Markets International 1/25 I Branchen I Bekleidungsindustrie
Viel Stoff für Veränderung
Nordafrika und Osteuropa haben sich neben dem asiatischen Raum zu wichtigen Beschaffungsmärkten für die Bekleidungsindustrie entwickelt. Dennoch können sie Asien nicht so schnell den Rang ablaufen – die Gründe dafür sind vielfältig.
06.05.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn
- Asien dominiert
- Moldau: Qualität statt Masse
- Die Ausnahmefälle: Türkei und Ägypten
- Nearshoring hat Vorzüge
- Tunesien: Ein kleiner, aber wichtiger Partner
- Qualität oder Quantität
- Van Laack Tunisie: Bessere Chancen für Näherinnen in Bizerte
- Marokko: Anziehungspunkt für internationale Textilunternehmen
- Unklare Perspektiven
- »Unsere Nähroboter unterstützen den Wiederaufbau der Industrie in Europa«
Die Stimmung ist verhalten im Konferenzraum des Frankfurter Steigenberger-Hotels. Es sind nur wenige Einkäufer zum Apparel Sourcing Club Day im Oktober 2024 erschienen, die sich für das Angebot der rund 30 teilnehmenden Bekleidungshersteller aus Osteuropa und Nordafrika interessieren. „Die Nachfrage ist am Boden, und auch 2025 und 2026 wird der Markt schwierig bleiben“, meint Sven Eriskat vom Außenwirtschaftsberatungsunternehmen Infoaid, der die Veranstaltung mitorganisiert hat. Eine Pleiteserie plagt schon länger die deutsche Modebranche. Beispielsweise musste die bekannte Modemarke Esprit im vergangenen Jahr endgültig aufgeben. „Die Leute reisen und gehen ins Restaurant, sparen aber bei der Bekleidung“, sagt Eriskat, der europäische Modefirmen beim Einkauf, insbesondere aus Nordafrika, berät.
Markets International Ausgabe 1/25

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 1/2025 mit dem Schwerpunkt Robotik. Erfahren Sie, welche weiteren Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.
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Zu schaffen macht der Branche zudem der Erfolg der chinesischen Billig-Shopping-Plattform Shein. China, größter Lieferant Deutschlands, hat laut Statistischem Bundesamt 2023 im Vergleich zu 2022 über zwei Milliarden Euro weniger Bekleidung nach Deutschland exportiert. Beobachter vermuten jedoch, dass ein Teil davon über Millionen unregulierter Paketsendungen von Shein weiterhin ins Land gelangt ist. Die Europäische Union hat inzwischen ein Verfahren gegen das chinesische Unternehmen eingeleitet.
Asien dominiert
Asien produziert den größten Teil der in Deutschland verkauften Bekleidung. Das bleibt auch so, sind sich Branchenvertreter einig. Aus Asien (ohne die Türkei) stammten 2023 rund 65 Prozent der deutschen Bekleidungsimporte in Höhe von 37 Milliarden Euro. Hersteller aus Osteuropa und Nordafrika steuerten lediglich 7,7 Milliarden Euro und 3,9 Prozent bei. Die Produktion innerhalb Deutschlands ist minimal. Der gesamte Umsatz im deutschen Modeeinzelhandel lag 2023 laut Statista bei 67 Milliarden Euro.
Nordafrika und Osteuropa können in der Bekleidungsproduktion weder bei den Kosten noch bei den Mengen mithalten. In den beiden nordafrikanischen Ländern Tunesien und Marokko, zwei wichtige Lieferanten für Deutschland, gibt es beispielsweise nur eine begrenzte Anzahl von Herstellern. Dort ansässige Firmen müssen die Stoffe und zahlreiche Zubehörteile für die Produktion erst importieren, was die Kosten in die Höhe treibt. Aus Osteuropa zieht die Branche angesichts kräftig gestiegener Kosten bereits seit einiger Zeit wieder ab.
