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Markets International 2/25 I Welt | Strategien für mehr Resilienz

Der Krise trotzen

Unternehmen stehen immer wieder vor neuen wirtschaftspolitischen Herausforderungen, die mitunter sogar existenzbedrohend für sie sein können. Welche Strategien gibt es, um damit umzugehen? Kann man sich auf das Unvorhersehbare überhaupt vorbereiten? Mit diesen sechs Taktiken kann es gelingen.

Von Christopher Fuß, Robert Herzner, Edwin Schuh, Achim Haug | Polen, China, Mexiko, Bonn

Brexit, Pandemie, Handelskonflikte zwischen den USA und China, die Folgen des Ukrainekriegs, diverse US-Zollerlässe: Immer schneller prasseln Ereignisse auf Unternehmen ein, die weitreichende wirtschaftliche Folgen für sie haben können – und die sie selbst nicht beeinflussen können. Lieferketten brechen zusammen, Energiepreise steigen, Exportaussichten sind nicht mehr so leicht berechenbar. Bei den Industrie- und Handelskammern sowie den Auslandshandelskammern melden sich regelmäßig Unternehmen, die Hilfe brauchen. „Sie haben Fragen zu US-Wirtschaftssanktionen gegen China, zu Zöllen, aber auch zu Regulierungsthemen“, berichtet Doris Hillger, Leiterin Außenwirtschaft bei der Handelskammer Hamburg. 


Im vergangenen Jahr sind die Exporte hierzulande um ein Prozent gesunken, im Vorjahr waren sie bereits um 1,2 Prozent zurückgegangen. Blickt man auf die Wachstumsraten des deutschen Exports, haben sich diese im Zeitraum von 2015 bis 2023 im Vergleich zu 2000 bis 2015 um rund zwei Drittel reduziert, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigt. Gerade die drohenden Zölle aus den USA sorgen für Unsicherheit. Schließlich sind die Vereinigten Staaten das wichtigste Abnehmerland deutscher Waren. Die deutschen Direktinvestitionen in China sind im vergangenen Jahr allerdings gestiegen, obwohl die Bundesregierung vor den wachsenden geopolitischen Risiken gewarnt hatte. 

Markets International Ausgabe 2/25

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Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 2/2025 mit dem Schwerpunkt China. Erfahren Sie, welche weiteren Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.

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Um in der aktuellen Weltlage mit ihren vielen Krisen und Unwägbarkeiten weiterhin zuverlässig produzieren und exportieren zu können, müssen Unternehmen flexibel auf Änderungen reagieren: „Wichtig ist, dass sie sich auf die kommende, handelspolitisch unsichere Zeit aktiv vorbereiten“, sagt Kai Philipp Bauer vom Hamburger Beratungsunternehmen Rothenbaum. Markets International stellt hierfür sechs Erfolg versprechende Strategien vor: 


STRATEGIE 1: Frühwarnsysteme nutzen 


Beim Automobilzulieferer und Maschinenbauer Schaeffler hat die Pandemie die Entwicklungen in der Logistik vorangetrieben. „Damals sind plötzlich die Verfügbarkeiten rauf und runter gegangen“, erinnert sich Thomas Kirchermeier, der Lieferkettenmanagement und Logistik des Unternehmens leitet. Sein Team hat sich deshalb Gedanken gemacht, wie ¬Schaeffler weltweit an Daten kommen kann, um vorausschauend umplanen zu können. Es hat ein digitales Tool entwickelt, das Lieferketten besser beherrschbar machen soll. Der Transportation Data Cube (TDC) wertet Daten wie Preise und Laufzeiten von weltweit rund 20 verschiedenen Logistikdienstleistern und von Schaeffler selbst aus und zeigt anschließend an, welche Verkehrsträger und welche genauen Routen am günstigsten, zuverlässigsten und schnellsten sind. Um das herauszufinden, musste das Logistikteam vorher auf verschiedene Informationsquellen wie Datenblätter von Logistikdienstleistern oder eigene Auswertungen zurückgreifen. 


