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Special | V4-Länder | Beschaffungsmarkt

V4-Region fester Teil von Wertschöpfungsketten

Klassiker im Einkauf

Ob pandemiebedingte Logistikprobleme, geopolitische Krisen, wachsender Protektionismus oder neue Anforderungen an Sorgfaltspflichten: Unternehmen haben einigen Grund, ihre Beschaffungsstrukturen zu überdenken und resilienter zu gestalten. Vom möglichen Trend zu kürzeren Lieferketten könnten die Visegrád-Staaten profitieren.

Von Fabian Möpert | Berlin

Als Beschaffungsmarkt sind Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn für deutsche Einkäufer eine feste Größe. Auch als Standort für Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen ist die Region aus vielen Wertschöpfungsketten nicht wegzudenken. Die vier Visegrád-Länder (V4) stehen heute für knapp 14 Prozent der deutschen Gesamteinfuhren.

Breit gefächerte Sourcingmöglichkeiten

Deutsche Firmen können in den V4 auf ein dichtes Netz an qualifizierten Zulieferbetrieben zurückgreifen. Als Produktionsstandort erfreut sich die Region großer Beliebtheit. Regelmäßig belegen das auch Umfragen der deutschen Auslandshandelskammern in den vier Ländern.

Das gilt vor allem für die Automobilindustrie. Kfz und ihre Teile sind zentrale Exportgüter aller V4-Länder. Tschechien ist Deutschlands größter Lieferant für Autoteile. In der Slowakei werden pro Kopf so viele Pkw gebaut wie sonst nirgends auf der Welt. Und Ungarn spezialisiert sich mehr und mehr auf Elektromobilität und lockt fernöstliche Batteriehersteller an.

In der Metallbearbeitung sowie der Gummi- und Kunststoffindustrie sind die Handels- und Investitionsbeziehungen mit Deutschland ebenfalls ausgeprägt. Auch für den Einkauf im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektrotechnik und der chemischen Industrie sind die V4 eine gute Adresse. Bei der Holzverarbeitung hat die Region einiges zu bieten. Besonders Polen ist für die Möbelindustrie interessant. Die Glas- und Keramikindustrie orientiert sich nach Tschechien, wo beide auf lange Tradition bauen. Nahrungsmittel liefern Polen und Ungarn in beachtlichem Umfang nach Deutschland. Der Sektor für unternehmensnahe Dienstleistungen wächst und ist nicht zu unterschätzen. Etliche Großstädte und Ballungszentren wie Warschau oder Budapest haben sich zu wichtigen Standorten für Servicezentren gemausert. Das gesamte Spektrum moderner Business Services ist vertreten. Bei Software und IT-Dienstleistungen muss sich die Region ebenso wenig verstecken. Daneben ist die V4-Region ein leistungsfähiger Logistikstandort.

Partner für den Mittelstand

Gerade für mittelständische deutsche Unternehmen ist Ostmitteleuropa als Beschaffungsmarkt ideal. Firmen in den V4-Ländern sind nach Einschätzung von Marktkennern beispielsweise gute Lieferanten für anspruchsvolle Sonder- und Zeichnungsteile. Die Region lohne sich besonders für kleine Losgrößen. Nicht wenige Betriebe dort fokussieren sich gezielt auf individuelle Kleinserien für Mittelständler, auch weil sie damit meist höhere Margen erwirtschaften als mit Großserienfertigung und für ihre Abnehmer strategischer Partner sein können.

Auf der Suche nach Lieferanten in Ostmitteleuropa sollten Einkäufer aber Ausdauer mitbringen. Die robuste Konjunktur der Region bringt es mit sich, dass viele Hersteller gut ausgelastet arbeiten. Kurzfristig verfügbare Produktions- und Lieferkapazitäten sind oft rar. Die deutschen Auslandshandelskammern können bei der Lieferantensuche unterstützen.

Gute Argumente für das Nearshoring

Weil das Umfeld für den globalen Handel rauer wird, wägen viele Unternehmen die Kosten und Risiken weltumspannender Lieferketten neu ab. Ein grundlegender Vorzug Ostmitteleuropas liegt im deutlich geringeren Risiko verglichen mit anderen Weltregionen. Die V4-Länder haben gute Chancen, davon zu profitieren, wenn Unternehmen Lieferketten verkürzen oder eigene Produktionsstandorte geografisch wieder näher an den Heimatmarkt heranrücken.

Neben der geografischen und kulturellen Nähe zu Deutschland punkten die V4 mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruktur. Kurze und flexible Lieferzeiten sind so in der Regel kein Problem. Von Ostmitteleuropa aus erreichen Lkw und Güterzüge Deutschland in wenigen Stunden, wohingegen Container von Asien nach Europa mit dem Schiff wochenlang unterwegs sind und Seefrachtraten in der Pandemie zwischenzeitlich enorme Preissprünge hingelegt haben.

Einkäufer wie auch Investoren schätzen die V4 für die im EU-Vergleich überdurchschnittliche Arbeitsproduktivität bei international wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen. Allerdings stößt das durch ausländische Direktinvestitionen angetriebene Erfolgsrezept der V4-Länder an Grenzen.

Vom Fertiger zum Erfinder

Ausgeprägter Fachkräftemangel wird immer öfter zum limitierenden Faktor. Hohe Lohnzuwächse haben die Arbeitskosten in den zurückliegenden Jahren deutlich steigen lassen. Zudem wirken die Energiekosten infolge des Ukrainekriegs als Preistreiber. Wirtschaftsforscher attestieren der Region zudem, zu stark auf einzelne Zweige wie die Kfz-Industrie spezialisiert zu sein.

Um nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden, müssen die V4 ihr Wachstumsmodell neu justieren und noch stärker auf Innovation trimmen. Die zahlreichen Fertigungsstandorte hatten den V4 den Ruf einer "verlängerten Werkbank" eingebracht - ein Image, das sie ablegen wollen. Das Bild gilt längst nicht mehr. Die V4-Länder avancieren zu leistungsstarken Partnern für Forschung und Entwicklung. Auch internationale Unternehmen siedeln in wachsendem Umfang Forschungsaktivitäten in der Region an.

Die Wirtschafts- und Industriepolitik der V4-Länder arbeitet daran, den Aufstieg in den internationalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Alle Regierungen sind bestrebt, mit Investitionsanreizen ausländisches Kapital in innovationsträchtige Zukunftsbranchen zu lenken, die eine möglichst hohe Wertschöpfung vor Ort generieren. Je nach Land setzen sie Anreize für Reinvestitionen ausländisch investierter Niederlassungen, fördern Forschung und Entwicklung durch steuerliche Begünstigungen oder bezuschussen den Einsatz moderner Fertigungsverfahren, um den Technologietransfer zu forcieren.

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