Die Größenverhältnisse in der globalen Bekleidungsindustrie verdeutlicht Farooq Hossain, Direktor des bangladeschischen Jeansherstellers Denim Expert und einer der Teilnehmer des Apparel Sourcing Club Day. Mit rund 2.000 Mitarbeitenden beschäftigt er deutlich mehr Menschen als seine Mitaussteller aus Osteuropa und Nordafrika. „In Bangladesch sind wir ein kleines bis mittelständisches Unternehmen“, berichtet Hossain. Er produziert täglich 12.000 Hosen und sagt: „Die großen Hersteller bei uns machen 300.000.“
Die Dominanz Asiens zeigt sich besonders im Massenmarkt. Denim Expert liefert seine Jeans in Deutschland an Takko, Kik, H&M und andere Anbieter aus dem unteren Preissegment, die große Mengen bestellen. „Für Discounter ist der Preis entscheidend“, sagt dazu Sven Eriskat. Und die Gewissheit, dass die Ware pünktlich in der vereinbarten Qualität verfügbar ist. „In diesem Geschäft sind Staaten wie Bangladesch unschlagbar mit ihren niedrigen Kosten und riesigen Produktionskapazitäten.“
Moldau: Qualität statt Masse
Die Bekleidungsindustrie Moldaus setzt auf Luxus statt Fast Fashion. Mit italienischen Modelabels als Kunden und einer Strategie für mehr Wertschöpfung will das Land neue Wege gehen – hat dabei aber auch Hürden zu bewältigen.
von Ulrich Binkert, GTAI Bonn

Die Bekleidungsindustrie in Moldau ist ein Beispiel dafür, wie sich Osteuropa in höhere Marktsegmente vorarbeitet. „Wir produzieren eben nicht für C&A, H&M oder Inditex“, sagt Marcela Lozovanu, Geschäftsführerin von Apius, Moldaus Branchenverband für die Mode- und Textilproduktion. Die niedrigen Preise der großen Modeketten seien für die moldauische Bekleidungsbranche mit ihren insgesamt 25.000 Beschäftigten schon lange nicht mehr auskömmlich, bei Monatsgehältern von aktuell rund 600 Euro. Lozovanu spricht zudem davon, dass viele Menschen emigrieren und dadurch Arbeitskräfte fehlen. „Gerade junge Menschen wollen nicht bei uns arbeiten. Dafür haben wir jetzt auch Beschäftigte aus Nepal und Bangladesch in unseren Fabriken.“
Die Beschäftigten in den Betrieben sind laut Verband gut ausgebildet und produzieren hohe Qualität. Seit etwa fünf Jahren arbeite die Branche schwerpunktmäßig für Marken im gehobenen Preissegment. Dazu nutze man vor allem italienische und türkische Stoffe. Im nächsten Schritt gehe es nun um mehr Wertschöpfung und den Aufbau eigener Marken.
Lohnveredelung ist vorherrschend
Beim Hersteller Ionel, mit rund 300 Beschäftigten einer der größten Bekleidungshersteller in Moldau, könnte die Richtung stimmen: Chefingenieurin Inga Gawrilita nennt als Kunden die italienischen Edelmarken Gucci, Armani und Dolce & Gabbana. Rund ein Fünftel der hergestellten Ware werde im Inland verkauft, den Großteil hingegen lassen ausländische Kunden unter Bereitstellung sämtlicher Vorprodukte als Lohnveredelung fertigen. Nach Angaben des Verbands macht der Wertschöpfungsanteil dieser Form der Lohnveredelung in der moldauischen Textilindustrie 90 Prozent aus. Wichtigste Exportmärkte Moldaus sind Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich. Nach Deutschland geht laut Gawrilita erst wenig.
Fakten zu Moldau:
2023 exportierte Moldau Bekleidung im Wert von rund 370 Mio. €.
512 Unternehmen sind im Textil- und Bekleidungssektor tätig.
Die mit Abstand wichtigste Sparte ist hochwertige Bekleidung.
