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Slowakei: Milliardenumsatz mit Verteidigungstechnik
Die Rüstungsexporte der Slowakei haben sich innerhalb weniger Jahre verzehnfacht. Die Regierung setzt bei Verteidigungsprojekten vor allem auf Dual-Use-Vorhaben.
05.09.2025
Von Gerit Schulze | Bratislava
Bei der Militärhilfe für die angegriffene Ukraine tritt Bratislava häufig auf die Bremse. Premierminister Robert Fico sieht die militärische Unterstützung des Nachbarlandes kritisch. Trotzdem floriert die slowakische Rüstungsindustrie seit Beginn des russischen Angriffskrieges. Denn der kommerzielle Export von Waffen und Munition – auch an die Ukraine – wird aktiv unterstützt.
Verteidigungsminister Robert Kaliňák betont regelmäßig die wirtschaftliche Bedeutung der Rüstungsindustrie und verweist auf die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die slowakischen Waffenexporte haben sich seit 2021 mehr als verzehnfacht und erreichten 2024 einen Wert von 1,15 Milliarden Euro. Das entsprach rund 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Damit profitiert die Slowakei sehr stark vom gestiegenen Bedarf an Waffen und Munition in Europa.
2-Prozent-Ziel knapp erreicht
Nachdem viele Jahre das Zwei-Prozent-Ziel der North Atlantic Treaty Organization (NATO) bei den Verteidigungsausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung nicht erreicht wurde, schaffte die Slowakei 2024 diese Hürde. Laut Staatshaushalt wurden knapp 2,6 Milliarden Euro für Verteidigungszwecke ausgegeben. Davon entfielen rund 550 Millionen Euro auf Personalkosten und 813 Millionen Euro auf Investitionen für Kampfflugzeuge, gepanzerte Kettenfahrzeuge, Radpanzer, Infrastruktur (unter anderem Flugzeughangars) sowie Kommunikations- und Informationssysteme. Für 2025 sind Ausgaben von 2,78 Milliarden Euro geplant, davon 1 Milliarde Euro für Investitionen.
Der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP bliebe damit stabil bei rund 2 Prozent. Premier Fico lehnt die automatische Übernahme der Pläne der NATO ab, den Etat bis 2035 auf 5 Prozent des BIP zu erhöhen. Er verweist darauf, dass die Slowakei ihre öffentlichen Finanzen in Ordnung bringen und beim Lebensstandard zum EU-Niveau aufschließen müsse. Sein Land habe andere Prioritäten als massive Rüstung, teilte er im Umfeld des NATO-Gipfels in Den Haag im Juni 2025 mit.
Laut Fico wird es auch im Staatshaushalt 2026 keine Erhöhung der Rüstungsausgaben über das aktuelle Niveau von zwei Prozent des BIP hinaus geben. Zusätzliche Mittel sollen nur für duale Projekte wie Krankenhäuser oder Infrastruktur verwendet werden.
Im Mai 2025 hatte die Slowakei mit elf weiteren EU-Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) bei der Europäischen Kommission die Aktivierung der nationalen Ausweichklausel beantragt. Sie sieht mehr finanziellen Spielraum für Investitionen in die Rüstungsindustrie vor, ohne dass dies automatisch zu einem Defizitverfahren führt.
Militärkrankenhaus für über 500 Millionen Euro
Eines der größten Vorhaben in diesem Zusammenhang ist das geplante Militärkrankenhaus im ostslowakischen Prešov. Die Einrichtung soll über 500 Millionen Euro kosten und Platz für 1.000 Betten bieten. Ein Teil des Hospitals wird für Armeeangehörige reserviert.
Auftraggeber ist das Zentrale Militärkrankenhaus Ružomberok. Der Bauauftrag ging im Juni 2025 an das slowakische Bauunternehmen Bekor sowie die beiden ungarischen Firmen Confector und West Hungária Bau. Laut Medienberichten war die Ausschreibung in Teilen intransparent. Das erfolgreiche Angebot des Baukonsortiums lag um 100 Millionen Euro über den ursprünglichen Kostenplänen der Regierung.
