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Tschechien geht ins Rennen um KI-Gigafactory
Tschechien bewirbt sich in Brüssel als Standort einer Gigafactory für künstliche Intelligenz. Bis Ende 2025 entscheidet die EU über den Zuschlag für das milliardenschwere Projekt.
10.07.2025
Von Gerit Schulze | Prag
Prag könnte in den kommenden Jahren zu einem Zentrum der künstlichen Intelligenz (KI) in Europa werden. Die tschechische Hauptstadt gehört zu den 76 Bewerbern, die bei der Europäischen Kommission ihr Interesse am Programm "AI Continent" bekundet haben. Im Rahmen dieses Projekts will die EU 20 Milliarden Euro mobilisieren, um fünf große KI-Gigafactories in der Europäischen Union zu errichten.
Eines der Vorhaben soll im Prager Ortsteil Zbraslav entstehen. Dort plant das Unternehmen České Radiokomunikace (ČRa) bereits den Bau eines modernen Rechenzentrums, das "Prague Gateway DC". Mit 2.500 Server-Racks wird es das größte seiner Art in Tschechien. Direkt neben dem Rechenzentrum möchte ČRa die Gigafactory errichten, die mit 100.000 spezialisierten KI-Prozessoren ausgestattet werden soll und damit zu den leistungsfähigsten Rechenzentren Europas zählen würde. Ziel ist es, komplexe KI-Modelle zu trainieren und eine Infrastruktur zu schaffen, die Forschung, Industrie und Start-ups gleichermaßen nutzen können. Das tschechische Wirtschaftsministerium rechnet mit Investitionskosten von rund 4 Milliarden Euro, wovon der Privatinvestor zwei Drittel tragen müsste.
Investor betreibt wichtige Kommunikationsnetze im Land
ČRa ist der Betreiber der Fernseh-, Radio- und Internetinfrastruktur in Tschechien. Er verfügt über 600 Sendeanlagen im ganzen Land und damit über eine flächendeckende Signalversorgung. Außerdem bietet das Unternehmen Cloud- und Datacenterdienste an. ČRa gehört der kanadischen Investmentgesellschaft Cordiant Digital Infrastructure.
Bei der Errichtung der KI-Gigafactory will ČRa mit dem Supercomputerzentrum IT4Innovations aus Ostrava zusammenarbeiten. Dort stehen bereits die leistungsstärksten Rechner Tschechiens, die allerdings allmählich ihre Kapazitätsgrenzen erreichen. Daher ist die Anschaffung neuer Technik geplant, um zum Beispiel die Alzheimerforschung mit Hilfe künstlicher Intelligenz voranzutreiben.
Rückenwind für die Digitalwirtschaft
Die Bewerbung von ČRa wird unterstützt vom Ministerium für Industrie und Handel (MPO). Dessen Beauftragter für KI, Jan Kavalírek, sieht gute Chancen für den Zuschlag: "Wenn wir das Projekt realisieren, verfügen wir über eine der weltweit besten KI-Infrastrukturen." Die Gigafactory eröffne die Möglichkeit, die leistungsstärksten KI-Modelle zu entwickeln und zu trainieren. Das helfe der Forschung, der Digitalwirtschaft und auch bei staatlichen Anwendungen, schrieb der KI-Beauftragte Kavalírek auf der Plattform LinkedIn.
Tschechien hat bereits seit 2019 eine Nationale KI-Strategie, die 2024 aktualisiert wurde. Das Land will nicht nur Nutzer von künstlicher Intelligenz sein, sondern aktiv zu deren Entwicklung beitragen. Das Industrie- und Handelsministerium kündigte für 2026 Investitionen von rund 800 Millionen Euro in KI an. Geschaffen werden sollen unter anderem ein virtuelles KI-Institut und KI-Botschafter an Schulen.
Mittelfristig soll künstliche Intelligenz die Lebensqualität verbessern und die Effizienz von Wirtschaft und Verwaltung erhöhen. Dafür wird die Forschungsinfrastruktur ausgebaut, es werden Ausbildungsprogramme an Hochschulen gestartet und die Spitzenforschung sowie internationale Kooperationen gefördert.
