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EU bei Afrikainvestitionen vor China – aber anders als gedacht
Ein Aktientausch erklärt, warum europäische Direktinvestitionen in Afrika explodierten und kurz darauf wieder einbrachen.
02.07.2025
Von Ulrich Binkert | Bonn
Die aktuellen Zahlen zu den FDI (Foreign Direct Investment) lassen für Afrika hoffen: Nach dem jüngsten World Investment Report der Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) stiegen sie auf dem Kontinent 2024 gegenüber dem Vorjahr um 75 Prozent auf 97 Milliarden US-Dollar (US$). Weltweit gingen die FDI im selben Zeitraum um 4 Prozent zurück. Hinter dem Sprung in Afrika steht vor allem ein großes Städtebauprojekt in Ägypten, in welches die Vereinigten Arabischen Emirate 35 Milliarden US$ investieren. Ohne dieses Projekt hätte das Plus nur 12 Prozent betragen. FDI-Statistiken können also in die Irre führen.
EU versus China: Wer investiert mehr in Afrika?
Europa gilt in Sachen Investitionen in Afrika als eher träge, China als viel agiler. Dabei können die Europäer beeindruckende Zahlen in der FDI-Statistik vorweisen. Laut Eurostat investierten die 27 EU-Mitgliedsländer von 2019 bis 2022 rund 56 Milliarden Euro in Afrika. Aus China kamen umgerechnet nur 12 Milliarden Euro, während die USA fast gleich viel Kapital abzogen wie frisches anlegten.
Allerdings enthalten diese Zahlen einen wesentlichen Ausreißer: 2021 gingen 39 Milliarden Euro FDI aus der EU nach Afrika. Geld, das 2023 zu einem großen Teil wieder zurückfloß. Aber selbst ohne diese Transaktionen waren es im Zeitraum immer noch 22 Milliarden Euro aus der EU, fast doppelt so viel wie aus China.
Die Ausreißer haben offenbar hauptsächlich mit den Niederlanden zu tun, einem beliebten Standort für Holdinggesellschaften. Die niederländische Zentralbank will die hohen FDI-Flüsse nach Afrika auf Anfrage nicht kommentieren und verweist auf Vertraulichkeit. Sie schickt aber eine Information der südafrikanischen Zentralbank.
Dort ist die Rede von einem Aktientausch zwischen der südafrikanischen Naspers und deren niederländischer Tochter Prosus Dieser Tausch habe die Kapitalbilanz zwischen beiden Ländern 2021 "signifikant beeinflusst". Fragen zu Details beantworten weder die Zentralbank Südafrikas noch UNCTAD oder die beteiligten Firmen. Auch befragte Finanzfachleute können dazu kaum etwas sagen.
Milliardentransfer von Tencent in die Niederlande
Naspers ist eines der wertvollsten Unternehmen in Afrika. Die südafrikanische Medienfirma hatte 2001 für 32 Millionen US-Dollar (US$) 46,5 Prozent der damals wenig bekannten chinesischen Internetfirma Tencent gekauft. Ein Schnäppchen: Heute ist Tencent, das unter anderem den Messengerdienst Wechat betreibt, mit einer Marktkapitalisierung von 600 Milliarden US$ mit Abstand das teuerste Unternehmen Chinas.
2019 übertrug Naspers die Anteile an Tencent und weiteren Firmen an sein Tochterunternehmen Prosus in Amsterdam. Die Südafrikaner hielten zu dieser Zeit noch 31 Prozent am chinesischen Internetriesen. Zur damaligen Marktkapitalisierung waren diese Anteile gut 120 Milliarden US-Dollar wert.
2021 - jetzt kommt die FDI-Statistik ins Spiel - kaufte Prosus für umgerechnet 44 Milliarden US$ rund 45 Prozent des Mutterunternehmens Naspers. Das Ganze erfolgte Großteils in Form eines Aktientauschs, an Geld sind nach Brancheninformationen nur rund 9 Milliarden US$ gefloßen.
Überkreuzbeteiligungen zählen als Direktinvestition…
Im September 2023 lösten die Firmen ihre Überkreuzbeteiligung wieder auf. Aktuell hält Naspers noch 41 Prozent an Prosus und Prosus keine Anteile mehr an Naspers. Die Anteile an Tencent sind bei Prosus verblieben. Die Firma in Amsterdam hält derzeit laut Marketscanner noch 24 Prozent am chinesischen Internetriesen. Prosus ist an der Börse aktuell mit 118 Milliarden US$ trotzdem knapp ein Zehntel mehr wert als am Ende des Gründungsjahrs 2019. Und mehr als doppelt so viel wie Volkswagen (54 Milliarden US$), Europas umsatzstärksten Industriekonzern.
Ein Grund für die Auslagerung der Anteile an Tencent in die Niederlande 2019 liegt laut Beobachtern darin, dass der Naspers-Konzern mit dem riesigen China-Paket "zu schwer" für die kleine Börse Johannesburg wurde. Warum sich die niederländische Tochter später an der Mutter beteiligte und das Ganze dann wieder aufgelöst wurde, ist für den finanztechnisch ungeübten Leser schwer einzuschätzen. Mögliche Gründe wären Steueroptimierung oder auch Risikominderung mit Blick auf das Umfeld in Südafrika.
Offen bleibt auch, in welchem Umfang die Verschiebungen in den Unternehmensbeteiligungen in die FDI-Statistik zwischen Südafrika und den Niederlanden eingingen. Offenbar zum größten Teil: Die niederländische Zentralbank weist für 2021 einen FDI-Transfer nach Afrika von 34 Milliarden Euro (keine Angaben für Südafrika) aus und für 2023 einen negativen Saldo mit Südafrika von 35 Milliarden Euro - jeweils das Vielfache der Werte in den Jahren davor und danach.
... Aktien-Transfers aber nur begrenzt
Die Auslagerung von Tencent-Aktien 2019 von Südafrika in die Niederlande hinterlässt in der niederländischen (und EU-) Statistik ebenfalls Spuren: Die FDI aus Afrika in den Niederlanden 2019 – für Südafrika gibt es keine Angaben - betrugen laut niederländischer Zentralbank 25 Milliarden Euro. Das war deutlich mehr als in anderen Jahren, aber nur ein kleiner Teil der 120 Milliarden US$, die das Tencent-Paket damals wert war.
Fazit: Hinter einem guten Teil der "Direktinvestitionen" der EU nach Afrika in den letzten Jahren steht mutmaßlich eine einzige unternehmensinterne Umstrukturierung von Anteilen, die keine "realen Werte" in Afrika schuf. Bei politisch-wirtschaftlichen Argumentationen rund um das Thema Investieren in Afrika scheint ein genauerer Blick in die Statistiken angezeigt.