Immer wieder lassen die Verfahren zur Auftragsvergabe im slowakischen Verteidigungssektor Fragen hinsichtlich der Transparenz und Chancengleichheit aufkommen. Die wiederholte Berücksichtigung von Unternehmen mit Nähe zu staatlichen Stellen wird von Beobachtern kritisch gesehen.
Stark bei Haubitzen und Munition
Die Rüstungsbranche der Slowakei hat eine lange Tradition, die bis in die sozialistische Zeit zurückreicht. Sie produziert gepanzerte Fahrzeuge, Kanonen und Haubitzen, Munition, Radar- und Funktechnik und Simulatoren für Panzer oder Flugzeuge. Auch bei Minenräumausrüstung und IT-Systemen hat das Land spezialisierte Anbieter. Außerdem spielt die Slowakei eine wichtige Rolle bei der Wartung und Reparatur von Militärtechnik.
Waffensystem | Bekannte Anbieter |
---|---|
Artilleriemunition | ZVS Holding und VOP Nováky produzieren großkalibrige Munition, Zünder und Übungsmunition |
Artilleriesysteme | KONŠTRUKTA - Defence entwickelt die Haubitze Zuzana 2, die auch an die Ukraine geliefert wurde |
Radfahrzeuge | Zetor Engineering entwickelt militärische 4×4- und 6×6-Fahrzeuge wie den Zetor Gerlach |
Unbemannte Systeme | Unternehmen wie EVPÚ und MSM Group arbeiten an Drohnen, KI-gesteuerten Waffenstationen und Sensorik |
Modernisierung und Wartung | VOP Nováky und KONŠTRUKTA - Defence bieten Instandhaltung und Lebensdauerverlängerung für Munition und Fahrzeuge |
Dominiert wird die Verteidigungsindustrie von zwei Gruppen – der Czechoslovak Group (CSG) und dem Staat. Zur CSG der tschechischen Unternehmerfamilie Strnad gehören in der Slowakei die ZVS Holding, MSM Land System, ZVS Armory und Vývoj Martin. Außerdem haben staatliche Unternehmen wie Konštrukta-Defence und die DMD Group eine starke Position. Der Staat baut seine Rolle durch neue Joint Ventures aus.
Unternehmen | Rüstungsprodukte | Umsatz 2023 in Mio. Euro | Veränderung 2023/22 in % |
---|---|---|---|
VOP Nováky | Handgranaten, Antipanzermunition, Minenwerfer- und Artilleriemunition | 219 | 83,9 |
ZVS holding | Artilleriemunition, Aufschlagzünder für Munition, pyrotechnische Komponenten | 63 | 155,5 |
Aliter Holding | Kommunikationssysteme für militärische Zwecke, Telefon-, Daten- und Funknetze | 48 | 36,9 |
KONŠTRUKTA - Defence | Artilleriesysteme, Minenwerfer, Munitionswagen, elektronische Ladesysteme | 36 | -52,4 |
MSM Land Systems | Instandhaltung von Panzerwagen, Tankwagen, Spezialfahrzeuge | 31 | 72,1 |
Glock | Schusswaffen | 29 | -7,0 |
ZTS – Špeciál | Minenwerfer, Tankkanonen, Kanonen für gepanzerte Fahrzeuge und Geschütze | 21 | 51,2 |
Letecké opravovne Trenčín | Instandhaltung und Modernisierung von Militärflugzeugen, Hubschraubern, zuständig für UH-60 Black Hawk und F-16 | 17 | -31,8 |
EVPÚ | Fernbediente Waffenstationen und -systeme, Luftabwehrkanonen, Energiecontainer | 16 | 35,6 |
Vývoj Martin | Militärcontainer, Panzerschutzsysteme, Energieversorgung und Generatoren für Militärzwecke | 10 | 16,6 |
Das zeigt der Aufbau eines nahezu geschlossenen Produktionskreislaufs für 155-mm-Artilleriemunition, bei dem die Slowakei zu den führenden Standorten in Europa gehören will. Das letzte fehlende Element werden von CSG im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem slowakischen Staat errichtete Produktionskapazitäten für Granaten sein. Bis 2027 sollen dort jährlich über 330.000 Granaten entstehen – von Sprengladungen über Zünder bis hin zu Treibladungen. Damit wird die Slowakei neben Rheinmetall in Deutschland zu einem der wenigen europäischen Standorte mit vollständiger Fertigungstiefe in diesem Segment. TNT-Sprengstoff und Nitrocellulose werden nach Berichten der Tageszeitung SME teilweise in Griechenland und Deutschland eingekauft.
