
Markets International 2/25 I Österreich I Wirtschaftsumfeld
Koalition 3.0
Die politische Entwicklung in Österreich wurde auch in Deutschland mit Spannung verfolgt. Kein Wunder: Beide Länder sind wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Was von der neuen Regierung zu erwarten ist.
25.06.2025
Von Oliver Idem | Bonn
Nach nächtelangen Verhandlungen stand Ende Februar 2025 die erste Dreierkoalition in Österreich fest: Im zweiten Anlauf fanden die konservative ÖVP, die sozialdemokratische SPÖ und die liberalen NEOS zusammen. Nach der Wahl im September 2024 hatten sie bereits ergebnislos verhandelt und die ÖVP zwischenzeitlich mit der Rechtaußenpartei FPÖ erfolglos eine Zusammenarbeit diskutiert.
Wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung besitzen die Ergebnisse auch eine Bedeutung für deutsche Unternehmen. So stammen 30 Prozent des Investitionsbestands aus Deutschland, die Bundesrepublik nimmt 29 Prozent der österreichischen Exporte auf und deckt 31 Prozent des österreichischen Importbedarfs. Der Dienstleistungshandel befindet sich beiderseits auf einem sehr hohen Niveau
Markets International Ausgabe 2/25

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 2/2025 mit dem Schwerpunkt China. Erfahren Sie, welche weiteren Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.
Zur Markets International 2/25
Die gleiche Ausgangsposition verbindet
Enge Verbindungen bedeuten jedoch auch, dass die Wirtschaft in beiden Ländern vor ähnlichen Herausforderungen steht: Hohe Kosten und eine schwache Nachfrage durch die schleppende Konjunktur belasten auf beiden Seiten der Grenze wichtige Wirtschaftszweige, etwa die Automobilindustrie und den Maschinenbau. Für beide Länder ist der Export außerordentlich wichtig.
Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in den Möglichkeiten zur Krisenbekämpfung: Während die neue deutsche Regierung ein 500-Milliarden-Euro-Paket für Investitionen zur Verfügung hat, ringt man in Österreich darum, zu sparen und ein Defizitverfahren der EU zu vermeiden. Das Land erwartet für das Jahr 2025 ein Haushaltsdefizit von 4,5 Prozent. In Deutschland soll es bei zwei Prozent liegen.
Dennoch gibt sich die neue Dreierkoalition eher gestalterisch als verzagt: Ihre geplanten Ziele und Maßnahmen füllen rund 200 Seiten. Die Wirtschaftskammer Österreich kam nach einem Wirtschafts-Check des Programms zu dem Schluss, dass sich ein Kurs der wirtschaftlichen Vernunft durchgesetzt habe. Vor allem Nachhaltigkeit und Digitalisierung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Vereinbarung.

In einigen Sektoren stehen die Zeichen auf Ausbau, der auch für deutsche Technologieanbieter Chancen eröffnet, etwa was die Erzeugung von erneuerbaren Energien und die Energienetze angeht. Beispielsweise sind zum Import und Transport von Wasserstoff einige Impulse zu erwarten. Zudem soll Österreich bei schnellen Breitbandanschlüssen nicht mehr Nachzügler innerhalb der EU sein. Damit verbessern sich auch die Bedingungen für Anwendungen der Telemedizin, deren Ausbau ebenfalls angestrebt wird. Mit einem breit gefächerten Ansatz zur Kreislaufwirtschaft sollen Rohstoffe effizienter genutzt und Schwächen in der Abfallwirtschaft beseitigt werden.