Quelle: Moldauischer Leichtindustrieverband Apius
Die Ausnahmefälle: Türkei und Ägypten
Ein Sonderfall ist die Türkei, drittwichtigster Bekleidungslieferant Deutschlands mit einem Importanteil von 11,7 Prozent im Jahr 2023. Von dort kommt sowohl hochwertige als auch massentaugliche Ware. Die Industrie ist vertikal integriert, die Bekleidungshersteller können also Stoffe sowie Knöpfe und anderes Zubehör von einheimischen Produzenten beschaffen. Allerdings stöhnen die Hersteller wegen der hohen Inflation und kräftig gestiegener Kosten. Sie machen es den Chinesen nach, die das arbeitsintensive Nähen nach Südostasien oder Afrika verlagern, und investieren im billigeren Ausland, namentlich in Usbekistan und Ägypten.
„Ägypten rückt als Beschaffungsmarkt immer mehr in den Fokus“, sagt Brigitte Heuser von der Beratungsfirma 4 you Modevertrieb, die den Beschaffungstag in Frankfurt mitorganisiert hat. Die Textilproduktion am Nil ist – von der Baumwoll- und Synthetikfaserherstellung bis zum fertigen Bekleidungsstück – vertikal integriert, anders als in Marokko und Tunesien. Und die Löhne sind sehr niedrig. Ägyptens Industrie liefert allerdings traditionell eher in die USA und gilt unter manchen deutschen Branchenvertretern als etwas „eigen“ im Umgang. „Dort sind viele Bekleidungsfirmen Teil von staatlichen Textilkonglomeraten“, sagt Stefano Bordogna, Verkaufschef beim italienischen Bügelpressenhersteller Macpi. „Man muss sich vor Ort intensiv mit der Bürokratie auseinandersetzen.“
Nearshoring hat Vorzüge
Osteuropa und Nordafrika profitieren im Modebusiness davon, dass europäische Abnehmer seit der Coronapandemie stärker ihre Lieferketten und Beschaffungsmärkte diversifizieren. Importe aus diesen Regionen gelten im Vergleich zu Asien als weniger herausfordernd, wenn es um die Überprüfung der Lieferketten geht. Auf Nearshoring-Bekleidung erhebt die Europäische Union zudem keine Einfuhrzölle, anders als bei Lieferungen aus Asien. Asiatische Hersteller verarbeiten oft Stoffe aus China, die bei geringer Fertigungstiefe beim Import in die Europäische Union dem Zoll unterliegen. So sind bei der Einfuhr um die zwölf Prozent Zollgebühren auf Hose oder Hemd zu zahlen. Die meisten Teilnehmer des Frankfurter Apparel Sourcing Club Day bezogen ihre Stoffe daher aus Europa, der Türkei oder Ägypten.
Ein weiterer Pluspunkt: Die Ware aus den näher gelegenen Fertigungsstandorten ist schneller in Deutschland. Ein großer deutscher Anbieter von Arbeitsbekleidung bezieht unter anderem aus diesem Grund 80 Prozent seiner Fertigprodukte aus Nordafrika und nur 20 Prozent aus Asien. „Ein Lkw aus Marokko ist in drei oder vier Tagen bei uns, der Seeweg aus China oder Bangladesch dauert viel länger“, sagt dazu Sven Eriskat. Discounter hingegen planten mit einem Horizont von sechs bis zwölf Monaten relativ langfristig. Sie könnten deshalb im günstigeren Asien beschaffen.
Tunesien: Ein kleiner, aber wichtiger Partner
Tunesiens Textilsektor überzeugt mit hochwertigen Produkten, wettbewerbsfähigen Kosten und schnellen Lieferzeiten. Eine schwächelnde heimische Wirtschaft und unsichere Exportaussichten stellen die Bekleidungsindustrie im Land jedoch auch vor Herausforderungen.
von Verena Matschoß, GTAI Tunis

Tunesien kann zwar mengenmäßig nicht mit der Konkurrenz aus China oder Bangladesch mithalten, trotzdem zählt das kleine nordafrikanische Land zu den zehn größten Zulieferern der Europäischen Union im Bekleidungssektor. Das Textilunternehmen van Laack aus Mönchengladbach hat bereits vor 50 Jahren eine Niederlassung im Norden Tunesiens eröffnet. Die Vorteile liegen auf der Hand: wettbewerbsfähige Herstellungskosten und die Nähe zur Europäischen Union. Wenn ein Lkw das Werk von van Laack im tunesischen Bizerte am Donnerstag verlässt, ist die Ware am Montag darauf bereits in Mönchengladbach.
