Branchen | Italien | Abfallwirtschaft
Marktchancen
Abfallanlagen fehlen im Süden und im Zentrum, besonders für die Energieerzeugung, für Biomüll und schwierig zu trennende Stoffe.
23.03.2023
Von Oliver Döhne | Mailand
Süden und Zentrum mit Lücken in der Infrastruktur
Italien braucht mindestens 30 neue Großanlagen für etwa 5,9 Millionen Tonnen Abfall. Das ergab eine Studie des Verbands der Versorgungsunternehmen, Utilitalia, von Ende 2022. Nur so könne Italien die EU-Vorgabe erfüllen, Müll künftig in der Region zu behandeln, zu recyclen oder zu entsorgen, wo er entstanden ist. Bisher werden jährlich über 3 Millionen Tonnen aus dem Süden und Zentrum in den Norden transportiert. Außerdem sollen laut EU-Zielen nur noch 10 Prozent statt wie bisher 19 Prozent der Abfälle auf Deponien gehen.
Zu der benötigten Ausrüstung zählen sowohl Anlagen zur Behandlung organischer Stoffe sowie Feuerungsanlagen mit energetischer Abfallverwertung. Nach Angaben der Beratungsfirma Althesys investierten die Unternehmen der Abfallwirtschaft im Jahr 2021 rund 900 Millionen Euro, unter anderem in Sammelzentren und neue Anlagen, aber auch in Auf- und Umrüstung bestehender Anlagen für Sammlung, Sortierung, Behandlung von Abfällen sowie die Requalifizierung von Deponien. Vor allem Anlagen zur Behandlung von Biomüll aus Haushaltsabfällen mit Energierückgewinnung seien gefragt.
Region | Bedarf Energiegewinnung | Bedarf organische Behandlung |
---|---|---|
Norden | 303.403 | ausreichend |
Zentrum | 1.200.391 | 1.236.531 |
Süden | 589.743 | 1.438.651 |
Sizilien | 558.320 | 558.987 |
Sardinien | 95.016 | 243.309 |
Insgesamt | 2.706.783 | 3.258.558 |
Problemfelder Plastik, Textilien, Elektronik und Batterien
Die Regierung will der Kreislaufwirtschaft bis 2026, zusätzlich zum normalen Etat, 2,1 Milliarden Euro aus dem europäischen Aufbauplan zukommen lassen. Davon sind 1,5 Milliarden Euro für moderne, digitale Ausrüstung zur Siedlungsabfallbehandlung und für die Infrastruktur der Mülltrennung vorgesehen. 600 Millionen Euro sollen an hochinnovative Projekte zur Behandlung und zum Recycling in den strategischen Feldern Elektronik, Plastik, Papier und Textil gehen. Der zweite Förderposten umfasst zudem das Distanz-Monitoring illegaler Deponierung mittels Satelliten, Drohnen und künstlicher Intelligenz. Neben dem EU-Aufbauplan basiert Italiens Strategie für den Sektor auf dem Nationalen Programm für die Abfallwirtschaft (PNGR, 2022). Ziele sind unter anderem Fortschritte bei Textilrecycling, der Entsorgung von Elektroschrott und Batterien sowie ausrangierter Kfz.
Für den neuen Umweltminister Pichetto Fratin hat die Rückgewinnung strategischer Rohstoffe aus Abfällen Priorität, da Italien kaum eigene Rohstoffe besitzt. Ähnliches gilt für die energetische Nutzung. Besonderes Interesse gilt Stoffen, die auf konventionellem Weg nicht effizient getrennt und sortiert werden können. Auch muss sich Italien für das Vorhaben der EU wappnen, das einen Mindestanteil von wieder verwendbaren Verpackungen und ein Pfandsystem fordert. Italiens nationales Recyclingsystem ist auf eine solche direkte Wiederverwendung noch nicht ausgelegt.
Steigende Müllmenge
Italiens Müllmenge legte im Jahr 2021 gegenüber dem Vorjahr wieder etwas zu. Der Siedlungsmüll stieg auf etwa 29,6 Millionen Tonnen, davon waren schätzungsweise 34,7 Prozent Biomüll, 21,8 Prozent Papier und 12,7 Prozent Plastik. Beim jährlichen Pro-Kopf-Abfallaufkommen liegt Italien mit rund 502 Kilogramm pro Einwohner hinter Deutschland und Frankreich auf Platz drei in Europa.
Art | Menge |
---|---|
Siedlungsabfälle | 28,9 |
Abfälle aus Gewinnung und | 1,4 |
Bau- und Abbruchabfälle | 66,2 |
Sekundärabfälle | 38,6 |
Übrige Abfälle | 40,8 |
Metallurgie, Herstellung von Metallerzeugnissen | 10,9 |
Petrochemie, Chemie, Pharmazie, Kunststoffindustrie | 3,9 |
Lebensmittelindustrie | 3,0 |
Insgesamt | 175,9 |
Zu viel geht auf Deponien
Im Jahr 2021 sammelte Italien rund 64 Prozent seiner kommunalen Abfälle nach Sorten getrennt. Im Norden waren es 71 Prozent, im Zentrum 60 Prozent und im Mezzogiorno (Süditalien, Sizilien, Sardinien) rund 56 Prozent. Ein regionales Gefälle gibt es auch bei der Behandlung der Abfälle. In der Lombardei enden nur 4 Prozent der Abfälle auf Deponien, in Sizilien 69 Prozent. Auch die Regionen Latium und Kampanien sind weit von einer Kreislaufwirtschaft entfernt. Laut dem Umweltinstitut Ispra gewann Italien 2020 aus rund 30 Prozent der behandelten Siedlungsabfälle Material zurück, schob 26 Prozent in Kompostier- und anaerobe Gärungsanlagen, und verwandelte 21 Prozent in Energie.
