Branche kompakt | Ungarn | Medizintechnik
Branchenstruktur
Ein Großteil der Medizintechnik wird importiert. Gleichzeitig wächst die Produktion im Land. Der Herstellermarkt wird von ausländischen Unternehmen dominiert.
27.08.2024
Von Kirsten Grieß | Budapest
Ungarns Wirtschaft erlebte 2023 eine Rezession und erholt sich langsamer als erwartet. Der Staatshaushalt ist angespannt und auch die Verschuldung ist hoch. Das zwingt die Regierung zu einem radikalen Sparkurs, was in besonderem Maße öffentlichen Gesundheitsausgaben und damit verbundene Investitionen betrifft. Zwar ist der Anteil staatlicher Mittel an den Gesamtausgaben laut Eurostat über die Jahre sukzessive gewachsen – mit 72,4 Prozent im Jahr 2022 liegt der Wert aber nach wie vor unter EU-Durchschnitt.
Öffentliche Gesundheitsdienste sind kostenlos
Die öffentlichen Gesundheitsausgaben werden vorwiegend über den nationalen Gesundheitsversicherungsfonds NEAK abgewickelt. Das ist eine einheitliche Pflichtversicherung. Jeder ungarische Staatsbürger hat damit Anspruch auf kostenlose, öffentliche Gesundheitsleistungen. Für Arzneimittel und Zahnbehandlungen sind Zuzahlungen erforderlich. Leistungen privater Gesundheitsdienste sind nicht durch NEAK abgedeckt. Ausgenommen sind spezielle private Dienstleistungen, die von staatlichen Einrichtungen nicht oder nicht ausreichend angeboten werden. Dazu zählen Dialysebehandlungen, Laboruntersuchungen sowie MRT- und CT-Screenings. Der Anteil privater Zusatzversicherungen an den Gesundheitsausgaben ist gering und lag 2022 bei weniger als 2 Prozent. Experten erwarten, dass der Markt für private Versicherungen bald deutlich wachsen wird.
Zu viele Krankenhäuser, zu wenige Hausärzte
Die Zahl der Krankenhäuser und Krankenhausbetten ist für Ungarns Größe überdurchschnittlich hoch, die Hospitalisierungsrate und -dauer ebenfalls. Das erzeugt Kosten, die für die Anschaffung technischer Ausstattung und innovativer Medizinprodukte fehlen. Ungarns Regierung bemüht sich seit Jahren, die Bettenzahl und die Zahl der Einrichtungen zu reduzieren. Seit 2006 wurden die damals knapp 80.000 Betten um fast 20 Prozent auf aktuell rund 63.500 abgebaut. Auch die Zahl der Hausärzte ist seit Jahren rückläufig. Im Jahr 2023 waren laut Statistikamt etwas mehr als 6.400 Hausarztpraxen registriert, davon sollen aktuell knapp 15 Prozent vakant sein.
Nach offiziellen Daten der nationalen Gesundheitskasse gab es 2023 in Ungarn 158 Krankenhäuser. Knapp die Hälfte wurde zentral durch den ungarischen Staat verwaltet, weitere 15 Kliniken standen unter kommunaler Verwaltung. Daneben operierten einige größere Universitätskrankenhäuser und stiftungsbetriebene Einrichtungen oder Häuser unter kirchlicher Trägerschaft, deren Leistungen ebenfalls kostenlos sind. Im privaten Sektor lag die Zahl der Kliniken bei 25. Die Kommunen unterhalten außerdem sogenannte Polikliniken zur ambulanten Gesundheitsversorgung. Im Privatbereich gibt es ebenfalls einige größere ambulante Gesundheitszentren. Der überwiegende Teil aller stationärer Behandlungen wird von öffentlichen Krankenhäusern erbracht.
Unternehmen | Beschäftigte | Schwerpunkte |
---|---|---|
SYNLAB | 918 | Labor |
Medicover | 772 | Privatklinik, Diagnose, Labor |
TritonLife Csoport | 650 | Privatklinik, Dialyse, Diagnostik |
Affidea Diagnosztika | 419 | Diagnostik, Privatklinik |
Budai Egészségközpont | k. A. | Privatklinik, Schwerpunkt Wirbelsäule |
Doktor 24 Csoport | 318 | Privatklinik |
Dr. Rose Magánkórház | 128 | Privatklinik, Plastische Chirurgie |
Swiss Medical Services | 79 | Privatklinik |
Stärkstes Wachstum im Markt für Dentalprodukte
Der ungarische Medizintechnikmarkt hatte 2023 ein Volumen von umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro. Das Analysehaus BMI prognostiziert für die kommenden fünf Jahre ein durchschnittliches jährliches Marktwachstum von 3 Prozent. Größte Teilmärkte sind die Segmente Verbrauchsgüter, diagnostische Bildgebung und andere Medizinprodukte. Das stärkste Wachstum erwarten BMI-Analysten in den kommenden Jahren für Dentalprodukte. Basierend auf einem starken Medizintourismus soll der Markt bis 2028 um jährlich 7 Prozent wachsen. Gleich dahinter liegen mit einem prognostizierten Plus von jährlich 5,3 Prozent Orthopädieprodukte. Hier kommen Nachholeffekte verschobener Eingriffe in der Corona-Pandemie zum Tragen.