Für Tunesien ist die Textil- und Bekleidungsindustrie ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Rund 80 Prozent der insgesamt fast 1.400 Branchenunternehmen produzieren rein für den Export. Dabei gehen die Ausfuhren fast ausschließlich in die Europäische Union – wichtigste Abnehmer sind Frankreich, Italien und Deutschland. Die tunesischen Fabriken importieren die Stoffe und Designs größtenteils von ihren Auftraggebern aus der Europäischen Union und verarbeiten sie dann in Tunesien zu Endprodukten.
Die Aussichten sind durchwachsen
Die meisten Firmen haben zwischen 20 und 100 Mitarbeitende. Insgesamt arbeiten in der Textil- und Bekleidungsbranche rund 150.000 Personen und damit etwa 30 Prozent aller Beschäftigten in der verarbeitenden Industrie. Aktuell leiden die Unternehmen unter der schwachen Nachfrage aus Europa. Die Deutsche Christine Murmann, die im Großraum Tunis zwei Nähfabriken betreibt, merkt an: „Wir haben in der Branche eine starke Fluktuation. Immer wieder eröffnen neue Fabriken, die aber meist genauso schnell wieder schließen müssen, weil sie nicht die benötigte Qualität liefern können.“
Fakten zu Tunesien:
2023 exportierte Tunesien Bekleidung im Wert von rund 2,4 Mrd. €.1
1.365 Unternehmen sind im Textil- und Bekleidungssektor tätig.2
Die drei wichtigsten Sparten sind Hosen, Arbeitskleidung und T-Shirts/Unterhemden.3
Quellen: 1) Cettex; 2) APII; 3) Tunesischer Textilverband FTTH
Qualität oder Quantität
Bereits seit geraumer Zeit entwickelt sich die arbeitsintensive Bekleidungsindustrie in Osteuropa und Nordafrika unterschiedlich: In Osteuropa sind die Löhne deutlich schneller gestiegen als in Nordafrika. Noch vor zehn Jahren war das Niveau vergleichbar. Osteuropa produziert heute für mittlere und obere Preislagen, Nordafrika, vor allem Marokko, tendenziell eher im Volumensegment.
Nordafrika ist als Konkurrenzmarkt zu Asien dann interessant, wenn es um Schnelligkeit und Preis geht – Stichwort: Fast Fashion. Der spanische Bekleidungsriese Inditex mit Marken wie Zara hat schon kurz nach der Jahrtausendwende viele Aufträge in Nordafrika platziert, besonders in Marokko. H&M und Primark folgten.
Nach Osteuropa hingegen vergeben die großen Modeketten inzwischen kaum noch Aufträge. Dies bestätigt Sashko Stanoevski am Beispiel Nordmazedonien. „Zwei große Betriebe haben zugemacht, nachdem die Modekette C&A nicht mehr im Land einkauft“, sagt der Chef des Auftragsfertigers Eurosolid aus der Nähe von Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje. Mit 130 Mitarbeitern zählt sein 1998 gegründetes Unternehmen inzwischen schon zu den größeren Herstellern; mehr als 300 Leute habe kaum mehr ein Betrieb im Land. Stanoevski zahlt seinen Beschäftigten nach eigenen Angaben monatlich 500 bis 600 Euro, bei einer Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden.
Van Laack Tunisie: Bessere Chancen für Näherinnen in Bizerte

Den Begriff Sweatshops verbinden wohl die meisten mit Textilfabriken in Südostasien. Aber auch aus Nordafrika gibt es zahlreiche Berichte über teils katastrophale Arbeitsbedingungen für Näherinnen. Niederlassungen deutscher Firmen gelten als besonders sorgfältig, wenn es um soziale Verantwortung geht. Das zeigt auch das Beispiel des Hemdenproduzenten van Laack, der im nordtunesischen Bizerte 800 Mitarbeiterinnen in vier Fabriken beschäftigt. Das Unternehmen stellt gezielt arbeitslose Frauen an, die anderswo nur wenig Chancen hätten. „Bei uns sollen sich die Mitarbeiterinnen besser als bei sich zu Hause fühlen“ – das hat sich Geschäftsführer Ghazi El Biche zum Ziel gesetzt. Dafür bietet das Unternehmen ein tägliches Sportprogramm, kostenlose Sozial- und Gesundheitsberatung sowie die Übernahme von Behandlungskosten in privaten Kliniken an. Das sind auch Anreize für die Angestellten, dem Unternehmen treu zu bleiben.
