Wirtschaftsumfeld | Lettland | Investitionsförderung
Perspektiven für ausländische Direktinvestitionen
Lettland meldet im Zusammenhang mit der Verlagerung von Produktionsstandorten nach Europa ein steigendes Interesse ausländischer Investoren.
27.10.2022
Von Niklas Becker | Riga
Fast 1,9 Millionen Menschen wohnen laut Eurostat in Lettland. Damit ist es nach Litauen und vor Estland das zweitgrößte Land der Region. Das gleiche Ranking ergibt sich beim Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Jahr 2021 lag das lettische BIP mit 32,9 Milliarden Euro im baltischen Ranking auf Platz 2. Besonders aufgrund eines starken 1. Quartals dürfte sich Lettlands Wirtschaft im Gesamtjahr 2022 noch recht positiv entwickeln. Die Swedbank prognostiziert im August 2022 einen realen Zuwachs im Jahresvergleich um 2,4 Prozent.
Nach Einschätzung der Experten wird Lettland angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine jedoch zeitnah eine milde Rezession erleben. Für 2023 prognostiziert die Bank ein BIP-Zuwachs um 0,4 Prozent. Über die Konjunkturaussichten des Landes berichtet der GTAI-Wirtschaftsausblick. Zu den größten Herausforderungen der lettischen Wirtschaft zählt der Fachkräftemangel. Weitere Informationen zu den Standortvor- und -nachteilen bietet die SWOT-Analyse von GTAI.
Indikator | 2019 | 2020 | 2021 |
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Miete jeweils für Büroraum in der Hauptstadt | |||
Klasse A | 14 - 17 | 14 - 17 | 14 - 17 |
Klasse B | 8,2 - 14,5 | 8,2 - 14,5 | 8,2 - 14,5 |
Zufluss ausländischer Direktinvestitionen auf Rekordhoch
Lettland meldete 2021 einen deutlichen Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen im Land. Laut lettischem Wirtschaftsministerium legten diese um 4,5 Milliarden Euro auf etwa 21 Milliarden Euro zu. Der erhebliche Zuwachs ist vor allem auf Investitionen der schwedischen Bank Swedbank in das Eigenkapital von in Lettland registrierten Unternehmen zurückzuführen.
Wie das Wirtschaftsministerium berichtet, spielten aber auch die reinvestierten Gewinne ausländischer Investoren im Land 2021 eine große Rolle. Sie waren fast dreimal so hoch wie 2020. Laut lettischer Investitionsagentur (LIAA) konnte das baltische Land 2021 insgesamt 32 neue Investitionsprojekte ausländischer Firmen anziehen. Das sind zwar ein Viertel weniger als im Vorjahr. Allerdings erreichte die Gesamtinvestitionssumme 2021 mit mehr als 640 Millionen Euro einen neuen Rekordwert (2020: 250 Millionen Euro).
Indikator | 2019 | 2020 | 2021 |
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Kumulierter Bestand | 16,1 | 16,8 | 21,2 |
Lettland profitiert vom Nearshoring
Die verstärkte Aktivität von Investoren in Lettland ist nach Aussage von LIAA besonders auf größere Veränderungen in den globalen Lieferketten zurückzuführen. "Angesichts der zunehmenden Besorgnis über Lieferungen aus China und anderen asiatischen Ländern, versuchen viele Unternehmen ihre Produktionsstätten näher an ihren wichtigsten Exportmärkten anzusiedeln", heißt es einer Pressemitteilung der Investitionsagentur. Für Lettland gewinnen dabei globale Unternehmensdienstleistungszentren (Global Business Services Centres; GBS) zunehmend an Bedeutung.
Kaspars Rožkalns, Direktor bei der LIAA, führt die gestiegenen Investitionen aus dem Ausland auch auf eine eigene Strategieänderung zurück. Bei der Anwerbung ausländischer Unternehmen habe man den Schwerpunkt auf Projekte mit hoher Wertschöpfung verlagert. "Das bedeutet, dass wir uns an Investoren aus Branchen wie der Bioökonomie, erneuerbare Energien, intelligente Materialien und Photonik, Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) sowie intelligente Mobilität und Biomedizin wenden", ergänzt Rožkalns.
Investoren weiterhin interessiert
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine verzeichnete Lettland zeitweise ein gewisses Abwarten ausländischer Unternehmen. "Zwar haben einige Investoren ihre Aktivitäten aufgrund der geopolitischen Lage verlangsamt, doch das Interesse an Lettland hat nicht nachgelassen", berichtet Rožkalns. Nach Einschätzung von Guntars Krols, Partner bei der Unternehmensberatung EY in den baltischen Staaten, wird Lettland aufgrund des russischen Angriffskrieges in naher Zukunft höchstwahrscheinlich vor zusätzlichen Herausforderungen stehen, um ausländische Investitionen anzuziehen. "Der Krieg in der Ukraine schafft ein sensibles Umfeld, das Investoren dazu zwingt, ihre Entwicklungsentscheidungen zu überdenken", ergänzt Krols. Dies sei allerdings nicht nur ein Problem für Lettland, sondern beträfe alle Länder der Region und Mitteleuropas.
Ende August 2022 war die Projektpipeline der Investitionsagentur nach eigener Aussage wieder mehr oder weniger auf dem gleichen Level wie vor dem 26. Februar 2022. Die Experten berichten zudem von neuem Interesse potenzieller Investoren. Dazu zählen auch Firmen aus Russland und Belarus, die ihren Firmensitz nach Lettland verlegen wollen. Lettlands Regierung hat für diesen Fall jedoch drei Voraussetzungen festgelegt: 1. Das Kapital des Unternehmens muss zu mindestens 50 + 1 Prozent aus einem "westlichen" Land (de facto aus einem Mitgliedsstaat der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)) kommen. 2. Die Firma muss die antirussische Sanktionen unterstützen. 3. Das Unternehmen muss ein Exportunternehmen sein, darf aber nicht nach Russland exportieren.
Zwei deutsche Investoren stechen heraus
Im lettischen Ranking der größten ausländischen Investoren belegte Deutschland zur Jahresmitte 2022 den fünften Platz. Laut Daten der lettischen Zentralbank entfielen 6,2 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen auf deutsche Firmen. Im Vergleich zu 2021 konnte Deutschland damit einen Platz gutmachen und Zypern überholen. Deutsche Investitionen in Lettland sind sowohl geografisch als auch sektoral sehr diversifiziert. Das berichtet Māris Balčūns, Büroleiter Lettland bei der Deutsch-Baltischen Handelskammer.
"Deutsche Unternehmen und Waren genießen in Lettland ein gutes Image", ergänzt der Experte. Die beiden mit Abstand größten deutschen Investoren in Lettland sind das Handelsunternehmen Lidl und der Zementhersteller Schwenk. Der Statistikdienstleister Lursoft beziffert die Investitionssummen der beiden Firmen im August 2022 auf 366 beziehungsweise 288 Millionen Euro. Beim drittgrößten deutschen Investor im Land - Uniper - sind es rund 10 Millionen Euro.
Indikator | 2018 | 2019 | 2020 |
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Kumulierter Bestand | 310 | 608 | 705 |
Nettotransfers | 35 | 272 | 144 |
Unternehmen | Branche |
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Lidl | Einzelhandel |
Schwenk | Bau |
Uniper | Energie |
Rettenmeier | Holz |
Knauf | Bau |