Wirtschaftsausblick | Bosnien und Herzegowina
Bosnien und Herzegowinas Wirtschaft trotzt politischer Dauerkrise
Die Führung der Republika Srpska geht auf Konfrontationskurs zum Gesamtstaat. Die Wirtschaft bleibt dennoch auf Wachstumskurs. Die US-Zölle haben bisher kaum direkte Auswirkungen.
20.06.2025
Von Hans-Jürgen Wittmann | Belgrad
Top-Thema: Krisen verunsichern Wirtschaft
Die politische Dauerkrise hat Bosnien und Herzegowina weiter fest im Griff. Der Präsident der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, stellt die verfassungsmäßige Ordnung des Gesamtstaates in Frage und droht offen mit der Abspaltung der serbisch dominierten Entität. Ende Februar 2025 erlassene Dekrete des Parlaments in Banja Luka beschneiden die Kompetenzen gesamtstaatlicher Organe in der RS, darunter von Polizei, Justiz und der Ermittlungsbehörde SIPA. Im Gegenzug verabschiedete das Parlament der RS Mitte März 2025 einen neuen Verfassungsentwurf, welcher der Entität das Recht auf eine eigene Grenzpolizei und Armee einräumt. Beide Vorhaben stellen klare Verstöße gegen das Dayton-Abkommen dar.
Ein Gericht verurteilte Dodik wegen Missachtung der Entscheidungen des Hohen Repräsentanten Christian Schmidt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zu einem politischen Betätigungsverbot von sechs Jahren. Ein Haftbefehl konnte jedoch bis dato nicht vollstreckt werden. Die EU, die Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina führt, reagierte mit der Aussetzung von Investitionen und finanzieller Hilfen in der Republika Srpska. Deutschland verhängte ein Einreiseverbot gegen Dodik und weitere führende Politiker der RS.
US-Zölle haben bisher kaum Auswirkungen
Das von US-Präsident Donald Trump Anfang April 2025 unterzeichnete Zolldekret sieht Einfuhrzölle von 35 Prozent für Bosnien und Herzegowina vor. Die Zölle sind vorerst bis 8. Juli 2025 ausgesetzt. Das zweitgrößte Westbalkanland wäre von den Zöllen kaum direkt betroffen. Die USA machen nur ein Prozent des gesamten Außenhandelsvolumens aus. Die indirekten Folgen der US-Zollpolitik bleiben noch abzuwarten: Die EU ist der wichtigste Handelspartner des Landes.
Bereits seit drei Jahren drückt die konjunkturelle Flaute in der EU die Nachfrage nach Kfz- und Metallteilen aus Bosnien und Herzegowina. Verarbeitete Produkte der Metall- und Elektroindustrie machen rund 40 Prozent der Gesamtexporte des Landes aus. Im Jahr 2024 sanken die Ausfuhren von Waren aus Eisen oder Stahl um 8,6 Prozent auf rund 573 Millionen Euro. Die Krise der deutschen Kfz-Industrie setzt sich fort. In ihrer Konjunkturumfrage vom 3. Juni 2025 stellte das Ifo-Institut eine weitere Verschlechterung des Geschäftsklimas bei deutschen Autobauern fest.
Wirtschaftsentwicklung: Bruttoinlandsprodukt wächst 2025 weniger stark
Trotz schwieriger Rahmenbedingungen entwickelt sich die Wirtschaft robust, vor allem dank des sich aufhellenden Binnenkonsums. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt in Bosnien und Herzegowina 2025 real um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, berechnet das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Aber es wäre deutlich mehr drin gewesen – aufgrund der lokalen und globalen Unsicherheit senkten die wiiw-Experten ihre Wachstumserwartung im Vergleich zur Herbstprognose 2024 um 0,5 Prozentpunkte ab.
Anstieg des Mindestlohns kurbelt Konsumausgaben an
Bei Verbrauchern in Bosnien und Herzegowina sitzt das Geld aktuell locker. Hauptgrund dafür ist die enorme Anhebung des Mindestlohns um 62 Prozent in der Entität Föderation Bosnien und Herzegowina zum Januar 2025 auf 1000 Konvertible Mark (KM, 510 Euro). In der Republika Srpska stieg der Mindestlohn im Februar 2025 auf 900 KM (460 Euro).
Trotz vergleichsweiser hoher Nahrungsmittelpreise bleibt die Inflation moderat: Für 2025 erwartet das wiiw einen Anstieg der Verbraucherpreise um 2,2 Prozent. Die steigende Kaufkraft belebt den Einzelhandel. Die wiiw-Experten rechnen für 2025 mit einem Anstieg der Haushaltsausgaben um 2,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Unsicherheit dämpft Wachstum bei Investitionen
Investoren sind aktuell vorsichtiger als in den Vorjahren. Das wiiw rechnet 2025 mit einem Plus bei den Bruttoanlageinvestitionen um 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2024 stiegen die Investitionen um 9 Prozent auf rund 1 Milliarde Euro. Ursache für die aktuelle Zurückhaltung ist die Verschlechterung des Investitionsklimas aufgrund der politischen Krise.
Investoren aus Deutschland halten dem Land hingegen die Treue. Rund ein Drittel möchte 2025 seine Investitionen im Vergleich zum Vorjahr erhöhen, ergab eine Konjunkturumfrage der Delegation der deutschen Wirtschaft (AHK). Die Irion GmbH plant ein Werk zur Fertigung von Schweißbaugruppen für die Kfz-Industrie.
Das Außenhandelsdefizit steigt
Bosnien und Herzegowina hängt stark von der konjunkturellen Entwicklung in Europa ab, denn es wickelt rund zwei Drittel seines Warenaustausches mit der EU ab. Wichtigster Außenhandelspartner ist Deutschland. Im Jahr 2024 sanken die Ausfuhren um 3,5 Prozent auf rund 8,2 Milliarden Euro. Bosnische Exporte nach Deutschland gingen gar um 9,4 Prozent auf rund 1,2 Milliarden Euro zurück, meldet Destatis.
Die Einfuhren nach Bosnien und Herzegowina legten 2024 hingegen um 2,8 Prozent auf rund 14,6 Milliarden Euro zu. Wichtigste Importgüter sind Kraftfahrzeuge, Maschinen, Metalle und Produkte der chemischen Industrie. Die steigende Kaufkraft der Bevölkerung wird wahrscheinlich 2025 die Einfuhren von Konsumgütern weiter anheben.
Deutsche Perspektive: Firmen bleiben verhalten optimistisch
Bosnien und Herzegowina wird als Wirtschaftsstandort für deutsche Firmen immer interessanter. Vor allem als Nearshoring-Standort und Beschaffungsmarkt vor der Haustüre der EU gewinnt das Land an Bedeutung. Rund 550 Firmen mit deutschem Kapital sind im Land tätig, produzieren für den lokalen Markt und für den Export.
Die Hälfte der Teilnehmer der AHK-Konjunkturumfrage erwarten 2025 eine gleichbleibend konstante Entwicklung ihrer Geschäfte. Nur ein Drittel rechnet mit einer Verbesserung des Vorjahresergebnisses. Dies deutet auf einen vorsichtigeren und realistischeren Ansatz in der Geschäftsplanung deutscher Firmen im Land hin.
Weitere Informationen (zum Beispiel Zoll- und Rechtsinformationen sowie Branchenberichte) finden Sie auf der Länderseite Bosnien und Herzegowina.