„Beim gesetzlichen Mindestlohn von 400 Euro kommt niemand zur Arbeit“, sagt Stanoevski. Momentan würden die Löhne weiter steigen, und überall gebe es zu wenig Arbeitskräfte. Zum Vergleich: Ein tunesischer Bekleidungsfabrikant, der sich auf dem Frankfurter Event präsentierte, aber namentlich nicht genannt werden möchte, gibt die Durchschnittsgehälter in seiner Fabrik mit umgerechnet 220 Euro an. Farooq Hossain aus Bangladesch spricht von durchschnittlich rund 180 Euro im Monat für seine Mitarbeitenden. Ein Bericht auf der Medienplattform The New Arab über eine Bekleidungsfabrik in Ägypten nannte sehr geringe durchschnittliche Monatslöhne, die – verstärkt durch eine Abwertungsspirale der Landeswährung – umgerechnet bei gerade einmal 70 Euro liegen.
Die vergleichsweise hohen Lohnkosten in Osteuropa haben dazu geführt, dass deutsche Modeunternehmen dort immer weniger Textilaufträge vergeben. Dennoch gibt es weiterhin Unternehmer, die diese Region schätzen. So wie der Einkaufschef eines kleineren deutschen Modelabels mit 200 Beschäftigten, der anonym bleiben möchte. Er lässt in Nordmazedonien, Bosnien, Serbien, Moldau und in der Ukraine fertigen und erklärt: „Es gibt dort ein großes Fachwissen. Die jungen Leute machen noch eine Ausbildung – für uns arbeiten unter anderem ausgebildete Schneiderinnen.“ Anderswo hingegen seien in der Regel etliche Beschäftigte ungelernt.
Nicht selten entscheiden die Vorlieben der Auftraggeber, wo sie Bekleidung fertigen lassen. „Manche wollen definitiv nicht nach Nordafrika, das ist auch eine Mentalitätssache“, sagt Brigitte Heuser von 4 you Modevertrieb. Das trifft offenbar auch auf ein deutsches Modelabel zu, das anonym bleiben möchte. Die Anzüge des Labels beginnen preislich bei 400 Euro und werden in Boutiquen oder im gehobenen Einzelhandel wie dem Kadewe in Berlin verkauft. „Wir haben Tests in Nordafrika gemacht“, sagt der Einkaufschef. „Die Partner dort sind aber tendenziell unzuverlässig und kommunizieren schlecht. Besser läuft es, wenn ein Expat – etwa aus Frankreich oder der Türkei – den Betrieb leitet.“ Zudem sei es in Nordafrika schwierig, hochwertige Materialien wie Futter für teure Anzüge zu organisieren.
Marokko: Anziehungspunkt für internationale Textilunternehmen
Die Liste bekannter Marken, die in Marokko Bekleidung fertigen lassen, ist lang. Neu ist, dass auch Firmen aus starken Textilnationen im Königreich Fuß fassen. Außerdem strebt das Land eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland an.
von Ullrich Umann, GTAI Casablanca

In Marokko lassen international bekannte Marken wie Zara, H&M, Desigual, Pimkie, Lacoste, Nike, Adidas, Levi’s und Decathlon fertigen. Fast Fashion sowie Sport- und Freizeitbekleidung zählen zu den Stärken der marokkanischen Bekleidungsindustrie. Neu ist, dass sich Firmen aus Ländern mit einer eigenen starken Bekleidungsindustrie im Königreich niederlassen, so zum Beispiel Defacto und Karnawall, beide aus der Türkei, oder Omega Textile aus China. Ein Ausrufungszeichen setzte 2024 eine chinesische Wirtschaftsdelegation, die mit Verantwortlichen aus der marokkanischen Regierung und des Textilverbands AMITH Investitionsmöglichkeiten diskutierte.