Deutschland ist führendes Lieferland
Der ungarische Medizintechnikmarkt ist in hohem Maß von Importen abhängig. Rund 80 Prozent der Inlandsnachfrage wurde 2023 von ausländischen Herstellern bedient. In den letzten zehn Jahren sind die Medizintechnikimporte um jährlich durchschnittlich 13,5 Prozent gewachsen. Lediglich 2017 und nach der Coronapandemie 2022 gab es Ausreißer nach unten.
Deutschland ist das mit Abstand wichtigste Lieferland (2023: 19 Prozent), es folgen Österreich (12 Prozent) und China (11 Prozent). Mit Blick auf die einzelnen Segmente ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild. Deutsche Hersteller führen bei Dentalprodukten, Ultraschallgeräten, therapeutischen Beatmungsgeräten, augenoptischen Instrumenten, Dialyse- und Transfusionsapparaten. Österreich ist wichtigster Lieferant von Verbrauchsmaterialien, während China bei Hilfsmittel dominiert. Niederländische Unternehmen bedienen den Markt ebenfalls und führen bei orthopädischen Produkten und bildgebender Diagnostik.
SITC | Import | Anteil Import aus Deutschland | |
774.1 | Elektrodiagnoseapparate und -geräte | 78,3 | 15,3 |
774.2 | Röntgenapparate etc. | k.A. | k.A. |
741.83 | Sterilisierapparate | 2,8 | 17,9 |
872.1 | Zahnmedizinische Instrumente; a.n.g. | 13,6 | 29,5 |
872.21 | Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen etc. | 294,1 | 16,1 |
872.25 | Ophthalmologische Instrumente | 13,3 | 19,3 |
872.29 | Andere Instrumente, Apparate und Geräte | 147,0 | 26,1 |
872.3 | Therapiegeräte, Atmungsgeräte etc. | 78,9 | 30,0 |
872.4 | Medizinmöbel etc. | 28,9 | 14,3 |
899.6 | Orthopädietechnik, Prothesen etc. | 111,1 | 27,6 |
Die Produktion im Land brummt
Ungarn verfügt über eine eher kleine inländische Medizintechnikbranche, zwischen 150 bis 160 kleine und mittlere Unternehmen produzieren im eigenen Land. Dominiert wird der Markt durch große internationale Konzerne. Das nationale Statistikamt beziffert die Beschäftigten der Branche auf 13.000. Der Produktionswert erreichte 2022 nach Eurostat 564 Millionen Euro und verzeichnete damit auf Jahresbasis ein Wachstum von immerhin 22 Prozent. Auch in den Vorjahren waren die Zuwachsraten stark. Die Daten sind allerdings nicht vollständig, da sie aus Vertraulichkeitsgründen nicht für alle Produktgruppen gemeldet werden.
Unternehmen | Sparte | Umsatz (2023) |
---|---|---|
Coloplast | Produkte zur Stoma-, Wund- und Kontinenzversorgung | 627,9 |
Becton Dickinson | Spritzen, Nadelschutz, Einweg-Pen-Injektoren | 236,2 |
GE Healthcare | Bildverarbeitungssoftware mit Schwerpunkt auf Gefäß- und Tumorerkrankungen | 141,3 ¹) |
B. Braun Medical | Einwegprodukte, Transfusions- und Infusionssets, Katheder etc. | 138,9 |
Sanatmetal | Produkte für die Traumatologie, Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie und Zahnimplantate | 19,2 |
Innomed | EKG-Geräte, Defibrillatoren, Patientenmonitore, Röntgensysteme | 8,1 |
Meditech | Blutdruckmessgeräte, Schlafüberwachungsgeräte, EKG-Monitore | 2,6 ²) |
Labtech | EKG-Geräte | 1,9 |
Bei den im Land produzierten Medizintechnikprodukten handelt es sich vor allem um elektro-medizinische Geräte, Beatmungsgeräte, Blutdruckmesser, Labor-Diagnose Ausstattung, kardiologische und radiologische Geräte, Dentalbedarf, Röntgen-, CT- und In-vitro-Diagnostik-Ausrüstungen. Der überwiegende Teil der Produktion geht in den Export. Zuletzt erreichten die Medizintechnikexporte 2023 den Wert von umgerechnet 2,1 Milliarden Euro. Auf Jahresbasis wuchsen die Exporte seit 2018 um durchschnittlich 8 Prozent. Deutschland ist auch wichtigstes Exportziel für in Ungarn hergestellte Medizintechnik (2023: 21 Prozent).
Indikator | Wert |
---|---|
Einwohnerzahl (2024 in Mio.) | 9,6 |
Bevölkerungswachstum (2023 in % p.a.) | -3,6 |
Altersstruktur der Bevölkerung (2024) |
|
Anteil der unter 14-Jährigen (in %) | 14,5 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 20,7 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (2023 in Jahren) | 76,5 |
Durchschnittseinkommen (2023 in Euro) | 1.496 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2022 in Euro) | 1.190 |
Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (2022 in %) | 6,7 |
Ärzte/100.000 Einwohner (2023) | 439 |
Zahnärzte/100.000 Einwohner (2020) | 67,5 |
Krankenhausbetten/100.000 Einwohner (2023), davon | 662 |
privat (2023 Anteil in %) | 2,4 |
öffentlich (2023 Anteil in %) | 93,7 |
sonstige (Kirchen, Stiftungen 2023 Anteil in %) | 3,9 |