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Branchen | Chile | Energiesicherheit- und Preise

Chile will weg von fossilen Energieträgern

Die hohe Einfuhrabhängigkeit bei Rohöl, Erdgas und Kohle erfordert ein Umdenken beim Energiemix in Chile. Deutsche Technologie kann dabei helfen.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

In Chile kennt die Nachfrage nach Primärenergie – abgesehen von der Coronadelle im Jahr 2020 – seit Jahrzehnten nur eine Richtung: nach oben. Allein von 2012 bis 2022 stieg sie um durchschnittlich 2,1 Prozent im Jahr, so die Statistical Review of World Energy von Energy Institute. Von einer Entkopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum, wie sie in Deutschland gelungen ist, ist das Land weit entfernt. 

Gleichzeitig muss der Andenstaat rund 70 Prozent seines Primärenergiebedarfs importieren. Die Preissteigerungen für Gas und Öl in Folge des Ukrainekrieges bekam deshalb auch das Land am Ende der Welt massiv zu spüren. Zudem ist vielen noch die Krise von 2004 in Erinnerung, als Argentinien Chile den Gashahn zudrehte. Vor diesem Hintergrund stellt die Politik den Energiemix grundlegend neu auf. Zudem hat sich das vom Klimawandel stark betroffene Land dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens von 2015 verpflichtet und will bis 2050 kohlenstoffneutral sein.

Mehr als die Hälfte des Stroms aus Erneuerbaren

Seither verfolgen alle Parteien den Ausbau der erneuerbaren Energieträger. Auf Basis der hervorragenden Bedingungen für Wind- und Solarstrom soll Chile zudem mit grünem Wasserstoff nicht nur die eigene Energiewende schaffen, sondern bis 2040 auch zu einem der drei weltgrößten Exporteure in dem Bereich werden, so die nationale Wasserstoffstrategie.

Bei der Stromerzeugung ist Chile auf gutem Weg: Im Jahr 2022 wurde erstmals mehr Strom aus erneuerbaren als aus fossilen Energieträgern gewonnen. Die installierte Leistung an Erneuerbaren bezifferte sich im August 2023 auf 15.139 Megawatt. Davon entfielen allerdings 6.780 Megawatt auf Wasserkraft. Dabei geht auch der Ausbau von Wind- und Solarenergie weiter. Nach Angaben von ACERA, dem Verband der unabhängigen Stromerzeuger aus erneuerbaren Energieträgern, war im September 2023 der Bau von zusätzlichen Anlagen mit einer Gesamtleistung von 33.807 Megawatt bereits genehmigt.

Carnot-Batteriespeicher: In Deutschland erdacht, in Chile umgesetzt

Von den landesweit insgesamt installierten Stromerzeugungskapazitäten von 34.934 Megawatt entfallen derzeit noch knapp 37 Prozent auf thermische Kraftwerke. Doch bis spätestens 2040 will Chile komplett auf Kohlestrom verzichten. Die ersten Anlagen wurden bereits abgeschaltet. Doch nicht nur das: Der Energieerzeuger AES Andes plant im Rahmen des Pilotprojekts Alba, ein bereits stillgelegtes Kohlekraftwerk in einen riesigen Energiespeicher nach dem Prinzip einer Carnot-Batterie umzubauen. Dabei wird Strom in Form von Wärme gespeichert, die dann wieder in Elektrizität umgewandelt werden kann. Derzeit prüft die Umweltbehörde SEA das Vorhaben.

Damit würde die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickelte Technologie weltweit erstmals in dieser Dimension umgesetzt. Als Energiespeicher dient geschmolzenes Salz. "Wenn sich die Technologie bewährt und preislich im Rahmen bleibt, stehen die Chancen gut, dass sie sich zu einem Exportschlager entwickelt", meint Daina Neddemeyer, Projektleiterin der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GIZ) und dort verantwortlich für die Deutsch-Chilenische Energiepartnerschaft.

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Benzin und Diesel verhageln Chiles Energiebilanz

Allerdings entfällt nur knapp ein Viertel des chilenischen Primärenergieverbrauchs auf Strom. Den größten Posten bilden Erdölderivate. 

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Mit Abstand wichtigster Verbraucher ist der Transportsektor und innerhalb dieses Bereichs mit fast 90 Prozent der Automobil- und Lkw-Verkehr. Hier rächt sich die jahrzehntelange Vernachlässigung der Bahn. Züge spielen nur eine minimale Rolle; viele der ohnehin wenigen Strecken sind nicht elektrifiziert.

Letzteres gilt auch für den Automobilsektor: Nach Angaben der Universidad de Santiago wurden im 1. Halbjahr 2023 in Chile nur 780 E-Autos verkauft. Das entspricht weniger als 0,4 Prozent aller Autoverkäufe. Abgesehen vom Preis schreckt potenzielle Kunden das Fehlen von Ladestationen. Hinzu kommen die eher niedrigen Kraftstoffpreise. Diesel beispielsweise kostete laut Internationaler Energieagentur in Chile 2022 im Schnitt 12 Prozent weniger als in Brasilien. 

