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Der Konjunktureinbruch trifft den Chemiesektor, langfristig bleiben die Aussichten aber gut. Importe sollen sinken und die lokale Produktion steigen, dafür gibt es Subventionen.
18.12.2020
Von Florian Wenke | Bonn
Bereits vor der Ausbreitung des Coronavirus hatte Indien mit einer konjunkturellen Eintrübung zu kämpfen. Umso härter wirkten sich die Maßnahmen zur Eindämmung und Bekämpfung von COVID-19 auf die Wirtschaft des Landes aus. Laut Internationalem Währungsfonds soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im laufenden Finanzjahr 2020/21 (1. April bis 31. März) um 10,3 Prozent sinken, bevor im kommenden Finanzjahr ein Wachstum von 8,8 Prozent folgen soll.
Als zyklischer Industriebereich bleibt der Chemiesektor von diesen konjunkturellen Verwerfungen nicht verschont. Wichtige Abnehmerbranchen wie beispielsweise die Automobilindustrie oder der Konsum können keine positiven Impulse liefern. In einer Quartalsumfrage der Federation of Indian Chambers of Commerce and Industry (FICCI) zur aktuellen Lage von Unternehmen vom November 2020 wurde die momentane Kapazitätsauslastung der Firmen aus den Bereichen Chemie, Pharmazie und Düngemittel mit durchschnittlich 66 Prozent angegeben. Weiterhin gaben 88 Prozent der befragten Unternehmen an, in den kommenden 6 Monaten keine zusätzlichen Produktionskapazitäten schaffen zu wollen und 90 Prozent gaben an, in naher Zukunft keine neuen Mitarbeiter einstellen zu wollen.
Langfristig bleiben die Aussichten für die Chemieindustrie in Indien jedoch gut. Die Regierung prognostiziert ein Anwachsen der Marktgröße auf 300 Milliarden US-Dollar (US$) bis 2025. Die Branche soll dann rund 20 Prozent zur Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe ausmachen. Momentan wird die Marktgröße auf 165 bis 180 Milliarden US$ geschätzt, was Indien zum sechstgrößten Markt der Welt und dem viertgrößten in Asien macht. Aufgrund des aktuellen wirtschaftlichen Einbruchs ist jedoch fraglich, ob das ambitionierte Wachstumsziel zu halten sein wird. Dennoch wird weiter an den Zukunftsplänen geschmiedet. Momentan wird an einem Strategiepapier für den Sektor mit der Entwicklung bis 2034 gearbeitet, so vermelden es indische Medien.
Während einige Wirtschaftsbereiche hart durch die Coronapandemie getroffen sind, kommt der Agrarbereich bisher gut durch die Krise. Begünstigt durch einen guten Monsun ist er der einzige Wirtschaftssektor, der in den ersten beiden Quartalen des laufenden Finanzjahres 2020/21 (1. April bis 31. März) ein Wachstum aufweisen konnte. Dementsprechend positiv entwickelt sich der Markt für Agrarchemikalien. Zwar ging die Düngemittelproduktion im März 2020 um 11,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurück aber von April bis Oktober 2020 wuchs der gesamte Sektor um 4,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Ratingagentur Crisil gibt den Umsatz mit Agrarchemikalien in Indien mit rund 6,4 Milliarden US$ an. Im laufenden Finanzjahr soll er um 12 bis 14 Prozent zulegen.
Andere Teilsektoren entwickeln sich weniger gut. So ging der Absatz von Raffinerieprodukten deutlich zurück - im April 2020 um 24,2 Prozent und im Mai 2020 um 21,3 Prozent, jeweils im Vergleich zum Vorjahresmonat. Für den gesamten Zeitraum von April bis Oktober steht ein Minus von 16,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Erst wenn die Konjunktur wieder Fahrt aufnimmt und sich der Konsum belebt, ist mit einer nachhaltigen Erholung zu rechnen.
Ein nicht unerheblicher Teil der in Indien verwendeten chemischen und petrochemischen Erzeugnisse wird importiert. Indien sieht in der Coronakrise auch eine Möglichkeit, sich als alternativer Produktionsstandort für den Chemiesektor zu positionieren. Neu-Delhi möchte das Handelsbilanzdefizit im Bereich der Chemikalien verringern und nach Möglichkeit in einen Überschuss umwandeln. Im Jahr 2019 stiegen die Exporte bereits um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während die Importe um 1,1 Prozent zurückgingen.
