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Tschechien steuert auf Regierungswechsel zu
Bei den anstehenden Parlamentswahlen in Tschechien zeichnet sich ein Regierungswechsel ab. Das Ergebnis könnte auch auf die Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland ausstrahlen.
25.09.2025
Von Gerit Schulze | Prag
In der Tschechischen Republik finden am 3. und 4. Oktober 2025 die Wahlen zum Abgeordnetenhaus statt. Die 200 Mandatsträger im Unterhaus des Parlaments entscheiden über die künftige Regierung bei Deutschlands zehntwichtigstem Handelspartner.
Nach Wahlumfragen werden das Mitte-Rechts-Bündnis SPOLU und die liberal-konservative Bewegung STAN, die derzeit die Regierung stellen, ihre Mehrheit verlieren. Mit Abstand stärkste Partei könnte die rechtspopulistische Bewegung ANO werden, die vom Unternehmer und früheren Ministerpräsidenten Andrej Babiš angeführt wird.
ANO hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges die militärische Unterstützung für die Ukraine zurückzufahren. Dafür investiert Tschechien künftig mehr in die grenzüberschreitende Infrastruktur, auch Richtung Deutschland. Investitionshilfen für strukturschwache Regionen entlang der sächsischen Grenze könnten Konkurrenz für Gewerbegebiete auf deutscher Seite bedeuten.
Laut den letzten Umfragen liegt ANO bei rund 31 Prozent der Stimmen, wird damit keine absolute Mehrheit im Parlament erreichen. Die bisherige Regierungskoalition aus SPOLU und STAN kommt zusammen auf einen ähnlichen Wert. Mit Spannung blickt das Land daher auf die möglichen Koalitionspartner für eine Regierungsbildung.
Systemkritische Parteien vor Einzug ins Parlament
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel überwinden voraussichtlich die rechtsextreme und europaskeptische SPD ("Freiheit und direkte Demokratie"), die bei Umfragen bis zu 14 Prozent der Stimmen erreicht. Außerdem die Piraten (liberal-progressive Partei), das linkspopulistische und systemkritische Wahlbündnis Stačilo! ("Es reicht!") und die Autofahrerpartei Motoristé sobě, die sich für die Rettung des Verbrennungsmotors einsetzt.
Damit zeichnet sich ab, dass in Tschechien zunehmend EU-skeptische Positionen im Parlament vertreten sind. ANO, SPD und Stačilo! lehnen zentrale EU-Vorhaben wie den Green Deal oder das Emissionshandelssystem ETS2 ab.
Doch auch Premierminister Petr Fiala sagte im September 2025, dass Tschechien keine weiteren Klimaziele unterstützen werde, die die Wettbewerbsfähigkeit und eine bezahlbare und zuverlässige Energieversorgung gefährden würden. Tschechien war eines von 19 Ländern, die sich in Brüssel für eine Begrenzung des Preises für Emissionszertifikate stark machten.
Wenig Unterstützung für Klimaschutz
Laut Umfragen von Eurobarometer unterstützen nur 15 Prozent der tschechischen Bürger das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Die kritische Haltung zur EU hat Tradition: Laut Eurobarometer haben die Tschechen unter allen Mitgliedstaaten die negativste Einstellung gegenüber der EU.
Dabei profitiert das Land stark von offenen Grenzen und den Fördermitteln aus Brüssel. Allein in der laufenden Förderperiode (2021 bis 2027) stehen über 20 Milliarden Euro Kohäsionsmittel zur Modernisierung des Landes bereit.
Wirtschaft läuft wieder rund
Auch die Konjunktur läuft besser als in vielen Staaten Westeuropas. Seit dem Amtsantritt der Mitte-Rechts-Regierung im Dezember 2021 ist die Wirtschaft in keinem Jahr in die Rezession gerutscht. Für 2025 erwartet das Tschechische Finanzministerium ein Plus von 2,1 Prozent (EU-27: 1,5 Prozent), für das Folgejahr 2 Prozent (EU-27: 1,8 Prozent). Die Automobilindustrie als wichtigster Wirtschaftszweig stellte 2024 einen Produktionsrekord auf. Tschechiens Staatsfinanzen sind im Lot, und die Arbeitslosenquote zählt zu den niedrigsten in Europa. Weitere Wirtschaftskennzahlen bieten unsere Wirtschaftsdaten kompakt.
