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Wirtschaftsausblick | Ägypten
Die jüngste Abwertung des ägyptischen Pfundes wird der Kaufkraft der Ägypter einen weiteren Schlag versetzen.
30.11.2022
Von Sherif Rohayem | Kairo
Die Economist Intelligence Unit (EIU) prognostiziert für das Jahr 2023 ein reales Wachstum des ägyptischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur noch 2 Prozent. Dies ist ein deutlicher Abfall gegenüber dem Plus von 6,6 Prozent im laufenden Jahr 2022. Gründe für das schlechte Abschneiden sind anhaltend hohe Preise für Energie- und Nahrungsmittel aufgrund des Krieges in der Ukraine und durch die Geldpolitik der US-Notenbank. Diese Faktoren werden die importierte Inflation verschärfen und den Privatkonsum deutlich einschränken. Anfänge einer Erholung prognostizieren die Analysten der EIU ab dem Jahr 2024, für das sie ein reales Wachstum des ägyptischen BIP von 4,1 Prozent notieren.
Laut den monatlichen Umfragen des S&P Einkaufsmanagerindex befinden sich sowohl die Wirtschaftsaktivitäten als auch die Stimmung in der Privatwirtschaft (ohne Öl) seit knapp zwei Jahren im Sinkflug. Sogar dann, als die Wirtschaft wie im vergangenen Jahr um 6,6 Prozent gewachsen ist. Angesichts eines dreimal so schwachen Wachstums im nächsten Jahr ist eine positive Trendwende nicht einmal denkbar - schon gar nicht ohne Strukturreformen.
Auch im Jahr 2023 wird die geldpolitische Straffung der US-Notenbank Druck auf die ägyptische Wirtschaft ausüben - unter zwei Gesichtspunkten: Sie sorgt erstens für einen starken US-Dollar (US$), der die ägyptische Zentralbank im März und im Oktober dieses Jahres zur Freigabe beziehungsweise Abwertung der Landeswährung veranlasste. Insgesamt verlor das ägyptische Pfund in diesem Zeitraum etwa die Hälfte seines Außenwertes. Es ist davon auszugehen, dass das Pfund auch künftig fallen und weiter für hohe Erzeuger- und Verbraucherpreise sorgen wird.
Zweitens vermindert die US-amerikanische Geldpolitik die Attraktivität ägyptischer Staatsanleihen. In der Folge entgehen der Regierung wichtige Einnahmen und ihr steht weniger Geld zur Verfügung, um in die Infrastruktur des Landes zu investieren. Auch der zugesagte Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) Ende Oktober 2022 veranlasste keine Schubumkehr der Geldflüsse in Richtung des ägyptischen Marktes für Staatsanleihen. Die Kreditsumme von gerade einmal 3 Milliarden US-Dollar (US$) war zu wenig, um nachhaltig das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen.
Indikator | 20221) | 20232) | Vergleichsdaten Deutschland 2021 |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. US$) | 387 | 376 | 4.263 |
BIP pro Kopf (US$) | 3.720 | 3.550 | 51.238 |
Bevölkerung (Mio.) | 103,9 | 105,8 | 83,2 |
Wechselkurs (Jahresdurchschnitt, 1 Euro = x Ägyptische Pfund) | 19,43 | 22,10 | - |
Die zweite Abwertung des Pfundes in diesem Jahr koppelte die ägyptische Zentralbank mit einer Zinserhöhung um 2 Prozentpunkte. Insgesamt haben die ägyptischen Währungshüter den Leitzins im Jahr 2022 um 5 Prozentpunkte auf 13,25 Prozent angehoben. Mehr denn je sind Kredite in Ägypten dadurch nahezu unerschwinglich. Kurz- und mittelfristig ist infolgedessen nicht mit nennenswerten Investitionen aus der lokalen Privatwirtschaft zu rechnen. Auf der anderen Seite sind die Kaufkraftverluste der Ägypter die Kaufkraftgewinne der Ausländer. So sind nach der Abwertung die Anteile lokaler Unternehmen wegen der Wechselkursvorteile zu Schnäppchen geworden. Ausländische Investoren kauften an der ägyptischen Börse EGX 30 ein und sorgten für einen Höhenflug des Leitindex, der um 47 Prozent gegenüber dem Tief im Juli 2022 zugelegt hat.