Ohnehin screenen die Logistiker täglich, was in den Lieferketten passiert. Die Daten laufen unter anderem über einen externen Dienstleister ein. Störungen innerhalb der globalen Verkehrsströme bekommen sie darüber sofort mit. Mithilfe des TDC identifizieren sie Ausweichmöglichkeiten unter Berücksichtigung ausgewählter Kriterien – etwa Liefertermine, aber auch Kosten und CO2-Faktoren. „Dank der Kombination unserer Tools sind wir nun in der Lage, sehr kurzfristig auf die sich ständig ändernden Bedingungen zu reagieren“, sagt Kirchermeier. Gemeinsam mit dem Einkauf gibt sein Team regelmäßig Informationen an die anderen Abteilungen, wie sie Transporte, Zölle und Laufzeiten einschätzen. „So liefern wir dem Business die bestmögliche Entscheidungsgrundlage“, sagt Kirchermeier. 


Solche Frühwarnsysteme, wie sie in der Logistik oft genutzt werden, können helfen, mögliche Gefahren entlang der Lieferkette rechtzeitig auszumachen und gegenzusteuern. Zunehmend kommt dabei auch künstliche Intelligenz zum Einsatz. „Die deutschen Unternehmen müssen anerkennen, dass es die bisher bekannte Exportwelt nicht mehr gibt“, sagt Matthias Brems. In seiner Fachberatung für den Aussenhandel im rheinischen Grevenbroich berät er vor allem mittelständische Unternehmen zu Exportfragen. Er empfiehlt den Unternehmen dringend, mehr in die Analyse zu gehen. 


Entwicklungsindikatoren früh erkennen 

Beratungen wie die von Brems bieten Unternehmen Marktrankings an: speziell auf sie zugeschnittene Listen von Ländern, die für den Export am vielversprechendsten sind. Große Märkte wie die USA und China liegen dabei trotz wirtschaftspolitischer Risiken meist weit oben. Das liegt daran, dass die Marktgröße ein entscheidendes Kriterium für die Exportberater ist und sie diese darum stärker gewichten. In Europa sind dementsprechend Frankreich, Italien und Großbritannien meist vorne mit dabei. Aber auch ein kleinerer Markt wie Schweden kann in einem solchen Ranking gut abschneiden, erklärt Brems: Dort gebe es weniger Absatzpotenzial, dafür gute Rahmenbedingungen. Die Kunden bestimmen mit, ob bestimmte Kriterien einen größeren Ausschlag geben sollen. Wer zum Beispiel mehr Wert auf Sicherheit legt, kann die Risiken für die potenziellen Exportziele höher gewichten lassen. 


Zudem füllen sie wiederum ein Formular aus, auf dem sie unter anderem die Größe ihres Exportteams, bisherige Erfahrungen in den Ländern, Produkte, Absatzbranchen, Vertriebskanäle und Ähnliches angeben. So kann das Ranking möglichst passend auf sie zugeschnitten werden. Oft entscheiden sich Unternehmen dann schon für ein bestimmtes Land. Brems empfiehlt aber, sich vorher eingehend damit zu beschäftigen.

Best Practice: Mercedes-Benz AG

Märkte diversifizieren

Marcin Kwoka von Mercedes-Benz Polska ist zufrieden mit der Entwicklung der Geschäftszahlen. Marcin Kwoka von Mercedes-Benz Polska ist zufrieden mit der Entwicklung der Geschäftszahlen. | © Mercedes-Benz Polska

Es ist eine Entwicklung, die auf den ersten Blick überrascht: Während Mercedes-Benz 2024 weltweit rund drei Prozent weniger Autos verkaufte als im Vorjahr, stieg der Absatz in Polen um mehr als ein Drittel. Dabei gilt Polen im europäischen Vergleich als Land mit Entwicklungsbedarf. Dass die Stuttgarter Autobauer ausgerechnet hier gute Zahlen erwirtschaften, hat vor allem einen Grund: Die Wirtschaft an der Weichsel wächst – und das seit vielen Jahren. Immer mehr Firmen leisten sich angesichts der guten Konjunktur einen Dienstwagen. Nicht nur Mercedes-Benz profitiert von diesem Trend. Auch andere deutsche Autobauer aus dem Premiumsegment melden in Polen 2024 steigende Verkaufszahlen.

