Branche kompakt | Brasilien | Pharmaindustrie, Biotechnologie
Markttrends
Brasiliens Arzneimittelmarkt ist der mit Abstand größte in Lateinamerika. Deutschland ist zweitwichtigstes Lieferland.
10.07.2025
Von Gloria Rose | São Paulo
Das Marktforschungsinstitut IQVIA sieht Lateinamerika als die Region, in der die Nachfrage nach Arzneimitteln von 2023 bis 2028 weltweit am stärksten wachsen wird. Die Analysten gehen davon aus, dass der Pharmaabsatz zwischen Mexiko und Feuerland im genannten Zeitraum im Durchschnitt um 19,3 Prozent pro Jahr steigen wird. Weltweit erwarten sie nur ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 7,9 Prozent und für Europa eine Rate von 7,1 Prozent.
Wachstumstreiber in Lateinamerika und Brasilien sind:
- eine wachsende und rasch alternde Bevölkerung
- Zunahme chronischer Krankheiten
- besserer Zugang zu Medikamenten dank steigender staatlicher Gesundheitsausgaben und Telemedizin
- Etablierung moderner Behandlungen
- breiteres Angebot an preisgünstigen Generika und Biosimilars
Dabei ist Brasilien als größte und einwohnerreichste Volkswirtschaft der mit Abstand größte Arzneimittelmarkt in der Region. Weitere Informationen zum Land bietet unser Wirtschaftsstandort Brasilien.
des gesamten Umsatzes mit Arzneimitteln in Lateinamerika entfiel 2024 auf Brasilien, gefolgt von Mexiko mit 17 Prozent.
Brasiliens Pharmamarkt wächst – kontinuierlich und mit hohem Tempo
Der Pharmamarkt in Brasilien verzeichnete in den jüngsten Jahren ein hohes Wachstum. Im Jahr 2024 wurden 6,3 Prozent mehr Arzneimittelpackungen verkauft als im Vorjahr. Der Einzelhandelsumsatz stieg auf 37,9 Milliarden US-Dollar (US$) an. Laut Angaben von IQVIA legte er 2024 in der Landeswährung Real (R$) nominal um 14 Prozent zu. Gerechnet in US-Dollar fällt der Zuwachs mit 5,6 Prozent aber deutlich geringer aus. Grund hierfür ist die hohe Abwertung des R$ seit Sommer 2024.
Wie stark der Pharmaumsatz zulegt, verdeutlicht ein Vergleich mit dem Konsum insgesamt. So stieg der Verkauf von Medikamenten 2024 dreimal so stark wie der gesamte Einzelhandel, zeigen Daten des brasilianischen Statistikinstituts IBGE. IQVIA erwartet für 2025 eine nominale Umsatzsteigerung in R$ in Höhe von 9,3 Prozent.
Der Wertverlust des R$ ist auch der Grund, weshalb Brasilien 2024 laut Branchenverband Sindusfarma auf Platz 10 der größten Pharmamärkte weltweit zurückgefallen ist, hinter die USA, China, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, das Vereinigte Königreich, Spanien und Kanada. Im Jahr 2023 hatte Brasilien noch auf Rang 8 gelegen. Doch die eingangs genannten Faktoren führen zu einem weiterhin stark steigenden Medikamentenbedarf. Brasilien dürfte mittelfristig den sechsten Platz einnehmen, erwartet IQVIA.
Staat ist größter Einzelabnehmer
Brasilien bietet seiner Bevölkerung eine kostenlose Gesundheitsversorgung im Rahmen des "Sistema Único de Saúde" (SUS). Dieses umfasst auch die Bereitstellung bestimmter Medikamente, insbesondere für chronische Krankheiten und schwere Erkrankungen. Der Staat investiert stark in die Bereitstellung von Biopharmaka – mit biotechnologischen Verfahren aus lebenden Zellen oder Organismen hergestellte Arzneimittel– insbesondere für Krebsbehandlungen und Autoimmunerkrankungen. Außerdem werden alle Impfstoffe des "Plano Nacional de Imunização" (PNI) kostenlos angeboten.
Für den Medikamentenkauf stellte die Regierung 2024 ein Budget von 3,7 Milliarden US$ bereit. Eine Reihe essentieller Arzneimittel ist kostenlos über das Programm "Farmácia Popular" erhältlich. Oft werden diese Medikamente über das private Apothekennetz ausgegeben. Die landesweit 93.700 Apotheken und Drogerien wickeln den Großteil des Arzneimittelvertriebs in Brasilien ab. Wer Medikamente außerhalb der SUS-Liste benötigt, muss sie privat kaufen oder über eine Krankenkasse finanzieren.
