Rechtsbericht | Tunesien | Arbeitsrecht
Tunesien verbietet Leiharbeit und schränkt Befristungen ein
Tunesien hat Arbeitsmarktreformen beschlossen, die allesamt zum Nachteil der Arbeitgeberseite gehen. Aber auch für Arbeitnehmer gibt es nicht nur Vorteile.
13.06.2025
Von Sherif Rohayem | Bonn
Der tunesische Gesetzgeber hat mit dem Gesetz Nummer 21/2025 zur Änderung des tunesischen Arbeitsgesetzes (tArbG) Möglichkeiten zur flexiblen Gestaltung von Beschäftigungsverhältnissen nahezu beseitigt.
So durften die Parteien einen Arbeitsvertrag nach Art. 6-2 tArbG in der alten Fassung auf unbestimmte und auf bestimmte Zeit (also befristet) schließen. In der neuen Fassung dieser Vorschrift taucht der Begriff „bestimmte Zeit“ nicht mehr auf. Dabei handelt es sich um kein redaktionelles Versehen, vielmehr formuliert der neu gefasste Art. 6-4 tArbG, dass befristete Arbeitsverträge verboten sind, lässt aber einige Ausnahmen von diesem Verbot zu. Danach dürfen die Parteien ausnahmsweise einen befristeten Arbeitsvertrag schließen, um:
- einen ungewöhnlich hohen Anfall an Arbeit zu bewältigen;
- übergangsweise einen dauerhaft abwesenden Arbeitnehmer zu ersetzen;
- übergangsweise einen Arbeitnehmer zu ersetzen, dessen Arbeitsvertrag aufgelöst wurde oder
- um saisonale Arbeiten auszuführen oder andere Arbeiten, die gemäß der Verkehrssitte oder auch ihrer Art nach vorübergehender Natur sind.
Befristungstatbestände haben Ausnahmecharakter
Bei den oben genannten Begriffen „ungewöhnlich hoher Arbeitsanfall“, „Verkehrssitte“ sowie „andere Arbeiten“, die „ihrer Art nach vorübergehender Natur sind“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe. Es ist davon auszugehen, dass Arbeitsgerichte diese Begriffe restriktiv auslegen werden. Insbesondere werden Gerichte kaum auf ihre alte Rechtsprechung zurückgreifen können.
Zwar gab es die oben genannten Befristungstatbestände schon nach dem alten Recht. Im Gegensatz zur alten Rechtslage hat der Gesetzgeber jedoch die Zulässigkeit von Befristungen als Repressivverbot mit Ausnahmevorbehalt ausgestaltet. Praktisch folgt daraus, dass beispielsweise für die Annahme eines „ungewöhnlich hohen Arbeitsanfalls“ deutlich mehr Arbeit anfallen muss und das auch viel plötzlicher als vor der Reform.
Dazu hat der Gesetzgeber gleich zwei Befristungsgründe gestrichen: namentlich die Befristung im Falle von Erst- und Neubauarbeiten sowie die Befristung wegen dringender Arbeiten zur Rettung oder Reparatur von Ausrüstungsgegenständen oder zur Verhütung drohender Unfälle.
Befristungsverbot gilt rückwirkend
Wie sehr der Gesetzgeber Befristungen ablehnt, verdeutlichen die Übergangsvorschriften zum Änderungsgesetz. Obwohl letzteres erst am 23. Mai 2025 in Kraft getreten ist, werden gemäß Art. 6 der Übergangsvorschriften alle laufenden befristeten Arbeitsverträge in unbefristete umgewandelt. Mehr noch: Art. 9 der Übergangsvorschriften reanimiert Verträge, die nicht mehr existieren – und zwar von ehemaligen Beschäftigten, deren befristete Verträge im Zeitraum zwischen dem 6. März 2024 und dem In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes endeten. Diese Arbeitnehmer sind Kraft Gesetz beim selben Arbeitgeber festangestellt, wenn ihr Arbeitsverhältnis zum Beendigungszeitpunkt vier Jahre alt war.
Solche Regelungen wären nach deutschem Recht wohl verfassungswidrig. Zum einen steht ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot (ein Aspekt der Rechtsstaatlichkeit) im Raum, zum anderen eine Verletzung der Vertragsautonomie.
Der neu gefasste Art. 6-3 tArbG erlaubt eine maximale Probezeit von sechs Monaten, die einmalig um weitere sechs Monate verlängert werden darf. Lösen die Parteien den Vertrag vor Ablauf der Probezeit auf und schließen daraufhin einen neuen Arbeitsvertrag, gilt dieser als unbefristet und ohne Probezeit.
Die zweite wichtige Reform betrifft die Arbeitnehmerüberlassung beziehungsweise die Leiharbeit, welche gemäß dem neuen Art. 28 tArbG verboten ist – und das im Gegensatz zur Befristung – ausnahmslos. Nach Art. 28 tArbG in der alten Fassung war die Arbeitnehmerüberlassung – ohne diese explizit zu erwähnen – noch erlaubt.
Leiharbeit verboten, Werk- und Dienstverträge nicht
Arbeitnehmerüberlassung definiert der neue Art. 28 tArbG als Vertrag, in dem ein Verleiher seine Arbeitnehmer einer Entleiherin gegen Entgelt zur Verfügung stellt.
Ausdrücklich erlaubt sind Werk- und Dienstverträge (Art. 30 tArbG), welche von der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung abzugrenzen sind. Äußerlich ähneln sich beide Vertragstypen. In beiden Fällen werden beschäftigte eines Unternehmens innerhalb des Wirkungskreises und zu Gunsten eines anderen Unternehmens tätig. In zwei Punkten unterscheiden sich Arbeitnehmerüberlassung von Werk- und Dienstverträgen jedoch:
Zunächst unterstehen die Arbeitnehmer gemäß dem neuen Art. 30 tArbG in den Fällen der Werk- und Dienstverträge nach wie vor dem Weisungsrecht ihres Arbeitgebers beziehungsweise des Werkunternehmers/des Dienstleisters, während bei der Arbeitnehmerüberlassung das Weisungsrecht vom Arbeitgeber beziehungsweise des Verleihers auf die Entleiherin übergeht. Schließlich muss es sich um Dienste und Arbeiten handeln, die nicht zugleich die hauptsächliche Tätigkeit des Unternehmens der Kundin abbilden.
Dementsprechend handelt es sich um einen zulässigen Werk- oder Dienstvertrag, wenn etwa eine Bekleidungsherstellerin eine Marketingkampagne extern einkauft. Beschafft sich dieselbe Bekleidungsherstellerin externe Näher:innen, handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Ebenso kann der Betreiber eines Hotels einen externen Elektriker beauftragen, beschafft er sich externes Service- oder Rezeptionspersonal, dürfte es sich um eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung handeln.
Externe Beschaffung von Reinigungs- und Bewachungsdiensten stets Leiharbeit
Die externe Beschaffung von Bewachung- oder Reinigung ist in der Sache zwar ein Werk- oder Dienstvertrag, weil das Personal regelmäßig nicht dem Weisungsrecht des begünstigten Unternehmens untersteht. Dennoch handelt es sich bei diesen Diensten nach Art. 28 tArbG stets um Arbeitnehmerüberlassung. Ergo dürfen Unternehmen diese Dienste nicht extern beschaffen. Gemäß Art. 29 tArbG ist das Verbot der Leiharbeit strafbewehrt.