Ein Dienstwagen muss repräsentativ sein, weshalb die Firmen gerne den Aufpreis für höherwertigere Fahrzeuge bezahlen. Marcin Kwoka, Chief Operating Officer der Pkw-Sparte von Mercedes-Benz Polska, fasst in der Tageszeitung Rzeczpospolita die Entwicklung so zusammen: „Solange die Wirtschaftsprognosen optimistisch sind, werden Unternehmer unsere Autos kaufen.“ Gut für die Stuttgarter: Laut Prognosen wächst Polens Wirtschaft auch 2025 und 2026 besser als der EU-Durchschnitt.

Die Lektion für deutsche Exporteure lautet: Geh früh genug in aufstrebende Länder. Deutsche Hersteller von Oberklassefahrzeugen sind seit Jahren in Polen aktiv, obwohl ihre Marktanteile lange Zeit gering waren. Der lange Atem zahlt sich aus. Mercedes-Benz etwa gehört nun zu den fünf beliebtesten Automarken im Land. Jetzt, wo Polens Wohlstand einen kritischen Punkt erreicht hat und weiter rapide zulegt, klettern auch die Verkaufszahlen.

 
Um die Entwicklungen in den Zielmärkten zu beurteilen, nimmt Brems verschiedene Indikatoren in den Blick. Zunächst die ¬allgemeinen politischen Rahmenbedingungen: Dazu gehören das politische Umfeld, die Bonität des Staates, eventuelle gesetzliche Beschränkungen wie Importverbote und tarifäre Hemmnisse wie Zölle oder Exportsubventionen. „Möglicherweise lassen sich hier schon Märkte aussortieren, wenn es zum Beispiel hohe Einfuhrzölle gibt“, so Brems. Im nächsten Schritt sollten Exporteure die Absatzbedingungen in den Blick nehmen: die Preis- und Qualitätsentwicklung der nationalen Industrie, die Wettbewerbssituation der ausländischen Konkurrenz, die Vertriebsmöglichkeiten, das Marktpotenzial und die Marktentwicklung. Zudem kann es lohnen, die landesspezifischen Produktanforderungen wie Sicherheits- und Verpackungsvorschriften, anzuschauen. All diese Indikatoren helfen Unternehmen dabei, die für sie besten Exportmärkte zu identifizieren und die Lage vor Ort einzuschätzen. 


STRATEGIE 2: Märkte und Lieferanten diversifizieren


Gerade mit Blick auf China raten Expertinnen und Experten häufig dazu, sich weitere Märkte zu erschließen, etwa in Osteuropa oder Südostasien. Das Stichwort lautet Diversifizierung. Das ist nicht nur in Hinsicht auf drohende Sanktionen sinnvoll, sondern auch, um ein Klumpenrisiko zu vermeiden, wie Exportberater Brems erklärt. „Es gibt Maschinenbauer, die machen 50 Prozent ihres Umsatzes in China“, sagt er. In einem solchen Fall gehe es zum einen darum, sich neue Absatzmärkte zu erschließen – Brems rät aber auch dazu, die Lieferantenstruktur breit aufzustellen. Zwar ist die Zusammenarbeit mit wenigen Lieferanten einfacher, doch es ist eben auch riskant, von einzelnen abhängig zu sein.


In Bezug auf China heißt diese Strategie auch China + 1 – oder mit anderen Worten: Wer in China unternehmerisch tätig ist, sollte über Standortergänzungen nachdenken. Indien gilt zum Beispiel als Zukunftsmarkt für exportorientierte Branchen: Dorthin verkauften deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr Waren im Wert von 18,3 Milliarden US-Dollar – so viel wie nie zuvor. Aber auch südostasiatische Staaten wie Thailand, Indonesien und Vietnam, die zusammen mit weiteren Ländern zum südostasiatischen Staatenverbund ASEAN (Association of Southeast Asian Nations) gehören, haben Potenzial. 


Das Gleiche gilt für die südamerikanischen Mercosur-Staaten, darunter Brasilien und Argentinien, mit denen die EU Ende 2024 ein Freihandelsabkommen verhandelt hat. Bisher macht das Volumen mit diesen Staaten nur ein Prozent des gesamten deutschen Handels aus, dennoch erhofft sich laut einer Erhebung der Deutschen Industrie- und Handelskammer jedes dritte deutsche Unternehmen von dem Handelsabkommen positive Auswirkungen auf das Geschäft.