Indikator | 2021 | 2022 | 2023 | 2024 | 2025 *) |
---|---|---|---|---|---|
Entwicklung des BIP | 4,0 | 2,8 | 0,0 | 1,2 | 2,1 |
Inflationsrate | 3,8 | 15,1 | 10,7 | 2,4 | 2,4 |
Reallöhne | 1,9 | -9,3 | -3,1 | 4,7 | 4,0 |
Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP | 40,7 | 42,5 | 42,2 | 43,3 | 44,2 |
Haushaltsdefizit im Verhältnis zum BIP | -5,0 | -3,1 | -3,7 | -2,0 | -1,9 |
Arbeitslosigkeit (nach ILO-Methode) in % | 3,8 | 3,4 | 3,6 | 3,8 | 4,4 |
Allerdings ist die Kaufkraft nach Russlands Angriff auf die Ukraine und dem folgenden Energiepreissprung drastisch eingebrochen. Zwei Jahre lang legten die Preise zweistellig zu. Wegen der hohen Inflationsrate liegen die Reallöhne heute noch unter dem Niveau von 2019.
Wohnungskosten sind explodiert
Neben Strom, Heizung und Lebensmitteln sind auch die Wohnungspreise explodiert. In Prag kostet eine Neubauwohnung mehr als in Rom und Mailand, Brno liegt auf dem Niveau spanischer Großstädte.
Eine Analyse des Immobilienentwicklers Central Group zeigt, dass in Prag fast 15 Jahresgehälter notwendig sind, um eine 70 Quadratmeter große Wohnung zu kaufen. In München liegt der Wert bei 11 Jahren, in Warschau bei 10 und in Berlin bei 8 Jahren.
Fast alle Parteien versprechen schnellere Genehmigungsverfahren für Bauvorhaben und weniger Bürokratie. Auch beim Ausbau der Infrastruktur und bei der Beteiligung privater Investoren über Public Private Partnerships gibt es kaum Unterschiede zwischen den Regierungsparteien und ANO. Einig sind sich alle Parteien über den Ausbau der Kernkraft.
ANO allerdings will dafür den größten Energieversorger des Landes, ČEZ, vollständig unter staatliche Kontrolle bringen. Bislang gehören 69,9 Prozent der Aktien dem tschechischen Staat.
Die größte Oppositionspartei verspricht eine Senkung der Unternehmenssteuern und das schnellste Lizenzverfahren für Fintechs in der EU. Innovative Finanzdienstleister sollen innerhalb von drei Monaten eine Marktzulassung bekommen. Weiterhin will ANO die elektronische Umsatzerfassung im Einzelhandel, Hotel- und Gastgewerbe einführen.
