Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Branchen | Äthiopien | Textilien, Bekleidung

Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie mit Strukturproblemen

Nach dem Waffenstillstand in Tigray hoffen Bekleidungshersteller in Äthiopien auf mehr Auslandsorder. Die vorgelagerte Textilindustrie bleibt aber schwach.

Von Ulrich Binkert | Bonn

Aus Sicht der deutschen Wirtschaft haben sich die Hoffnungen in Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie bislang nicht erfüllt. Deutsche Modeeinkäufer zögern, und von geplanten Investitionen deutscher Firmen in der Branche ist nichts bekannt. Die deutschen Lieferungen von Textil- und Bekleidungsmaschinen verharrten zuletzt bei einer Million Euro jährlich, 2022 waren es laut vorläufigen Daten von Eurostat gar nur 0,2 Millionen Euro.

Produktionsbedingungen sind eigentlich top

Dabei umfasst Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie von der Faser bis zum Bekleidungsstück sämtliche Produktionsschritte. Das Land baut viel Baumwolle an, Strom ist billig und auch der Staat hilft mit Vergünstigungen und Flächen in großen Industrieparks. Die arbeitsintensive Bekleidungsindustrie profitiert von äußerst niedrigen Löhnen. Zwar hatten sich die Monatsgehälter für einfache Tätigkeiten im Zeitraum der Jahre 2019 bis 2022 zwar verdoppelt, erreichten aber dennoch umgerechnet erst 60 Euro.

Die einheimische Baumwolle allerdings ist minderwertig. Die Bauern bekommen gute Ware nicht honoriert und sind zudem vor Importen geschützt. Trotz aller staatlichen Pläne sei die Baumwolle "heute immer noch so schlecht wie vor 15 Jahren", sagt ein langjähriger Beobachter. Die Länge und Qualität der Fasern reichen für die Herstellung von Heimtextilien oder auch Jeans und anderem Gewebe, kaum aber für Strick- und Wirkwaren. Die minderwertige Qualität zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette, mit einer insgesamt veralteten, wenig leistungsfähigen Textilindustrie. Deren Kunden sind Bekleidungshersteller, die lediglich die unteren Qualitätssegmente des Inlandsmarktes oder benachbarter Länder abdecken.

Bekleidungsproduzenten müssen Stoffe weiter importieren

Daneben entstanden seit dem Jahr 2000 vermehrt exportorientierte Bekleidungshersteller. Die Investoren kamen zunächst aus der Türkei, später eher aus Indien, China und anderen asiatischen Ländern. Diese Produzenten importieren im Regelfall aus Qualitätsgründen sämtliche Stoffe. Für Knöpfe und andere Vorprodukte fehlt eine lokale Zulieferstruktur gänzlich.

Inzwischen immerhin stricken, weben, bedrucken oder färben offenbar mehr Betriebe höherwertige Stoffe: Äthiopiens Importe von Stoffen sind nach Angaben des Branchenverbands ETGAMA seit 2019 rückläufig und liegen jetzt wieder auf dem Niveau von vor einem Jahrzehnt. Kräftig zugelegt haben hingegen die Einfuhren von Garn, wovon einheimische Spinnereien offenbar nicht genügend gute Ware produzieren.

Ein Abbild dieser Entwicklung ist der Bekleidungsexporteur Desta. Er importiert noch alle benötigten Stoffe, will den Anteil durch den laufenden Bau einer Strickerei und Färberei aber auf die Hälfte reduzieren. Die Garne indes sollen auch künftig aus dem Ausland kommen, sagte Firmenchef Eyob Bekele im März 2023.

Bild vergrößern

Bild vergrößern

Äthiopien importiert zudem viel fertige Bekleidung. Dies verschärft den bereits extremen Devisenmangel im Land, den die Regierung durch eine strenge Bewirtschaftung zu managen versucht. Im Ergebnis erhalten Bekleidungsexporteure ebenso wie andere Branchen von der Zentralbank de facto nur noch einen Teil ihrer Exporterlöse in Dollar oder Euro. Dadurch fehlen ihnen die Mittel für den Import von Vorprodukten oder Maschinen.

Konflikte und Devisenmangel bremsen

Einen Rückschlag brachte auch der Bürgerkrieg in Tigray. Die teils bedeutenden Bekleidungsfabriken in der Nordprovinz arbeiten nicht mehr oder wurden sogar zerstört. Wegen der umstrittenen Rolle der Regierung im Konflikt haben zudem die USA als mit Abstand wichtigster Abnehmer äthiopischer Bekleidung zum Jahresanfang 2022 die Vorteile beim Marktzugang ausgesetzt. Auch nach Abschluss des Friedensvertrags im letzten November haben die USA noch keine Rückkehr zu dem AGOA genannten Schema angekündigt.

"Wir tun uns gerade sehr schwer, Bekleidungseinkäufer in Deutschland oder Nachbarländern für Äthiopien zu begeistern", sagt aktuell auch ein deutscher Berater. Grund sind nicht nur die Konflikte in Tigray und anderen Regionen, die das Image des Landes lädiert haben. Defizite gibt es weiter bei Logistik und Liefertreue. In den Fabriken ist die Arbeitsproduktivität immer noch niedrig, die Fluktuation umso höher. So kam Shanghai Textile 2022 laut eigenen Angaben nach einem Monat bereits die Hälfte von 1.500 neuen Angestellten abhanden, auch wenn dies in einem noch neuen Werk war. Aber auch ein etablierter äthiopischer Hersteller gibt aktuell an, bei 1.300 Beschäftigen pro Jahr 4.000 Einstellungen vornehmen zu müssen.