Interview: »Local-for-ocal-Strategien bieten immense Vorteile«

Kai Philipp Bauer ist Managing Partner der Rothbaum Consulting Engineers und leitet die Business Unit Supply Chain.

Welche sind aktuell die größten Herausforderungen für Mittelständler im internationalen Umfeld?

Kai Philipp Bauer: Grundsätzlich ist die zurückgehende Globalisierung ein Problem für das Geschäftsmodell des deutschen Mittelstands. Die USA erheben Zölle, die anderen Wirtschaftsräume fahren auch ihre Schranken hoch. Besonders die kurzfristigen Ankündigungen sind für deutsche Mittelständler Gift, denn Investitionen werden langfristig geplant und getätigt. Daneben wird der Absatz in China schwieriger und der chinesische Wettbewerb greift in immer mehr Segmenten und Märkten an. Durch die Abschottung der USA wird sich der Druck durch chinesische Waren auf dem europäischen Markt noch erhöhen

Was raten Sie Firmen im Umgang mit der Lage in den USA?

Unternehmen sollten nicht überstürzt handeln. Zunächst müssen sie die Entwicklungen genau analysieren und Vorkehrungen treffen. Auf operativer Ebene sollten Unternehmen ihre Expertise im Zoll- und Transportwesen ausbauen, um die neue Regulatorik – in den USA, aber auch Europa und China – bestmöglich in ihrem Sinne umzusetzen. Zudem sollten bestehende Lieferverträge auf Zollkosten geprüft und neue Verträge entsprechend gestaltet werden. Darauf aufbauend, sollten die Unternehmen ihr Risikomanagement intensivieren und entsprechende Szenarien durchspielen, um erforderliche Anpassungen in Beschaffung und Absatz zu konzipieren.

Und auf strategischer Ebene?

Auf strategischer Ebene sollten Unternehmen Pläne entwickeln, um mehr Wertschöpfung in den USA zu lokalisieren. Dies kann durch Auf- und Ausbau eigener Standorte geschehen, aber auch durch Kooperationspartner oder Joint Ventures. In ähnlicher Weise sollten Beschaffungsstrategien überdacht werden, um etwa Zollrisiken einer chinalastigen Beschaffung zu diversifizieren. Beides läuft darauf hinaus, die USA in Zukunft stärker Local-for-Local bedienen zu können.

Was müssen Firmen jetzt insgesamt beachten? 

Sie müssen dringend Strategien entwickeln für den Umgang mit Unsicherheiten. Der erste Schritt besteht in Transparenz und Voraussicht, also: Wo habe ich verletzliche Lieferketten, wo drohen Krisen? Das ist nicht unbedingt einfach für KMU, aber wird für international aktive Unternehmen zur Pflicht. Dann müssen sie diese Risiken aktiv managen. 

Sie sprachen die Local-for-Local-Strategie an. Was sind die Vorteile?

Damit sind die Firmen weniger von Handelsschranken betroffen, können lokal angepasste Produkte entwickeln und wettbewerbsfähige Preise bieten. Kurze Lieferwege sparen zudem Transportkosten und machen die Lieferketten resilienter. Mit einer Kontinentalstrategie können für die drei großen Wirtschaftsräume Nordamerika, Asien und Europa relativ autarke Wertschöpfungsketten geschaffen werden. Das sehen wir zum Beispiel in der industriellen Automatisierungstechnik bei Unternehmen wie Festo, Wago oder Turck. 

Wie können Firmen darüber hinaus ihre Wettbewerbsposition verbessern?

Firmen können zum Beispiel Kostenvorteile in osteuropäischen Standorten nutzen, Lieferketten internationalisieren und aus Asien beschaffen. Und schließlich können sie auch noch technologisches Wissen stärker in ausländische Standorte integrieren.

Welche Standorte sehen Sie in Europa?

Polen bleibt attraktiv, in B-Lagen ist der Standort noch interessant für neue Produktionen. Daneben der Westbalkan, mit Ländern wie Albanien, Nordmazedonien oder Ostkroatien.

Und wie sieht es mit Asien aus?

Die Bedienung von asiatischen Märkten aus Europa wird immer schwieriger, dafür sind die Kostenstrukturen zu unterschiedlich, die Transportwege zu lang und die Produkte nicht an die Bedingungen angepasst. Daher müssen Firmen die Beschaffung und Produktion stärker asiatisch ausrichten. Standorte in Südostasien und Indien sind hier in den Fokus zu nehmen. 