Art | 2020 | 2021 |
---|---|---|
Deponien | 5.817 | 5.619 |
Verbrennungsanlagen | 5.325 | 5.109 |
Mechanisch-biologische Anlagen | 9.289 | 9.060 |
Biologische Behandlung des organischen Anteils | 6.592 | 6.782 |
Heimische Kompostierung | 275 | 264 |
andere Formen der Materialrückgewinnung | 8.004 | 8.127 |
Energieerzeugung | 289 | 401 |
Potenzial bei der Energiegewinnung
Beim Gewerbeabfall recycelt Italien mit rund 70 Prozent viel Material, erzeugt aber noch wenig Energie aus Abfällen. Etwa 10 Millionen Tonnen des Gewerbemülls sind gefährliche Abfälle. Bislang fehlt es noch an Anreizen, weniger Müll zu verursachen, mehr zu recyceln und mehr recycelte Stoffe zu verwenden, obwohl der Staat dies plant. Öffentliche Ausschreibungen und Bauprojekte sollen künftig an einen Mindesteinsatz recycelter Stoffe gebunden sein. Die Genehmigung zur Verwendung von Reziklat in Produktionsprozessen gilt noch als zäh.
Indikator | Menge |
---|---|
Abfallmenge *) | 159,8 |
Deponien | 9,9 |
andere Ablagerung zur Beseitigung | 18,6 |
Verbrennung (ohne Energiegewinn) | 0,5 |
Stoffliche Verwertung | 112,8 |
Energetische Verwertung | 2,6 |
Lagerung für spätere Behandlung u.Ä. | 15,4 |
Im Jahr 2021 waren laut dem Umweltinstitut Ispra 657 Anlagen für Siedlungsabfall aktiv, davon 356 für die Behandlung organischer Stoffe aus der getrennten Müllsammlung (darunter 293 für die Kompostierung, 42 für die integrierte aerobe-anaerobe Behandlung und 21 Anlagen für die anaerobe Gärung), 124 Anlagen für eine mechanische oder mechanisch-biologische Zwischenbehandlung urbaner Abfälle, 126 Deponien und 37 Müllverbrennungsanlagen. In 11 Industrieanlagen werden urbane Abfälle verbrannt und die daraus gewonnene Energie oder Wärme für den Produktionsprozess genutzt. Industrie-, Bau- und Gewerbeabfall verarbeiteten laut Ispra 2020 insgesamt 10.472 Anlagen, darunter 4.399 für die Wertstoffrückgewinnung,
Projekt | Investitionssumme | Stand | Träger |
---|---|---|---|
160 innovative Pilotprojekte für das Recycling von Elektronik, Textil, Papier und Plastik | 600 | Im EU-Aufbauplan vorgesehen, Ende des 3. Quartals 2023 im Auswahlprozess | Ministerium für Umwelt und Energiesicherheit |
Anlage zur Trocknung und Verwertung von Klärschlamm in Porto Marghera (Venetien) | 140 | Seit November 2022 im Genehmigungsprozess | |
Anlage zur Behandlung von Hartplastik (PP, PEHD, ABS und andere) in Modena (Emilia-Romagna) | 50 | Im Strategieplan 2022-2026 angekündigt, staatliche Förderungszusage für 7,7 Mio. Euro aus Recovery Plan | Aliplast (Hera Gruppe) |
Circular Hub für Luxusmode (F&E, Materialdesign, Produktionsprozesse, Logistik, Schulung) in Florenz | 15 | Anfang 2023 angekündigt | Kering |
Waste-to-Chemicals-Anlage im Piemont | k.A. | Soll 2026 in Betrieb gehen, Finanzierung hängt von Förderung ab | |
Waste-to-Energy-Anlage in Genua | k.A. | Genehmigung für 2023 erwartet, soll 2026-27 in Betrieb gehen | Iren |
Anlage zur Behandlung und Verwertung von Karbonfasern in Imola (Emilia-Romagna) | k.A. | Im Strategieplan 2026 angekündigt | Hera Ambiente |
Anlage zur Behandlung und Verwertung von Biomüll, Biomethanerzeugung in Anagni (Latium) | k.A. | Umwelt- und Baugenehmigung im August 2022 erteilt | a2a |
Die nationale Behörde Arera soll unter anderem dafür sorgen, dass die Höhe der Müllgebühr zur Qualität der Dienstleistung passt, was laut Branchenkennern nicht in allen Landesteilen funktioniert.
Die Sammlung und Behandlung von Siedlungsabfällen obliegt den zu diesem Zweck definierten Ballungsräumen (Ambiti territoriali ottimali, ATO). Sie wird durchgeführt von Inhouse-Firmen oder per Ausschreibung vergeben an öffentlich-private oder private Entsorger. Die Sammlung, Behandlung und Entsorgung von Gewerbemüll ist privat organisiert, wird aber zum Teil auch von den Entsorgern von Kommunalmüll übernommen. Recycelbares Verpackungsmaterial recyceln sieben von der Industrie organisierte Konsortien unter Koordinierung des Nationalen Verpackungskonsortiums Conai.