Mit Blick auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit rückt die geplante Technologieoffensive der Regierung besonders in den Fokus: Österreich liegt mit einem Forschungsanteil am Bruttoinlandsprodukt von 3,2 Prozent (2023) deutlich über dem EU-Schnitt von 2,2 Prozent. Die Zielmarke der neuen Regierung lautet längerfristig sogar vier Prozent. Für eine ausgeprägte Innovationskultur spricht außerdem, dass Österreich zu den drei EU-Ländern mit den meisten Patentanträgen zählt. In Bereichen wie der Mikroelektronik gelingt eine enge Verzahnung von Grundlagenforschung und Unternehmen verschiedener Größenordnungen. Die momentane Resilienz von Zweigen wie Energie/Greentech, Informations- und Kommunikationstechnik, Medizintechnik sowie Luft- und Raumfahrt belegt vorhandene Stärken, die durch mehr Technologieförderung ausgebaut werden können.
Österreichs Stabilität ist seine Stärke
Rückenwind erhält der Wirtschaftsstandort noch aus einer anderen Richtung: Weltpolitische Unsicherheiten und Probleme in den Lieferketten führen seit einigen Jahren dazu, dass sich mehr deutsche Unternehmen in Richtung Österreich orientieren. Die direkte Nachbarschaft, Stabilität, langfristiges Denken sowie niedrige Einstiegshürden machen das Land für Investoren und Exporteure interessant. Durch den vorherrschenden Mittelstand, viele Unternehmen davon sind familiengeführt, ähneln sich die Strukturen in beiden Ländern und erleichtern das gegenseitige Verständnis. Viele deutsche Unternehmen unterhalten Produktionsstätten, Forschungs- und Entwicklungszentren oder regionale Zentralen in Österreich, das von acht Nachbarländern umgeben ist. Manche Firmen aus der Telekommunikation oder aus dem Einzelhandel, wie die Drogeriekette dm, nutzen Österreich auch als Testmarkt für neue Produkte und Konzepte.
Insgesamt verfügt Österreich über eine gute Unternehmenssubstanz und viele Innovationstreiber. Verfolgt die neue Regierung ihre Reformpläne konsequent, dürfte die wirtschaftliche Entwicklung weniger für schlaflose Nächte sorgen als die Regierungsbildung und die Koalitionsverhandlungen
Neue Impulse – trotz leerer Kassen
Kernpunkte der künftigen österreichischen Wirtschaftspolitik werden Nachhaltigkeit und Digitalisierung sein. Darunter fallen der Ausbau erneuerbarer Energien, der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und ein ressourcenschonender Umgang mit Rohstoffen. Mehr Haushalte werden schnelles Breitbandinternet bekommen und digitale Technologien die Versorgung im Gesundheitswesen verbessern. Öffentliche Beschaffungen sollen stärker EU-Produkte berücksichtigen und die Zusammenarbeit mit Deutschland beim Gütertransport auf der Schiene intensiviert werden. Die wichtigsten Maßnahmen im Überblick:
Politikfeld | Angestrebte Veränderungen
|
Erneuerbare Energien | Beschleunigter Ausbau inklusive der Netzinfrastruktur |
Wasserstoff | Importstrategie entwickeln, Kernnetz schaffen, rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen regeln |
Energiepreise | Senkung von Abgaben, Netztarifen und Netzverlustentgelten, mehr Wettbewerb |
Technologie | Technologieoffensive für Quantentechnologie, Mikroelektronik, Life Sciences, KI etc. |
Digitalisierung | Nachholbedarf bei festen gigabitfähigen Glasfaser-Breitbandanschlüssen soll gedeckt werden |
Europe first | Präferenz für EU-Produkte bei öffentlichen Beschaffungen, Ziel: europäische Mindestwertschöpfung |
Wettbewerbsfähigkeit | Energiekosten, Bürokratiekosten und Lohnnebenkosten senken |
Budgetschonende Wirtschaftsförderung | Haftungen, Kredite und Exportgarantien sollen forciert werden |
Bahngüterverkehr | Bessere Zusammenarbeit mit Deutschland und Italien, Kapazitäten für mehr Züge ausbauen |
Resiliente Rohstoffversorgung | Mehr Rohstoffunabhängigkeit durch Diversifikation, Lagerhaltung, Abbau und Recycling |
Medizin | Ausbau der Telemedizin, mehr Facharzt- und Versorgungszentren, zum Beispiel für Diabetespatienten |