Die geografische Nähe spricht im schnelllebigen Modegeschäft eigentlich für Europa als primären Abnehmer äthiopischer Exportbekleidung. Und generell sind westliche Modefirmen an "neuen" Lieferanten wie auch Äthiopien interessiert. Sie diversifizieren ihre Beschaffungsquellen auch deshalb, um bei Problemen einer Quelle auf andere Bezugsländer ausweichen zu können, so wie bei Bangladesch und dem Einsturz der Rana-Plaza-Bekleidungsfabrik im Jahre 2013. Alternativen sind auch wegen allfälligen Fragen zur Lieferkette geboten, wenn ein Hersteller oder ein ganzes Land wegen Kinderarbeit oder schlechten Umwelt- und Sozialstandards in Verruf gerät.

US-Abnehmer und Discounter setzen auf Besserung

Für den Standort Äthiopien spricht nach Ansicht von Beobachtern, dass Probleme wie niedrige Effizienz oder hohe Fluktuation mit der Zeit verschwinden würden. Sie seien typisch für Länder im Stadium beginnender Industrialisierung. Einige ausländische Kunden arrangieren sich offenkundig mit den Defiziten in der Lieferfähigkeit Äthiopiens: Die derzeit dominierenden Abnehmer aus den USA bestellen nach Branchenabgaben eher große Mengen. In Europa gelte dies für Discounter, die zudem – anders als kleinere Modefirmen – längerfristig planten. So arbeitete Shanghai Textile Mitte 2022 an Lieferungen für Discounter in Italien und Deutschland. Und der größte ausländische Abnehmer äthiopischer Bekleidung war bis 2017 für einige Zeit Tchibo.

Große Bekleidungshersteller in Äthiopien *)

Unternehmen

Produkt; Anmerkungen

Ort/Industriepark

Indochine

chinesisch; Hosen, T-Shirts; lt. Website 6.600 Beschäftigte

Hawassa

Jay Jay

indisch; Kinderbekleidung

Bole Lemi

Shints

koreanisch; gewebte Bekleidung

Bole Lemi

Nasa

äthiopisch; Jeans

Hawassa

Shanghai Textile

chinesisch; Sweater u.a.; Bole Lemi Mitte 2022: 1.600 Beschäftigte; 5.000 Beschäftigte angestrebt; weitere Werke

Bole Lemi, Eastern Industrial Park

Raymond

indisch; Anzüge; beschafft gerade Schneidemaschinen

Hawassa

Lin De

chinesisch; gewebte Bekleidung

Bole Lemi

Everest

taiwanisch

Hawassa

Desta

äthiopisch; T-Shirts etc.; 1.300 Beschäftigte, baut Strickerei und Färberei, Maschinen dafür noch nicht beschafft

Butajira

Ayka

ehemals größter Textil- und Bekleidungsproduzent, ehemals türkisch: Betrieb seit Jahren geschlossen, Belegschaft wird aber teils noch bezahlt; von staatlicher Development Bank of Ethiopia (DBE) kürzlich an private äthiopische Anteilseigner übergeben

ELSE

ehemals türkisch; von DBE kürzlich an private äthiopische Anteilseigner übergeben

DBL, Velocity

vormals mit die größten Bekleidungshersteller: Betriebe geschlossen wegen Tigray-Krieg

Mekelle

* Auswahl; Liste und Angaben nicht vollständig.Quelle: ETGAMA, Mai 2023; Recherchen von Germany Trade & Invest

Größte Textilhersteller in Äthiopien 1)

Unternehmen 2)

Anmerkung; Produktion

Arbaminch

äthiopisch-chinesisch, veredelt importierte Stoffe

Dongfang

chinesisch; verarbeitet importiertes Garn

Mahavir

indisch; webt importiertes Garn

Kombolcha

äthiopisch; voll integriert (Spinnen bis Veredeln)

MNS

türkisch; voll integriert (Spinnen bis Produktion von Handtüchern)

Eltex

äthiopisch; strickt und färbt

Yirgalem

strickt

Kanoria

indisch; webt und verarbeitet Denim

Almeda

vormals größter Textilfirma: Betrieb beschädigt und nicht operational

Lida

chinesisch; voll integriert; spinnt äthiopische Baumwolle, webt Denim und fertigt Jeans 2.700 Beschäftigte (2022)

Wuxi No. 1

chinesisch; spinnt Baumwolle

1 teils mit angeschlossener Bekleidungsproduktion; 2 geordnet ungefähr nach aktueller Größe/Bedeutung.Quelle: Quelle: ETGAMA, Mai 2023


Kontaktadressen

Delegation der Deutschen Wirtschaft für Ostafrika

Anlaufstelle für deutsche Unternehmen

Ethiopian Textile and Garment Manufacturers' Association

Verband der äthiopischen Textil- und Bekleidungsindustrie

Africa Sourcing & Fashion Week

Branchen- und Einkäufermesse, 3.-6. November 2023, Skylight Hotel, Addis Abeba; Veranstalter: Trade and Fairs Consulting GmbH


nach oben
Feedback

Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.