Rechtsbericht Vereinigtes Königreich Arbeits- und Arbeitsgenehmigungsrecht
Umfassende Reform des britischen Arbeitsrechts verabschiedet
Die tiefgreifendste Änderung des britischen Arbeitsrechts seit einer Generation stärkt vor allem die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
30.12.2025
Von Karl Martin Fischer | Bonn
Am 18. Dezember 2025 erhielt der Employment Rights Act 2025 den “Royal Assent”, der das Ende eines langen Gesetzgebungsverfahrens markiert. Das Gesetz wird abgestuft in Kraft treten (mehr dazu im Änderungsfahrplan weiter unten). Hier eine Auswahl der wichtigsten Änderungen aus dem Individualarbeitsrecht:
Der Kündigungsschutz wird ausgeweitet
Arbeitnehmer in Großbritannien haben einen Anspruch darauf, nicht unfair entlassen zu werden (sec. 94 des Employment Rights Act 1996). Allerdings gibt es bislang für die meisten Fälle eine zweijährige Wartezeit, während der noch kein Kündigungsschutz gilt. Diese Wartezeit wird künftig auf sechs Monate verkürzt.
Darüber hinaus wird die bisher geltende betragsmäßige Deckelung der Entschädigung für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch eine unfaire Kündigung (“compensatory award” - derzeit GBP 118.223,-) ersatzlos abgeschafft.
In einigen Fällen, zum Beispiel bei diskriminierenden Kündigungen oder Entlassungen von Whistleblowern, gibt es schon heute keine Deckelung und auch keinerlei Wartezeit (“day one right”). Daran wird sich zukünftig nichts ändern.
Es wird einen neuen Tatbestand geben, der eine Kündigung automatisch unfair macht: “fire and rehire”, ähnlich der deutschen Änderungskündigung, wenn die Kündigung den Kern des Arbeitsverhältnisses (Bezahlung, Arbeitszeit) betrifft und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zum Ziel hat. Einzige Rechtfertigung für solches Verhalten: das Unternehmen befindet sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten.
Zwei wichtige Änderungen wird es für Massenentlassungen (“collective redundancies”) geben: zum einen wird der Bezug für den relevanten Schwellenwert (20 Entlassungen innerhalb von 90 Tagen) geändert: war es bisher der Betrieb, soll es künftig die gesamte Organisation sein. Dies kann im Einzelfall zu einer erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs führen. Zum anderen wird der “protective award” verdoppelt. Dabei handelt es sich um eine Entschädigung die fällig wird, wenn ein Arbeitgeber nicht oder nicht ordnungsgemäß konsultiert hat.
Einige Rechte gelten künftig ohne Wartezeit
Künftig wird der Kreis der “day one rights”, also derjenigen Rechte, die für alle Arbeitnehmer ab dem ersten Tag gelten, erweitert. Dazu gehört das Recht auf Vaterschaftsurlaub (“Statutory Paternity Leave”, SPL) sowie auf “Parental Leave”. Bislang gilt für SPL eine Wartezeit von 26 Wochen, für Parental Leave ein Jahr.
Auf andere Art und Weise, nämlich durch den Wegfall der bisherigen drei Karenztage, wird auch das gesetzliche Krankengeld (“Statutory Sick Pay”; SSP) zu einem Day One Right: Es wird künftig direkt ab dem ersten Krankheitstag gezahlt. Außerdem entfällt das “Lower Earnings Limit” ersatzlos, so dass künftig auch solche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf SSP haben, die weniger als GBP 125,- pro Woche verdienen.
Mehr Kampf gegen (sexuelle) Belästigung und Diskriminierung
Wer bestimmte Tatsachen an die Öffentlichkeit bringt (Whistleblowing), erhält unter anderem einen speziellen Kündigungsschutz (sec. 103A i.V.m. sec. 43B des Employment Rights Act 1996). Dieser Kündigungsschutz gilt künftig auch für diejenigen, die über sexuelle Belästigung im Unternehmen berichten. Außerdem müssen Arbeitgeber künftig alle vernünftigen Schritte (bislang: vernünftige Schritte - “reasonable steps”) einleiten, um ihre Mitarbeitenden vor sexueller Übergriffigkeit zu schützen. Diese Pflicht gilt künftig auch für Belästigungen durch Dritte, zum Beispiel Kunden, und nicht nur für sexuelle Belästigung, sondern für Diskriminierung aus jeglichen Gründen, die vom Equality Act 2010 erfasst sind.
Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden müssen ihre Aktionspläne gegen Equality Pay Gaps und zur Unterstützung ihrer Beschäftigten in der Menopause künftig veröffentlichen.
Garantierte Arbeitszeiten
Im Vereinigten Königreich sind so genannte “zero hours contracts” möglich. Ihnen zufolge muss ein Arbeitgeber keine Beschäftigung - und somit auch keine Bezahlung – garantieren, der Arbeitsvertrag wird damit letztlich zu einer Art Rahmenvereinbarung. So wird das wirtschaftliche Risiko auf die Arbeitnehmerseite abgewälzt.
Künftig müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitenden – nach einer Referenzzeit von (voraussichtlich) zwölf Wochen – ein Angebot für einen Vertrag mit garantierten Mindeststunden machen. Dieses Recht wird auch für “agency workers” (siehe hierzu die Agency Workers Regulations 2010) gelten.
Außerdem werden Beschäftigte einen Anspruch auf Entschädigung haben, wenn eine Schicht kurzfristig abgesagt, verlegt oder verkürzt wird.
Und sonst noch ...
Die Klagefrist beim Arbeitsgericht (“employment tribunal”) verlängert sich von drei Monaten auf sechs Monate. Dies gilt für alle Ansprüche bis auf Ansprüche wegen Vertragsverletzungen (“breach of contract”).
Ein Anspruch auf Arbeiten außerhalb des Betriebs (“flexible working”) besteht nicht, wenn betriebliche Gründe das flexible Arbeiten verhindern. Künftig haben Arbeitnehmer in solchen Fällen einen Anspruch auf eine schriftliche Begründung, wenn die Arbeitgeberin flexibles Arbeiten ablehnt.
Die Regierung plant die Einführung eines Trauerurlaubs (“bereavement leave”), wobei noch unklar ist, wie lange dieser gehen soll und ob er (teilweise) bezahlt oder unbezahlt sein wird.
Es wird eine “Fair Work Agency” gegründet, die als zentrale Durchsetzungsbehörde die Einhaltung der Mindestrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überwachen und durchsetzen soll.
Im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung spielen - in bestimmten Konstellationen - so genannte “umbrella companies” eine wichtige Rolle. Das sind Unternehmen, die als Arbeitgeberin agieren. Diese Companies werden künftig wie employment businesses reguliert und von der noch zu gründenden Fair Work Agency überwacht.
| April 2026 | Vaterschaftsurlaub (paternity leave) und unbezahlte Elternzeit (unpaid parental leave) ohne Wartezeit |
| Statutory Sick Pay ohne Karenztage | |
| Gründung der Fair Work Agency | |
| Bericht über sexuelle Belästigung gilt als Whistleblowing | |
| Verdoppelung des "protective award" bei fehlerhaften Massenentlassungen | |
| Oktober 2026 | Erhöhte Pflicht zur Verhinderung sexueller Belästigung; Arbeitgeber haften unter Umständen auch für Belästigung durch Dritte |
| "Fire and rehier" wird automatisch unfair | |
| Klagefrist beim Arbeitsgericht beträgt sechs (bislang drei) Monate | |
| Januar 2027 | Kündigungsschutz nach sechs Monaten Wartezeit und Abschaffung der Deckelung der Kompensation |
| Im Laufe des Jahres 2027 | Veröffentlichungspflicht (>250 AN) equality pay gap und menopause action plan |
| Schriftliche Begründung bei Ablehnung flexiblen Arbeitens | |
| Trauerurlaub | |
| Regulierung von "umbrella companies" | |
| Beschäftigte mit Null-Stunden-Verträgen erhalten Recht auf garantierte Stunden; Kompensation für kurzfristig ausgefallene (etc.) Schichten |
Quelle: Implementierungsfahrplan der britischen Regierung. Bitte beachten Sie, dass dieser Fahrplan aus Juli 2025 datiert. Außerdem erfordern einige Neuregelungen noch weitere Implementierungsakte (z.B. Rechtsverordnungen) oder Konsultationen. Es können sich also noch Änderungen ergeben.