, zumindest was den lokalen Absatz angeht. Umständliche, im europäischen Vergleich langsame Zulassungsverfahren und eine niedrige Vergütung für Medizin und Medizintechnik behindern die Branche. Deutsche Unternehmen wie B. Braun sind zwar stark im lokalen Markt verankert. Dennoch geht 80 Prozent der französischen Produktion von B. Braun in den Export. Der Aufwand für die Positionierung innovativer Produkte ist zu hoch, der Erlös zu gering. 

10,8 %

Anteil der verarbeitenden Industrie (ohne Kokerei und Mineralölverarbeitung) an der Wertschöpfung im ersten Quartal 2024.

Sorgen bereitet Unternehmen auch die finanzielle Lage des Landes. Auch die neue Regierung muss sparen – und das trotz Wahlversprechen in geschätzt zweistelliger Milliardenhöhe. Nicht nur der Druck des heimischen Rechnungshofes und internationaler Ratingagenturen erzwingt die Kehrtwende. Der Schuldendienst belastet den Staatshaushalt immer mehr und erzwingt eine neue Ausgabendisziplin. Unternehmen fürchten, dass die attraktive Förderpolitik für grüne und innovative Technologien in Zukunft unter die Räder kommen könnte. Dies gilt verstärkt unter der neuen Rechtsregierung, die nicht nur ihren wirtschaftlichen Kurs, sondern auch Finanzmittel zur Umsetzung der im Wahlkampf angekündigten Programme sucht.

Trotzdem bleiben deutsche Unternehmen dem französischen Markt bisher treu. Aber: „Wir brauchen weniger Verwaltung und mehr Zeit für unsere Arbeit“, fordert David Alexandre. Er wünscht sich „weniger Pläne und mehr Anreize“. Damit dürfte er nicht nur deutschen, sondern auch französischen Unternehmen aus der Seele sprechen.

 

nach oben
Feedback
Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.