Warenkategorie nach SITC | Importe gesamt | davon aus China | davon aus Deutschland | Exporte gesamt | davon nach China | davon nach Deutschland |
---|---|---|---|---|---|---|
Gesamte SITC-Kategorie 5 | 60.093,14 | 15.708,25 | 1.900,72 | 53.309,75 | 4.706,01 | 1.568,77 |
Organische Chemikalien (51) | 19.570,22 | 6.901,55 | 405,92 | 16.883,44 | 3.039,33 | 696,65 |
Anorganische Chemikalien (52) | 5.851,26 | 740,56 | 96,22 | 1.332,79 | 55,66 | 26,15 |
Farben, Tönungen und Lacke (53) | 2.092,85 | 555,561 | 138,55 | 3.495,73 | 309,45 | 164,38 |
Arzneimittel (54) | 4.506,00 | 1.560,99 | 267,40 | 17.916,69 | 131,68 | 326,95 |
Seifen, Waschmittel und Polituren (554) | 428,75 | 78,78 | 35,42 | 489,07 | 6,02 | 10,22 |
Düngemittel (56) | 7.161,43 | 2.078,89 | 42,89 | 114,43 | 1,73 | 0,01 |
Kunststoffe in Primärform (57) | 10.894,94 | 1.377,60 | 342,78 | 3.738,41 | 906,56 | 90,64 |
Pestizide (591) | 1.331,31 | 677,54 | 54,00 | 3.443,50 | 77,74 | 55,17 |
Besonders die Abhängigkeit von China in einigen Bereichen ist der Regierung unter Premierminister Narendra Modi ein Dorn im Auge. Das Reich der Mitte ist mit Abstand der wichtigste Lieferant von Chemikalien (SITC-Kategrie 5) nach Indien. Etwas mehr als ein Viertel von Indiens Chemieimporten stammte 2019 aus China, während nur 8,8 Prozent der Exporte dorthin gingen. Der Anteil Deutschlands bei den indischen Importen von Chemikalien lag bei 3,2 Prozent. Der Importwert ging 2019 allerdings um 9,8 Prozent gegenüber 2018 zurück. Nach Deutschland exportierte Indien 2019 circa 2,9 Prozent mehr als 2018 und insgesamt 6,6, Prozent seiner chemischen Erzeugnisse. Bei den Importen chemischer Erzeugnisse lag Deutschland 2019 damit auf Rang 8 der Handelspartner Indiens. Bei den Exporten war es Rang 4.
Um Atmanirbhar Bharat, das Ziel eines wirtschaftlich unabhängigen Indiens zu erreichen, unterstützt die Regierung Investitionen im Land aktiv durch Subventionen. Hauptsächlich werden zeitlich befristete Produktionsanreize, sogenannte production linked incentives, genutzt. Ihr Einsatz wurde im Rahmen von Konjunkturmaßnahmen gegen die Auswirkungen der Coronapandemie beschlossen. Firmen, die sich ansiedeln, sollen sowohl für den indischen Markt produzieren, als auch von Indien aus Exportmärkte erschließen. So schwebt es zumindest der indischen Regierung unter dem Slogan Make in India for the World vor.
Bisher gelten die Subventionen unter anderem für den Pharmabereich. In indischen Medien wird jedoch davon berichtet, dass andere Bereiche der Chemieindustrie bald ebenfalls in den Genuss einer solchen Förderung kommen werden.
Projekt | Investitionssumme (in Milliarden US$) 1) | Projektstand | Anmerkungen |
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Petroleum,Chemical and Petrochemicals Investment Regions (PCPIRs) | 103,9 | Bisher 28,9 Milliarden US$ an Investitionen getätigt. Erste Projekte laufen seit 2007 aber bisher ist keines fertiggestellt. | Es sollen insgesamt 4 Regionen beim Auf- und Ausbau von Chemieanlagen unterstützt werden. |
Bau eines Ölraffinerie- und Petrochemiekomplexes in Ratnagiri (Maharashtra) | 44,0 | Planungsphase, Erwerb des Baulands steht noch aus, 1. Bauphase bis 2025 | Die Raffineriekapazität soll 60 Mio. Tonnen pro Jahr betragen; Investoren: Saudi Aramco, Abu Dhabi National Oil, Indian Oil, BPCL, HPCL |
27,2 | Geplante Fertigstellung bis 2027 | Das Unternehmen will Raffinerie- und Petrochemiekapazitäten erweitern | |
9,8 | Angekündigt im November 2019, Vertrag noch nicht unterzeichnet | Es soll eine Petrochemischer komplex innerhalb der Anlage in Jamnagar entstehen. Saudi Aramco to invest additional 15 Mrd in Reliance’s crude-oil-to-chemicals complex; | |
Shell and Nayara Energy | 8 bis 9 | geplante Fertigstellung 2025 | Petrochemisches Join-Venture-Projekt das in Vadinar (Gujarat) errichtet werden soll |
Projekte der öffentlichen Hand werden auf der zentralen Ausschreibungsplattform der indischen Regierung veröffentlicht. Außerdem stellt die indische Regierung eine gute Projektdatenbank zur Verfügung. GTAI stellt ebenfalls aktuelle Informationen zu Ausschreibungen und Entwicklungsprojekten bereit.
Der Investitionsbedarf ist jedenfalls immens. Der Minister für Chemikalien und Dünger, D.V. Sadananda
Gowda, wird in indischen Medien damit zitiert, dass Indien bis 2025 zusätzlich fünf und weitere vierzehn Cracker bis 2040 benötigt. Alleine dafür wird die Investitionssumme auf 65 Milliarden US$ geschätzt.