Ein schwieriges Unterfangen vor allem für kleinere Firmen ...

Ja, aber sie müssen insbesondere den Wettbewerb mit chinesischen Produkten annehmen. Das bedeutet für viele Firmen, weiter in China aktiv zu sein. Herausfordernd bleibt aber die Abkoppelung nicht nur beim Handel, sondern auch im Datenverkehr, bei Standards und im Kapitalverkehr. China hat hier Regelungen in Kraft gesetzt, die eigene Strukturen im Land notwendig machen. 

Interview: Achim Haug, Germany Trade & Invest


STRATEGIE 3: Rückzug oder Double Down


Eine andere Strategie, um etwa Zölle zu umgehen, besteht darin, Produktionsstandorte zu verlagern. Damit haben bereits einige Unternehmen auf die Strafzölle der neuen US-Regierung reagiert. Der Schokoladenhersteller Lindt & Sprüngli aus der Schweiz zum Beispiel, der etwa die Hälfte der Schokolade für den kanadischen Markt bisher in den USA hergestellt hat, verlagert deren Herstellung auf verschiedene Standorte in Europa. Die Produktion in den USA wird entsprechend reduziert. Denn bei der Einfuhr aus den USA nach Kanada sind nun Gegenzölle in Höhe von 25 Prozent fällig. Der schwedisch-chinesische Autobauer Volvo wiederum überlegt, seine Produktion in den USA auszuweiten, um drohenden Zölle auf Fahrzeuge aus Europa zu umgehen – local for local.


Umgekehrt hatte der US-Motorradhersteller Harley-Davidson 2018 wegen Gegenzöllen, mit denen die EU auf Trumps ersten Handelskrieg reagierte, seine Produktion in eine bereits bestehende Fabrik in Thailand verlagert. Für die US-Firma ging die Strategie der Verlegung ihrer Produktion nicht auf: Die EU erhob die Zölle trotzdem, Harley-Davidson klagte dagegen – der Europäische Gerichtshof wies die Klage jedoch letztinstanzlich ab. Schon der zeitliche Zusammenhang der Verlagerung mit der Verhängung der Zölle lasse die Vermutung zu, dass die „betriebliche Maßnahme zur Umgehung der handelspolitischen Maßnahme“ erfolgt ist, hieß es in der Begründung. Gegen solche Umgehungsstrategien wehrt sich auch die US- Regierung: Chinesische Firmen haben Vietnam, Malaysia oder Mexiko für ihre Lieferungen genutzt, ohne echte Wertschöpfung zu erzielen. 

Best Practice: Karl Mayer Group

Produktion lokalisieren

 Chinesische Kunden von Rainer Müller, Leiter des Asiengeschäfts von Karl Mayer, nutzen die Textilmaschinen häufig auch in anderen Ländern wie Vietnam, Indonesien und Thailand. Chinesische Kunden von Rainer Müller, Leiter des Asiengeschäfts von Karl Mayer, nutzen die Textilmaschinen häufig auch in anderen Ländern wie Vietnam, Indonesien und Thailand. | © Karl-Mayer-Group

Der Textilmaschinenhersteller Karl Mayer muss sich zunehmender Konkurrenz aus China stellen. „Vor zehn Jahren hatten wir es noch mit zwei oder drei aufstrebenden Wettbewerbern zu tun, mittlerweile sind es etwa zehn Hersteller“, sagt Rainer Müller, Vertriebsleiter für Kettenwirkmaschinen mit Sitz in Hongkong. Er erwartet, dass aufgrund der Bedeutung chinesischer Unternehmen in der textilen Wertschöpfungskette China auf absehbare Zeit der mit Abstand wichtigste Markt bleiben wird. 