Kooperationen mit europäischen Partnern
Bei der Entwicklung seiner Rüstungsindustrie setzt Bratislava auf Kooperationen. Tschechien ist dabei historisch und durch das Engagement der Czechoslovak Group der wichtigste Partner. Auch bei Trainingsflugzeugen und Radargeräten setzt die Slowakei auf tschechische Technik. Weiterhin sind slowakische Unternehmen in länderübergreifende NATO-Projekte eingebunden, darunter beim schwedischen Schützenpanzer CV90 und beim finnischen Radpanzer Patria oder bei Airbus Defence. Mit Polen wird die gemeinsame Produktion des Schützenpanzers Rosomak verhandelt, bei dem der Geschützturm slowakisch sein soll. Außerdem ist Bratislava an südkoreanischen K2-Panzern interessiert, die in Polen vom Band laufen sollen. Mit Spanien und Israel wird über Flugabwehrsysteme verhandelt.
Chancen für deutsche Unternehmen
- Zulieferung von Maschinen und Komponenten für Munitions- und Fahrzeugproduktion
- Technologiepartnerschaften im Bereich Drohnen, Sensorik und KI
- Forschung und Entwicklung im Rahmen von EU-Programmen wie PESCO oder DIANA
- Joint Ventures zur Produktion von Dual-Use-Technologien
- Logistik und Infrastruktur: Beteiligung an Projekten wie Bau von Brücken, Straßen, Lagerkapazitäten
Kontaktaufnahme:
Branchenverband Vereinigung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie der Slowakischen Republik ZBOP
Rüstungsmesse IDEB Defence&Security in Bratislava, in unregelmäßigem Rhythmus, zuletzt 2018, 2021, 2022, 2023, 2024. Nächste Veranstaltung für 2026 geplant.
AHK Slowakei (Deutsch-Slowakische Industrie- und Handelskammer)
Vorhaben | Kosten | Erläuterungen |
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Anschaffung von 152 Panzern des Typs CV90MklV | 1.700 | Lieferant: BAE Systems Hägglunds (Schweden) unter 40-prozentiger Beteiligung slowakischer Firmen; Lieferung ab 2025 |
Anschaffung von 14 Kampfjets F-16 Block 70 | 1.500 | Lieferant: Lockheed Martin (USA); Lieferung bis Ende 2025 |
Bau eines neuen Militärkrankenhauses in Prešov | 450 | 1.000 bis 1.200 Betten; Fertigstellung bis 2027 |
Beschaffung von 76 gepanzerten Mehrzweckfahrzeugen Patria 8x8 | 428 | Lieferant: Patria (Finnland) mit Anteil slowakischer Firmen; Lieferung bis 2027 |
Kauf von 770 Lkw N3G – Tatra T 815-7 | 422 | Lieferant: Czechoslovak Group (CSG) |
Anschaffung von vier Luftabwehrsystemen Barak MX | 369 | Lieferant: Israel Aerospace Industries |
Werk für großkalibrige Munition in Strážske | 350 | Investor: MSM Group (Teil der CSG); Umbau eines bestehenden Chemieareals; Produktion von Staubfüllung für die Artilleriemunition; Fertigstellung bis 2027 |
Kauf von 17 3D-Radaren | 148 | Lieferant: Israelische Regierung; Lieferung bis 2027 |
Kauf von 12 gebrauchten Hubschraubern Sikorsky UH-60L Black Hawk | 150 | Lieferant: Helicopter Alliance (Tschechien) |
Projekt Cylinder Factory zur Produktion von Munition und Patronenhülsen in Sobrance – ARM servis | 14 | Umbau des Brownfields Vihorlat; 220 neue Arbeitsplätze |