Dabei hatte die Regierung in Santiago schon im Oktober 2021 eine Elektromobilitätsstrategie verabschiedet und diese 2022 mit dem Gesetz zur Elektromobilität unterfüttert. Ab 2035 sollen leichte und mittelschwere Automobile nur noch als E-Version verkauft werden. Gleiches gilt für alle Bereiche des öffentlichen Transports (Busse, Taxis) und bewegliche Maschinen (etwa im Bergbau).

Fortschritte erzielte Chile in den vergangenen Jahren bei der Elektrifizierung des öffentlichen Busverkehrs in der Region um die Hauptstadt Santiago de Chile. Zudem könnte das zunehmende Engagement chinesischer Firmen beim Abbau von Lithium und dem Aufbau von Batteriewertschöpfungsketten der E-Mobilität in dem Andenstaat künftig Auftrieb verleihen.

Industrie, Bergbau und Bau müssen energieeffizienter werden

Auch in der Industrie, dem Bergbau und Bausektor ist noch viel Luft nach oben. Und die Unternehmen dürfen nicht untätig bleiben, denn das chilenische Energieeffizienz-Gesetz verpflichtet die Sektoren zur Drosselung des Energieverbrauchs um 10 Prozent bis 2030 und um 35 Prozent bis 2050.

Deutsche Firmen haben hier großes Wissen aufgebaut, etwa zur Nutzung von Prozesswärme in der Fertigung oder beim Aufbau von Fern- oder Nahwärmenetzen, im Bereich Kraft-Wärme-Kopplung oder dem Aufbau effizienter Heiz- und Kühlsysteme. Das Potenzial ist groß, etwa in den Zellulosefabriken des Landes, welche sogar Energie zum Kühlen einsetzen, weil sie die Abwärme anders nicht "loswerden“. Darüber hinaus dürften bald Prozesse gefragt sein, die den Ersatz von Gas durch grünen Wasserstoff ermöglichen, sobald dieser in Chile ausreichend hergestellt wird. 

Chiles Strompreise im Vergleich (2022, in US-Dollar pro Megawattstunde) *)
Land

Industrie

Handel

Private Haushalte

Chile

181,56

183,23

166,81

Argentinien

120,74

k.A.

16,76

Brasilien

152,61

177,41

168,47

Ecuador

62,32

103,93

102,88

Deutschland

242,22

k.A.

348,94

* Die IAE hält nur für wenige Länder der Region Daten in vergleichbaren Kategorien bereit; Daten abrufbar unter: https://www.iea.org/data-and-statistics/data-tools/energy-prices-data-explorer?tab=Yearly+pricesQuelle: Internationale Energieagentur (IEA) 2023

Trotz hoher Strompreise bleibt die Energieeffizienz auf der Strecke

Im Gebäudesektor besteht in Chile ein großer Nachholbedarf in puncto Energieeffizienz. Doch die Priorität der meisten Haushalte und Unternehmen liegt woanders. Zuvorderst steht der kurzfristige Preis. Lieber wird zum Beispiel weniger geheizt, als sich mit dem bürokratischen Aufwand auseinanderzusetzen, den eine Heizungsinstallation erfordert. Ein Grund ist jedoch oft auch mangelndes Wissen um die vorhandenen Möglichkeiten – und das Fehlen von Fachpersonal, diese umzusetzen.

 

Branchenvertreter sehen das Haupthemmnis nicht zuletzt in der chilenischen Mentalität. "Sie machen es einfach nicht", sagt Jaime Gomez Marnell, Country Manager von ecoligo in Chile. Was sich nicht in spätestens zwei Jahren amortisiere, werde nicht angeschafft, so die Erfahrung, selbst wenn die Amortisierungszeit fünf Jahre dauere und sich die Anlage rund 20 Jahre nutzen ließe.

 

Mit anderen Worten: Noch fehlt es an attraktiven Angeboten vor Ort, die Nachfrage schaffen würden, und am Personal, das diese Nachfrage dann fachgerecht deckt. Doch die Voraussetzungen waren noch nie so gut wie heute, dass ein Wandel möglich ist. 

Überblickstabelle zu wichtigen Energiemarktindikatoren
 

Chile

Deutschland

Bevölkerung (in Mio., 2022)

19,9 

83,4

Energieproduktion (PJ, 2020) *)

535

4.045

Stromverbrauch (TWh; 2020)

80,7

526,7

Nettoenergieimporte (PJ; 2021) *)

859

7.916

Pro-Kopf-Verbrauch (kWh; 2022)

25.343

40.977

CO2 Emissionen (Mio. t; 2020)

83,9

590,0

Strompreis Industrie (US$/MWh; 2022)

181,6

242,2

Strompreis Endverbraucher (US$/MWh; 2022)

166,8

348,9

* PJ=Petajoule.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023; IEA World Statistics 2023; Our World in data 2023; Portal Energía Abierta (http://energiaabierta.cl) 2023

 

Weiterführende Informationen
BezeichnungAnmerkungen
Statistical Review of World EnergyStatistiken zum Energieverbrauch, zur Energiegewinnung etc. 
Deutsch-Chilenische Energiepartnerschaft 
Estrategia Nacional de ElectromovilidadElektromobilitätsstrategie der chilenischen Regierung
Gesetz über Energieeffizienz 

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