Interview | Tschechische Republik | Halbleiterindustrie
"Viel Potenzial bei Analysegeräten für Chipproduktion"
Tschechien will ein wichtiger Zulieferer für Europas Chipindustrie werden. Der Vizepräsident des Clusterverbands CNSC beschreibt im Interview die Stärken des Landes.
07.05.2025
Von Gerit Schulze | Prag

Der Czech National Semiconductor Cluster (CNSC) ist die wichtigste Branchenvereinigung für die tschechische Halbleiterindustrie. Der Verbund ist Mitglied in der Silicon Europe Alliance und kooperiert eng mit deutschen Standorten der Mikroelektronik. Im Interview beschreibt Vizepräsident Michal Lorenc die Stärken und Zukunftspotenziale Tschechiens.
Was sind Tschechiens Stärken in der Halbleiterindustrie?
Die Tschechische Republik verfügt über viel technische Erfahrungen durch die gut entwickelte Automobilindustrie. Das führt auch zu einem entsprechenden Angebot an Ausbildung. Für die Halbleiterfertigung haben wir viele Absolventen in den Disziplinen Chemie, Physik und Maschinenbau. Und schließlich können wir uns auf eine 70-jährige Geschichte bei Halbleitertechnologien stützen. Schon 1949 wurde in Prag der erste Transistor außerhalb der Bell-Labore demonstriert. Und 1955 begann die tschechoslowakische Firma Tesla in Rožnov pod Radhoštěm mit der Fertigung von Germanium-Transistoren. Heute produziert der US-Halbleiterkonzern Onsemi in dem Ort.
"Der Standort Brno ist besonders innovativ und inspirierend."
Wo liegen die regionalen Zentren der tschechischen Halbleiterbranche?
Der nationale Halbleiter-Cluster CNSC wurde in Brno gegründet, weil das Umfeld dort besonders innovativ und inspirierend ist. Brno ist die Welthauptstadt der Elektronenmikroskopie, jedes dritte Gerät stammt von hier. Das Ökosystem rund um Ausbildung, Forschung, Komponentenfertigung bis hin zum Bau von Elektronenmikroskopen überschneidet sich mit den Bedürfnissen der Halbleiterbranche. Brno ist eine Universitätsstadt mit großer Forschungslandschaft wie dem Technologiezentrum CEITEC und Instituten der Akademie der Wissenschaften. Dort wird an Halbleitermaterialien und -komponenten geforscht, an Prozessoren und Cybersecurity-Lösungen.
Die Niederlassungen von Onsemi, NXP und Honeywell in Brno sind in ihren jeweiligen Bereichen weltweit führend. Sie werden ergänzt durch lokale Firmen wie Codasip, BrnoLogic und Mycroft Mind.
Ein weiteres Zentrum der tschechischen Halbleiteraktivitäten ist Rožnov pod Radhoštěm in der Region Zlín, das eng mit der Geschichte von Tesla verknüpft ist. Dort hat sich rund um die Produktion von Leistungskomponenten bei Onsemi ein einzigartiges Ökosystem entwickelt. Die Tomáš-Baťa-Universität in Zlín wird demnächst Studiengänge für Halbleiterthemen anbieten.
Was ist mit der Hauptstadt Prag?
Der Großraum Prag ist ebenfalls ein wichtiger regionaler Cluster. Dort produziert Hitachi Energy Halbleiter, es gibt eine Reihe von Designzentren, die größte technische Universität des Landes sowie Forschungsinstitutionen.
Außerdem entwickelt sich das Halbleitersegment schnell in der Region Ústí nad Labem wegen der Nähe zu Sachsen und in der Region Plzeň. Die Region Olomouc positioniert sich als Zulieferer von optischen Komponenten und Liberec mit Optoelektronik und Nanotechnologie.
Mit welchen Produkten könnte Tschechien in Zukunft eine noch wichtigere Rolle in Europa spielen?
Die Tschechische Republik plant, ihr Potenzial bei wichtigen Geräten für die Herstellung und Analyse für die Chipproduktion auszuweiten. Dazu gehören Elektronenmikroskope, Optik und Optoelektronik, Sensoren, Leistungskomponenten, aber auch neue Halbleiterstrukturen und Materialien mit großer Bandlücke. Auch bei neuen Prozessorlösungen wie RISC-V oder CHERI, bei Lösungen für Cybersicherheit, strahlengeschützter Mikroelektronik und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Prozessorarchitektur ist Tschechien mit dabei. Ein wesentliches Element der nationalen Halbleiterstrategie ist die Entwicklung des Fabless-Sektors, bei dem keine riesigen Investitionen nötig sind ["Fabless" sind Unternehmen, die sich auf das Design und die Entwicklung von Halbleitern konzentrieren, aber keine eigenen Produktionsanlagen besitzen, Anm. d. Red.].
Wie schätzen Sie Europas Chancen ein, mit dem Chips Act international wieder wettbewerbsfähig zu werden?
Der EU Chips Act ist wichtig für die künftige Wettbewerbsfähigkeit der EU, sollte sich aber auf bürokratische Entlastungen und ein hohes Maß an Flexibilität konzentrieren. Ich würde die Frage umkehren: Ist der Chips Act selbst wettbewerbsfähig gegenüber ähnlichen Maßnahmen in den USA und Asien? Die Motivation war die Verdoppelung des EU-Anteils am weltweiten Halbleitermarkt von 10 Prozent im Jahr 2022 auf 20 Prozent bis 2030. Im Jahr 2024 erreichte die EU einen Weltmarktanteil von 8,1 Prozent.
"Tschechien könnte ein wichtiger Lieferant für die Fabriken in Deutschland werden."
Auf welchen Gebieten könnten Deutschland und Tschechien bei der Chipproduktion enger kooperieren?
Ein gemeinsames Halbleiter-Ökosystem könnte analog zur Automobilindustrie entstehen. Tschechien würde dann ein wichtiger Lieferant für die Fabriken in Deutschland werden, insbesondere an den starken Halbleiterstandorten Sachsen und Bayern. Der Nationale Halbleitercluster kooperiert seit seiner Gründung mit Silicon Saxony.
Gibt es in der Tschechischen Republik genügend Fachkräfte für die Halbleiterindustrie?
Die nationale Halbleiterstrategie zielt auf 9.000 qualifizierte Fachkräfte im Halbleitersektor bis 2029 ab. Die Hochschulen erhalten mehr Mittel, um die Ausbildung zu entwickeln. Daran sollen sich auch die Unternehmen beteiligen. Tschechien nimmt mit der Technischen Universität Brno und vier Industriepartnern aktiv am Bildungsprogramm "Chips of Europe" teil. Neue Halbleiterstudiengänge werden von der Westböhmischen Universität Plzeň, der Tomáš-Baťa-Universität in Zlín und der Technischen Universität VŠB Ostrava eingeführt. Einige Universitäten haben Kooperationen mit taiwanesischen Instituten: das Advanced Chips Design Research Center an der Masaryk-Universität in Brno, die ČVUT in Prag mit der Taiwan Chip Academy und das Supply Chain Resilience Center an der Prager Karls-Universität. Wir tun also unser Bestes, um die Tschechische Republik auf die Herausforderungen für qualifizierte Fachkräfte vorzubereiten.