Anfang November 2022 fand im ägyptischen Badeort Scharm El Scheich die Weltklimakonferenz statt. Schon vor und während dieser COP27 kündigten Unternehmen Projekte für Windkraft sowie für grünen Wasser- und Kraftstoff in dreistelliger Milliardenhöhe auf US$-Basis an. Wenn beispielsweise von den angekündigten 30 Gigawatt an Windprojekten nur einige Gigawatt installiert würden, wäre dies bereits ein großer Sprung.
Der Öl- und Gassektor dagegen boomt jetzt schon. Hier stehen Investitionen zur Entwicklung neuer Felder an, ebenso soll eine geplante Pipeline Ägypten mit Zypern verbinden und eine dritte Verflüssigungsanlage Ägyptens LNG-Exporte steigern.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. US$) | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Anlage zur Herstellung von grünem Kraftstoff für Schiffe | 15.000 | Konzeption | Maersk, Suez Canal Economic Zone's Development Company (staatlich) |
Onshore Windpark mit 10 Gigawatt | 11.000 | Konzeption | |
2. Streckenabschnitt elektrische Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke; 1.100 Kilometer von Kairo nach Abu Simbel und Assuan | 8.700 | Auftragsvergabe | Ministry of Transportation; Betreiber: National Authority of Tunnels (NAT); Generalunternehmer: Siemens Mobility |
Petrochemischer Komplex in Sues | 7.500 | Studienphase | Ministry of Petroleum |
Diamond City in der neuen Verwaltungshauptstadt; Mischnutzungsprojekt | 6.254 | Designphase | Alliance Global und ACUD |
Kairo Metro - Neue Linie 6 | 5.000 | Studienphase | NAT |
Photovoltaikanlage mit installierter Kapazität von 2.000 MW, einschließlich Betrieb zur Herstellung von Solarpanels | 3.500 | Studienphase | Egyptian Electricity Holding Company, Terra Sola Group, Terra Nex Financial Engineering |
Anlage zur Herstellung von Ammoniak aus grünem Wasserstoff in Ain Sokhna | 3.000 | Studienphase | |
47 Meerwasserentsalzungsanlagen in vier Phasen | 2.800 | Studienphase | New Urban Comminities Authority (NUCA) und Egypt Holding Company for Water & Waste Water (HCWW) |
Lagerhallen für strategische Nahrungsmittelreserven | 2.222 | Studienphase |
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite Ägypten, Rubrik „Ausschreibungen“ und „Entwicklungsprojekte“.
Im Oktober 2022 stieg die jährliche Inflation in Ägypten auf 16,2 Prozent. Experten gehen davon aus, dass die Teuerungsrate im Laufe dieses Jahres bis auf 19 Prozent klettern wird. Der Warenkorb zur Berechnung der Inflation im Land besteht bis zu 40 Prozent aus Lebensmitteln. Gestiegene Preise für Weizen, Mais, Speiseöl und Energie treffen Ägypten als Nettoimporteur dieser Güter in besonderer Weise - in erster Linie die Haushalte. Diese müssen nun einen größeren Teil ihres verfügbaren Einkommens für Lebensmittel aufwenden. Das schränkt den Spielraum für den Konsum anderer Waren und Dienstleistungen stark ein. Vor dem Hintergrund, dass 80 Prozent der Wirtschaftsleistung auf der Verwendungsseite durch den Privatkonsum entstehen, wirken sich derartige Kaufkraftverluste unmittelbar auf das BIP-Wachstum aus.
Ein sozialer Abstieg breiter Teile der ägyptischen Mittelschicht ist bereits im Gange - so sind anekdotische Berichte von Eltern zu hören, die sich die Privatschule nicht mehr leisten können und ihre Kinder auf die überfüllten staatlichen Schulen schicken müssen.
Die Devisensituation in Ägypten hat sich ausweislich der Zuflüsse auf dem Aktienmarkt bereits zu verbessern begonnen. Der seit Monaten gestörte Außenhandel Ägyptens dürfte sich daher demnächst wieder normalisieren. So soll Ende des Jahres die Akkreditivpflicht für Importzahlungen auslaufen. Bereits jetzt hat Ägyptens Zentralbank die Ausnahme von der Akkreditivpflicht für Importrechnungen von zuvor 5.000 US$ auf 500.000 US$ angehoben. Waren im Millionenwert, darunter Kfz oder weiße Waren, die wegen der Devisenklemme seit Monaten an ägyptischen Häfen gestrandet sind, dürften demnächst abgefertigt werden.
2020 | 2021 | Veränderung 2021/2020 | |
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Importe | 62,0 | 81,0 | 30,6 |
Exporte | 25,1 | 36,4 | 45,5 |