Für die chinesischen Firmenvertreter war es wichtig zu betonen, dass ihr Land zum größten Stofflieferant für Marokko aufgestiegen ist. In einem zweiten Schritt will die chinesische Textil- und Bekleidungsindustrie unter eigenem Label in Marokko für den Weltmarkt nähen. Explizit zählten sie die Verkehrsinfrastruktur, attraktive Stundenlöhne und die marokkanischen Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union und den USA zu ihren Investitionsmotiven. Allein 2024 haben chinesische Bekleidungsfirmen 30 Millionen Euro investiert.
Spanien ist wichtigster Partner
Das internationale Geschäft läuft nach der Coronapandemie wieder gut: Die Ausfuhren der Bekleidungsbranche betrugen 2023 rund vier Milliarden Euro. Der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt ist Spanien – mehr als die Hälfte aller Lieferungen geht auf das spanische Festland. Der deutsche Exportanteil, der unter anderem durch Geschäfte der Handelshäuser Brax, Alberto, Otto Group oder Hauber Fashion zustande kommt, beträgt sechs Prozent. Erklärtes Ziel von AMITH ist es nun, mehr Akteure aus Deutschland für ein Sourcing in Marokko zu gewinnen.
Fakten zu Marokko:
2023 exportierte Marokko Bekleidung im Wert von rund 4 Mrd. €.1
1.613 Unternehmen sind im Textil- und Bekleidungssektor tätig.2
Die drei wichtigsten Sparten sind Bekleidung, Strick- und Lederwaren.1
Quellen: 1) Haut Commissariat au Plan; 2) Marokkanischer Textilverband AMITH
Unklare Perspektiven
Ob Fertigung in Asien, Osteuropa oder Nordafrika – wenn Europas Konsumenten, wie Sashko Stanoevski von Eurosolid seit zwei Jahren beobachtet, weniger Kleidung kaufen und stärker auf den Preis achten, dann macht sich das schnell in der gesamten Bekleidungsbranche bemerkbar. Sein Fazit: Die Stimmung könnte besser sein, dennoch bleibt er optimistisch, denn im schnelllebigen Modegeschäft kann schon morgen alles wieder ganz anders aussehen.
»Unsere Nähroboter unterstützen den Wiederaufbau der Industrie in Europa«

Bekleidungsproduktion ist immer noch viel Handarbeit. Das Wiener Start-up Silana arbeitet an einem Nähroboter für T-Shirts. Firmenchef Michael Hofmannrichter hat die Details.
Ihr Nähroboter macht menschliche Arbeit überflüssig?
Mit unserer Technologie lässt sich ein einfaches T-Shirt vom Stoffzuschnitt bis zur Bedruckung komplett automatisiert fertigen. Einzig die Ärmel müssen manuell befestigt werden. Damit ermöglichen wir lokale Wertschöpfung, eine Produktion on demand und Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China.
Werden Ihre Roboter Näherinnen in Asien ersetzen?
Nein, wir denken an Kunden, die in Europa oder den USA produzieren. Es gibt hier einen Bedarf an nachhaltig produzierter und vor allem schnell lieferbarer Bekleidung, idealerweise aus heimischen Stoffen. In Osteuropa finden sich jedoch kaum mehr Arbeitskräfte dafür, bei uns schon gar nicht. Und die Kosten sind viel zu hoch. Wir registrieren schon viel Interesse an unserer Technik, auch von großen Modefirmen. Künftig werden wir diesen Partnern unsere Technologie zu Verfügung stellen.
Haben Sie denn schon Kunden?
Ja, unsere ersten Roboter verkaufen wir 2025 an Trigema. Dieses Unternehmen produziert komplett in Deutschland und kann unsere Technik hervorragend gebrauchen.
Wie finanzieren Sie sich?
Wir haben bereits eine Millionenfinanzierung von heimischen und ausländischen Investoren erhalten. Wir benötigen das Geld für Innovationen und weiteres Wachstum – aktuell haben wir zehn Mitarbeitende.