Nach Berechnungen des Verbands AI Chamber könnte die tschechische Wirtschaftsleistung durch mehr KI-Anwendungen jährlich um 10 Milliarden Euro wachsen, vor allem durch Effizienzgewinne bei kleinen und mittleren Unternehmen. Die AI Chamber schlägt vor, die nationalen Supercomputer besser zu vernetzen, gemeinsame Datenbanken und Standards für Daten zu schaffen und Hochschulabsolventen zur Rückkehr in ihre Heimat zu motivieren.
Schlechte Erfahrungen mit Plänen für Großprojekte
Trotz der Euphorie in Bezug auf die Gigafactory gibt es in Tschechien auch kritische Stimmen. Zwei frühere Großprojekte – eine geplante Batterie-Gigafactory von Volkswagen bei Plzeň und ein Microsoft-Datencenter in Prag – scheiterten unter anderem an bürokratischen Hürden und langwierigen Genehmigungsverfahren. Bei Microsoft führten auch die vergleichsweise hohen Energiepreise in Tschechien zu der Absage. Allerdings baut der US-Softwarekonzern sein Forschungszentrum in Prag aus und will dieses zu einem KI-Hub für Zentraleuropa machen.
Kritische Fragen wirft die hohe Energie- und Wassernachfrage der geplanten Anlage auf: Bei voller Auslastung könnte das Prager KI-Zentrum jährlich bis zu 1,75 Terawattstunden Strom verbrauchen – vergleichbar mit dem Jahresverbrauch der zweitgrößten tschechischen Stadt Brno. Die bevorzugte Flüssigkeitskühlung für die Server könnte jährlich über 2 Millionen Kubikmeter Wasser benötigen, was in heißen Sommern problematisch sein könnte.
Als Standortnachteil könnten sich außerdem die Exportbeschränkungen der USA für KI-Chips erweisen. Durch die noch unter Präsident Joe Biden eingeführte Regelung gehört Tschechien nur zur sogenannten Tier-2-Gruppe. Demnach wäre der Zugang zu Grafikprozessoren (GPU) auf 50.000 Einheiten im Zeitraum 2025 bis 2027 beschränkt. Der Import bestimmter KI-Technologien und Chips aus den USA unterliegt Genehmigungspflichten. Außerdem dürfen Unternehmen aus Tier-1-Ländern (also auch aus Deutschland) nur begrenzt Rechenkapazität in Tier-2-Ländern wie Tschechien installieren.
Und schließlich ist die Standortkonkurrenz in Europa mit Bewerbungen aus 16 Mitgliedstaaten groß. Tschechiens Nachbarland Polen hat im Konsortium mit Estland, Litauen und Lettland eine Interessensbekundung in Brüssel eingereicht. Bei der sogenannten Baltic AI GigaFactory sind Industriepartner wie der Onlinehändler Allegro, der Cloud-Anbieter Cloudferro und der Mobilfunkbetreiber Orange Polska mit im Boot. In Deutschland wollen Chiphersteller NVIDIA und die Deutsche Telekom eine AI-Gigafactory aufbauen. Die Entscheidung der Europäischen Kommission über die endgültigen Standorte wird im Dezember 2025 erwartet.
Europas KI-Gigafabriken
Über die Initiative EuroHPC JU (European High Performance Computing Joint Undertaking) baut die Europäische Union schon jetzt eine europäische Supercomputer-Infrastruktur auf. Das soll Europas Wettbewerbsfähigkeit im Bereich des Hochleistungsrechnens stärken. Die Rechenleistung steht der Wissenschaft, Industrie und öffentlichen Verwaltung zur Verfügung. Die KI-Factories-Initiative der EU nutzt das EuroHPC-Netzwerk, um den Kontinent eine Führungsrolle beim KI-Wettlauf zu verschaffen. Diese Fabriken werden leistungsfähige Rechen- und Datenspeicherzentren sein, die speziell für die Entwicklung und den Einsatz von KI-Anwendungen der nächsten Generation konzipiert sind. Im Rahmen ihrer InvestAI initiative schafft die EU zusätzlich einen 20 Milliarden Euro schweren Fonds, über den die fünf Gigafactories finanziert werden. Dabei sollen 65 Prozent der Kosten durch private Investoren getragen werden.