Den größten Teil seiner Umsätze erwirtschaftet der Pharmasektor über den Verkauf an den Großhandel (Anteil 2023: 63 Prozent). Auf den Einzelhandel und Verkäufe an staatliche Akteure entfallen je 15 Prozent. Die restlichen 7 Prozent gehen an private Gesundheitseinrichtungen.
Trends im Verbraucherverhalten und Vertrieb
- Gesundheitsdienstleistungen in Apotheken: Apotheken erweitern ihr Angebot mit medizinischen Dienstleistungen wie Impfungen und Schnelltests, um Kundennähe und Umsatz zu steigern.
- Expansion des Omnichannels: Digitale und physische Einkaufserlebnisse werden zunehmend verknüpft, sodass Kunden flexibel zwischen Onlinebestellung und Ladenabholung wählen können. Brasiliens Onlinehandel mit Medikamenten wächst zweistellig. Rund 11,6 Prozent der Arzneimittel bestellten die Kunden 2023 über das Internet. Laut IQVIA war der Anteil nur in Deutschland und in den USA höher.
- Fokus auf die Kundenerfahrung: Durch Self-Checkout, Chatbots und WhatsApp-Support verbessern Apotheken ihre Servicequalität und erleichtern die Kundenkommunikation.
- Treueprogramme: Kundenbindungsprogramme gewinnen an Bedeutung, da personalisierte Angebote und Rabatte die Kaufbereitschaft steigern.
- Automatisierung und technologische Verwaltung: Apotheken setzen verstärkt auf digitale Systeme, um Lagerverwaltung und Verkaufsprozesse effizienter zu gestalten.
Generika und Biosimiliars gewinnen weiter an Bedeutung
In Brasilien müssen Generika mindestens 35 Prozent günstiger sein als die entsprechenden Referenzarzneimittel. In der Praxis sind sie jedoch oft noch preiswerter. Die tatsächliche Ersparnis liege bei durchschnittlich 60 Prozent, meldet der Verband PróGenéricos. Mengenmäßig machen Generika immer noch einen niedrigeren Anteil des Medikamentenverkaufs aus als in reifen Märkten wie den USA oder Deutschland. Doch der Siegeszug preisgünstiger Nachahmerpräparate wird sich fortsetzen, zumal die brasilianischen Generikahersteller ihr Portfolio fortlaufend erweitern.
Brasiliens Markt für Biopharmazeutika wächst überdurchschnittlich stark. Seit der Markteinführung des ersten entsprechenden Medikaments im Jahr 2016, ließ Brasiliens Gesundheitsaufsichtsbehörde Anvisa bisher mehr als 50 Biosimilars für den Markt zu.
Anvisa aktualisiert die Liste der rezeptfreien Arzneimittel ("medicamentos isentos de prescrição" (MIP)) fortwährend. MIP stehen für etwa 23 Prozent des Arzneimittelumsatzes. Weitere 15 Prozent sind Medikamente, die einer vereinfachten Registrierung unterliegen ("notificação simplificada"), sowie Nahrungsergänzungsmittel. Beim Großteil von 62 Prozent des Marktumsatzes handelt es sich um verschreibungspflichtige Medikamente, deren Verpackungen mit einem roten Streifen beziehungsweise einem schwarzen Streifen für kontrollierte Substanzen gekennzeichnet sind.
Deutschland ist zweitwichtigstes Lieferland
Die USA sind Brasiliens wichtigstes Lieferland für Arzneimittel. Im Jahr 2024 kamen sie auf einen Anteil von 17,7 Prozent. Deutschland lag mit 13 Prozent auf Rang 2, gefolgt von der Schweiz (8,3 Prozent), Irland (7 Prozent) und Italien (6,5 Prozent). Zu den Top Ten zählten außerdem Dänemark, China, Indien, Frankreich und Spanien.
Unter den Top Ten hat Deutschland im vergangenen Jahrzehnt am stärksten an Bedeutung verloren. Während Dänemark, Spanien und Irland den Verkauf von Arzneimitteln nach Brasilien mehr als verdreifachten, legten die Importe deutscher Pharmazeutika seit 2014 gerade einmal um 15 Prozent zu.
Aus der Perspektive deutscher Pharmaexporte lag Brasilien 2024 weltweit auf Rang 18. Dabei bezog Brasilien aus Deutschland nur 14 Prozent mehr Arzneimittel als Mexiko, obwohl der Markt mehr als doppelt so groß ist.