Im Vergleich: Wirtschaftspläne der führenden tschechischen Parteien
ANO | SPOLU | SPD | STAN |
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Unternehmenssteuer von 21 auf 19 Prozent senken | Maximal eine Steueränderung pro Legislaturperiode | Keine neuen Schulden in Wachstumsphasen, keine Steuererhöhungen | Effizientes Haushaltsmanagement, Einhaltung der EU-Defizitregeln |
Vereinfachte Mehrwertsteuer für Gastronomie von 12 Prozent | Schnellere Abschreibungen für Investitionen in moderne Technologien | Bekämpfung von Kapitalabfluss und Gewinnverschiebungen ins Ausland | Erbschaftssteuer für große Vermögen |
Wiedereinführung der Elektronischen Umsatzerfassung (EET) in Handel und Gastronomie | Onlinegründung von Unternehmen innerhalb eines Tages | Laufzeit der Kohlekraftwerke bis mindestens 2050 verlängern | Förderung erneuerbarer Energien |
Senkung der Staatsausgaben um 5 Prozent jährlich durch Digitalisierung und Bürokratieabbau | Abbau des Haushaltsdefizits, Ziel ist ausgeglichener Haushalt | Einschränkung Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, besonders aus der Ukraine | Leichterer Zugang zu Finanzierung für Start-ups, Steuervorteile für Mitarbeiteraktien |
Modernisierung der Bahnverbindungen nach Furth im Wald, Gmünd und Linz | Einheitliches Bürgerportal für alle Amtsgeschäfte und Sozialleistungen | Förderung von kommunalem und genossenschaftlichem Wohnungsbau | Entwicklung regionaler Flughäfen und Wasserwege |
Sonderwirtschaftszonen in strukturschwachen Regionen mit Steuervergünstigungen | Förderung von Start-ups, unter anderem durch Mitarbeiteraktien | Staatlicher Energiehändler soll Strom und Gas direkt bei Erzeuger kaufen und so Preise stabilisieren | Nachhaltige Landwirtschaft, Investitionen in Abfall- und Wassermanagement |
Bau von Eisenbahn- Hochgeschwindigkeitsstrecken sowie Ausbau des Autobahnnetzes nach Polen und Österreich | Fertigstellung des Autobahnnetzes und Modernisierung der Eisenbahnen | Investitionen in Straßen- und Schieneninfrastruktur | Mehr KI-Einsatz und Digitalisierung im Gesundheitssystem |
Investitionsanreize für Forschung und Entwicklung, Ziel: 2,5 Prozent des BIP für Forschung | Öffentliche Investitionen in Schlüsselbranchen wie Halbleiter, autonomes Fahren, Energiespeicher und Raumfahrt | Ablehnung von Subventionswirtschaft | Mehr Fördermittel für Forschung und Entwicklung |
Einführung des Euro steht nicht zur Debatte
Keine Rolle im Wahlkampf spielt die Euro-Einführung in Tschechien. Das Thema wäre derzeit auch nicht mehrheitsfähig. Von den Parteien mit Chance auf Wiedereinzug ins Parlament sprechen sich nur STAN und die Piraten für die Übernahme der Gemeinschaftswährung aus.
Dabei wickelten Tschechiens Unternehmen 2024 rund 55 Prozent ihres Außenhandelsvolumens mit der Eurozone ab. Für die Wirtschaft würde ein Beitritt zur Währungsgemeinschaft weniger Kosten für Wechselkursabsicherung und Umtauschgebühren bedeuten.
Tschechien ist Deutschlands zehntwichtigster Handelspartner mit einem Handelsvolumen von mehr als 110 Milliarden Euro (2024). Als Beschaffungsmarkt rangiert es sogar auf Platz 7. Die wichtigsten Handelsgüter in beide Richtungen sind Maschinen, Elektrotechnik, Autos und Kfz-Teile.
Deutsche Unternehmen setzen auf weniger Bürokratie und mehr Bildungsausgaben
Die deutsche Wirtschaft in Tschechien wünscht sich nach den Wahlen Veränderungen in drei Bereichen: Bildung, Entbürokratisierung und angewandte Forschung und Entwicklung. Das sagt Bernard Bauer, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tschechien). "Das Ziel bis 2030 Innovationsführer zu werden, ist in weite Ferne gerückt, die Zahl der Patente sinkt seit 2019." Es reiche nicht, Geld für Forschung zur Verfügung zu stellen. Wichtig sei eine klare Infrastruktur von Institutionen, die effektiver zusammenarbeiten.
Die AHK fordert außerdem Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. "In Zeiten rasanter technologischer Entwicklung brauchen wir eine Flexibilisierung der Lehrpläne, eine Förderung von Upskilling und eine spürbare Entbürokratisierung, damit sich die Unternehmer endlich wieder auf die Wettbewerbsfähigkeit ihres Kerngeschäfts konzentrieren können", sagt Kammergeschäftsführer Bauer mit Blick auf die anstehenden Wahlen.