Das Unternehmen hat eine dreistufige Strategie entwickelt, um in China erfolgreich zu sein: „Zum einen fertigen wir Maschinen komplett in Deutschland, zum anderen produzieren wir sie in China basierend auf deutschen Komponenten. Und schließlich findet auch eine Endmontage unserer Maschinen in China statt, ausgehend von deutschen Bauteilen.“ Laut Müller spielt dabei der Austausch in der Wertschöpfungskette eine entscheidende Rolle: „Für China erfolgt die Endmontage oft in China, aber wir liefern auch lohnintensive Komponenten von dort nach Deutschland.“ 

Trotz des enormen Wettbewerbsdrucks sieht Müller gute Chancen für Karl Mayer, auch künftig eine führende Rolle in China zu spielen: „Unsere Qualität und unser German Engineering sind nach wie vor ein Qualitätssiegel, das von den Kunden geschätzt wird. Und solange wir unsere Lokalisierung in China zügig vorantreiben, haben wir einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung. Darüber hinaus bieten wir für unsere Kunden, diese sind überwiegend chinesische familiengeführte Mittelstandsun­ternehmen, ein passgenaues Vertriebsmodell an.“


STRATEGIE 4: Allianzen bilden


Kooperationen, Partnerschaften und Netzwerke können gerade kleinen und mittleren Unternehmen dabei helfen, Risiken breiter zu streuen – beispielsweise indem sie zusammen einkaufen oder Lizenzverträge abschließen. Sie können auch Lager- oder Produktionsflächen gemeinsam nutzen. Im Fokus deutscher Exporteure stehen neben europäischen Firmen aktuell vor allem Partnerschaften mit japanischen oder südkoreanischen Unternehmen, die in ihren heimischen Märkten, aber auch in Südostasien, in Nahost und in Afrika stark vertreten sind. Zur Kontaktaufnahme bieten sich die Netzwerke der Industrie- und Handelskammern an. Die Handelskammer Hamburg hat verschiedene Veranstaltungen im Programm, bei denen Unternehmerinnen und Unternehmer sich vernetzen oder bei Vorträgen informieren können. 


Zuletzt gab es auch mehrere Termine zur US-Zollpolitik, wie etwa mit der Leiterin der Außenhandelskammer in New York, die über die Auswirkungen des Regierungswechsels auf die deutsch-amerikanischen Handelsbeziehungen gesprochen hat. Auch zu den Risiken im Chinageschäft gibt es öfters kleinere, vertrauliche Runden mit nur 10 bis 25 Teilnehmern.


STRATEGIE 5: Preise anpassen


Wenn Zölle oder Veränderungen in der Lieferkette zu höheren Preisen führen, geben Unternehmen das mitunter an ihre Kunden weiter. Ob ein Unternehmen seine Produkte verzollt oder unverzollt beispielsweise in die USA liefert, ist in der Regel bereits in den Lieferverträgen festgelegt. Der Maschinen- und Anlagenbauer Hennecke aus dem nordrhein-westfälischen Sankt Augustin, der 90 Prozent seiner Waren exportiert, liefert etwa Produkte aus seinen chinesischen Werken in die USA. 


Per Liefervertrag unverzollt zu liefern, sodass die Kunden für die Einfuhrzölle in die Tasche greifen müssen, ist das eine. Manche Unternehmen wie zum Beispiel Automobilhersteller überlegen aber auch, die höheren Kosten zumindest teilweise an die Endkunden weiterzugeben. Nachträglich geht das allerdings nur, wenn es bereits im Kaufvertrag oder in den AGBs steht.

Best Practice: Multivac Group

Lieferketten anpassen

Bernd Schreiber, Geschäftsführer von Multivac, spürt die Auswirkungen der US-Zollpolitik. Bernd Schreiber, Geschäftsführer von Multivac, spürt die Auswirkungen der US-Zollpolitik. | © GTAI/Edwin Schuh

Das Allgäuer Familienunternehmen Multivac, Anbieter von Verpackungslösungen für Lebensmittel, Konsumgüter und Gesundheitsprodukte, muss in Mexiko seine Lieferketten anpassen. Der Grund: die US-amerikanische Zollpolitik. „Rund ein Drittel unseres Umsatzes erwirtschaften wir im After-Sales-Service und im Geschäft mit Ersatzteilen. Die Teile beziehen wir von unserem Nordamerika-Hub in Kansas City im zentralen US-Bundesstaat Missouri. Da sie jedoch in Europa gefertigt und dann an die USA geliefert werden, fällt aufgrund des hohen Stahlanteils für viele Ersatzteile seit Mitte März ein Zoll in Höhe von 25 Prozent an“, sagt Bernd Schreiber, Geschäftsführer von Multivac im Gespräch mit GTAI. Nach Trumps Liberation Day Mitte April kamen noch einmal zehn Prozent dazu.

