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Wirtschaftsumfeld
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Wirtschaftsausblick I Marokko
Marokko setzt auf Standortvorteile als Zulieferer für die europäische Industrie. Das jüngste Angebot reicht von grünem Wasserstoff bis hin zu Bauteilen für Elektrofahrzeuge.
23.11.2023
Von Ullrich Umann | Casablanca
Die Regierung verfolgt in den Jahren 2023 und 2024 im Wesentlichen zwei wirtschaftliche Entwicklungsziele: Zum einen soll Marokko zu einem Produktionszentrum für grünen Wasserstoff ausgebaut werden - für ein Leuchtturmprojekt zur Erzeugung grünen Ammoniaks wählt der Düngemittelkonzern OCP derzeit die Technologie aus. Zum anderen will sich das nordafrikanische Land als Nearshoring-Standort für Zukunftsindustrien etablieren. Beispielsweise wird Marokko Akkumulatoren für europäische Elektrofahrzeughersteller in Serie fertigen.
Neben verfügbaren Arbeitskräften und moderaten Personalkosten, bei einer gleichzeitig gut ausgebauten Transportinfrastruktur, zieht Marokko ausländische Investoren mit soliden Wirtschaftsdaten an: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst 2023 mit 2,4 Prozent nahezu doppelt so schnell wie im Vorjahr. Für das Folgejahr werden laut IWF sogar 3,6 Prozent veranschlagt.
Bild vergrößernMehrere Faktoren stützen das Wachstum, insbesondere die Erholung der Weltwirtschaft, die den marokkanischen Exporten zugutekommt. Zudem fördern Gesetzesreformen private Investitionen, etwa durch Steuererleichterungen und Subventionen gemäß der 2023 neu aufgelegten Investitionscharta. Die Agrarwirtschaft profitiert von guten Erträgen, und der Dienstleistungssektor wächst dank des florierenden Tourismus und steigender Umsätze in den Branchen Transport und Telekommunikation.
Der private Konsum ist mit einem Anteil von 60 Prozent an der BIP-Verwendung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das für Prognosen zuständige Oberste Planungsamt (HCP) beziffert die Wachstumsrate für den Konsum im Jahr 2023 mit 2,2 Prozent und im Folgejahr mit 2,8 Prozent.
Bild vergrößernZu den größten Herausforderungen der Regierung zählt die importierte Inflation, vor allem bei Agrargütern, Rohstoffen und fossilen Energieträgern. Hinzu kommt die hohe Arbeitslosigkeit von 13 Prozent - unter Jugendlichen liegt sie sogar bei 27 Prozent. Um die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen, hat die Regierung beschlossen, die Ausgaben für Bildung, Soziales und KMU-Förderung in den Haushalten 2023 und 2024 um 6 Prozent zu erhöhen.
Mit 60 Prozent aller Investitionen sind der Staat und staatliche Unternehmen die wichtigsten Wirtschaftsakteure. Im Haushalt 2023 sind 300 Milliarden Dirham (27 Milliarden Euro) für Investitionszuschüsse vorgesehen, im Haushalt 2024 weitere 335 Milliarden Dirham (30 Milliarden Euro). Mit dem Geld sollen Industriezonen geschaffen sowie Straßen und Schienenwege ausgebaut werden, darunter die Autobahn Agadir-Laâyoune sowie die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke Casablanca-Marrakesch.
Zusätzlich zum regulären Haushalt mobilisiert der Staat 130 Milliarden Dirham (circa 10 Milliarden Euro), teils aus in- und ausländischen Spenden, teils aus öffentlichen Fonds, die in den kommenden fünf Jahren zum Wiederaufbau der vom Erdbeben betroffenen Zonen im Atlasgebirge und in Marrakesch benötigt werden. Die ersten Gebäude sind in den zerstörten Gebieten des Atlasgebirges im November bereits wiedererrichtet worden.
Auch die öffentlichen Unternehmen investieren: Die Eisenbahngesellschaft ONCF kauft 168 Personenzüge im Wert von 1,45 Milliarden Euro. Der Düngemittelkonzern OCP gibt für die Produktion von grünem Ammoniak 7 Milliarden Euro aus und der Stromversorger ONEE bereitet die Übertragungsnetze auf die Aufnahme von Wind- und Sonnenstrom im industriellen Maßstab vor.
Die umfangreichsten privaten Investitionen tätigen große beziehungsweise ausländische Industrieunternehmen. In diesem Zusammenhang werden die Fahrzeugmontage in Tanger, die Textilindustrie in Fès und die Elektronikindustrie in Casablanca ausgebaut.
Aber auch im Immobiliensektor errichten private Investoren Wohnanlagen in Casablanca, Rabat und Marrakesch, bauen Einkaufszentren in Fès sowie Tanger und restaurieren historische Gebäude in Marrakesch. Private Investitionen fließen ebenfalls in den Ausbau von Glasfasernetzen, in Tourismuseinrichtungen, in die Erweiterung des Hafens Tanger, in Buslinien in Casablanca sowie in die Eröffnung zusätzlicher Bankfilialen.
Auch wenn der deutsch-marokkanische Handel 2023 ein Rekordniveau erreichen wird, ist noch Luft nach oben. Insbesondere der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist im Vergleich zu seinen französischen und spanischen Wettbewerbern zu wenig aktiv. Dabei liegen die Wachstumspotenziale für deutsche Exporteure auf der Hand.
So müssen gleich mehrere marokkanische Industriebranchen modernisieren, um im In- und Ausland wettbewerbsfähig zu bleiben. Das betrifft unter anderem die Hersteller von Baustoffen und Baumaterialien, die Nahrungsmittelverarbeiter sowie die Textil- und Bekleidungsindustrie.
Bild vergrößernDie marokkanische Regierung fährt zudem einen deutlich erkennbaren Diversifizierungskurs in ihren Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und ist an intensiven Kontakten mit der deutschen Wirtschaft interessiert. Deutsche Exporteure sollten aber nicht allein auf den guten Ruf von “Made in Germany” setzen. Vielmehr sollten sie auch günstige Finanzierungen mit im Gepäck haben. Denn die potenziell größte Kundengruppe sind kleine und mittlere Unternehmen, die nur bestellen können, wenn günstige Kredite zur Verfügung stehen. Zu den Kunden gehören aber auch finanzkräftige Großunternehmen, wie das Beispiel OCP zeigt.
Potenzielle Abnehmer von Maschinen kommen in der Regel aus dem Bergbau und der Düngemittelherstellung, der Energie- und Wasserwirtschaft, dem Fahrzeugbau und dessen Zulieferindustrien, der Transportwirtschaft (Schienenverkehr, Hafenlogistik und öffentlicher Personennahverkehr), der Bauwirtschaft sowie aus dem Großhandel oder der Lagerwirtschaft.
Weitere Informationen (zum Beispiel Rechtsinformationen oder Branchenberichte) finden Sie auf unserer Länderseite Marokko.