Schreiber scrollt durch eine Excel-Liste mit rund 2.000 Ersatzteilen, die von Zöllen betroffen sind. „Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir die Teile demnächst direkt von Europa nach Mexiko holen, ohne den Umweg über die USA. Zum Glück haben wir noch ein altes Lager hier, das wir jetzt nutzen können“, sagt er. Was die USA selbst angeht, so müsse Multivac mittelfristig wohl komplette Maschinen vor Ort herstellen, sagt Schreiber. Deren Produktion findet bisher ausschließlich in Europa statt.

Die Konkurrenzsituation sieht Schreiber optimistischer. Zwar habe sich der Druck erhöht, aber Multivac komme weiterhin auf einen Marktanteil von mehr als 50 Prozent. Die Mitbewerber stammen dabei weniger aus Asien, sondern eher aus Europa und den USA. Dank der starken Marktposition werde man auch künftig mit schwierigen Rahmenbedingungen zurechtkommen, zeigt sich Schreiber zuversichtlich.


STRATEGIE 6: Auf Besserung warten


Vor allem die US-Zölle sorgen derzeit weltweit für Aufruhr unter deutschen Exporteuren. Viele Unternehmen zögern jedoch, gleich alternative Märkte zu erschließen oder gar die Produktion zu verlagern. Solche Entscheidungen wollen wohlüberlegt sein, schließlich dauert der Bau einer Fabrik gerne mal ein paar Jahre und erfordert hohe Investitionen. Dann ist die Amtszeit zum Beispiel des aktuellen US-Präsidenten auch schon wieder rum. Viele Unternehmen haben sich darum entschieden, erst einmal abzuwarten. „Die Lage in den USA ist sehr unklar“, sagt auch Außenwirtschaftsexpertin Hillger von der Handelskammer Hamburg. „Nicht alles von dem, was angedroht wird, wird auch umgesetzt“, ist sie sich sicher. „Da heißt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und erst einmal abzuwarten, bevor man weitreichende Entscheidungen trifft.“


Eine Meinung, die auch Berater Bauer von Rothenbaum vertritt. Zum einen habe der US-Präsident seine handelspolitischen Entscheidungen in der Vergangenheit schon mehrmals revidiert. „Zum anderen wird seine protektionistische Handelspolitik den US-Dollar voraussichtlich aufwerten, sodass die effektive Teuerung deutscher Industrieprodukte für US-Kunden geringer ausfällt“, sagt Bauer. 
 

Die Rechtslage - wenn alles anders wird

Was passiert mit Handels- und Dienstleistungsverträgen, wenn plötzlich hohe Zölle erhoben werden?

Der Grundsatz „Pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) gilt überall. Wenn Verträge – zum Beispiel durch Zölle – unwirtschaftlich werden, ändert das in aller Regel nichts an diesem Grundsatz. Das gilt auch dann, wenn „Force majeure“-Klauseln vereinbart werden oder Gesetze eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ regeln. Häufig sind die Gerichte sehr zurückhaltend und betonen die bindende Wirkung der Verträge. Es gilt der Grundgedanke, dass wirtschaftliches Risiko Teil des Wirtschaftslebens ist – das Recht kann und soll daran nichts ändern.

Das bedeutet aber nicht, dass keine vertragliche Vorsorge möglich ist: 

• Wer Incoterms (International Commercial Terms) nutzt, sollte als Lieferant die Klausel DDP (Delivery Duty Paid, also Lieferung und Zoll inklusive) nach Möglichkeit vermeiden. Dadurch wird man zum Einführer und muss die Zölle bezahlen.

• Sofern DDP gilt, können Unternehmen eine Preisanpassungsklausel zur gerechten Verteilung der Risiken durch drohende Strafzölle in den Vertrag aufnehmen.

• Firmen können direkt im Vertrag regeln, ab welcher Höhe Einfuhrzölle eine übermäßige Belastung darstellen und was daraus folgen soll, etwa eine hälftige Teilung, Neuverhandlung oder eine Kündigungsmöglichkeit.

Karl Martin Fischer, GTAI-Rechtsexperte

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