Special | Chile | Start-ups
Was Start-ups in Chile erfolgreich macht
Mit seinem gut entwickelten Ökosystem scheint Chile für Start-ups ein leichter Einstiegsmarkt nach Lateinamerika zu sein. Doch es gibt auch Hürden.
31.07.2025
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
- Risikoaverse Kunden brauchen Referenzprojekte
- Bürokratie und Intransparenz lassen manche verzweifeln
- Was tun, wenn sich der Partner in Chile nicht mehr meldet?
- Geografisch einfach weit weg …
- Mentalitätswandel hilft Start-ups bei Personalsuche
- Unerlässlich: die richtigen Beziehungen
- AHK in vielen Fragen hilfreich
Aufgrund der kulturellen Nähe zu Europa und der großen Affinität zu Deutschland empfiehlt sich Chile als Sprungbrett für deutsche Start-ups nach Lateinamerika. Trotzdem gilt es Einiges zu beachten – angefangen damit, dass Englisch nicht vorausgesetzt werden kann. Wie auch in den Nachbarländern sollte deshalb immer jemand im Team Spanisch verhandlungssicher beherrschen.
Risikoaverse Kunden brauchen Referenzprojekte
Je nach Branche gelten Chiles Firmen als vorsichtige Kunden. Innovationsbereitschaft besteht meist erst dann, wenn die Firmen an ihre Grenzen stoßen. Sie warten lieber ab und lassen andere Unternehmen testen, "ob es funktioniert". Umso entscheidender sind überzeugende Referenzprojekte. Dies gilt insbesondere für den Bergbau, wie etwa die Erfahrungen eines deutschen Start-ups bestätigen, das in Chile mit seiner App zur Digitalisierung von Montageprozessen im Bergbau im Blick hatte. Trotz Präsenz vor Ort, unzähliger Gespräche und niedriger Kosten kam es nie zu einem Abschluss. Einer der Beteiligten führt dies auf die geringe Bereitschaft zurück, Neues auszuprobieren und bevorzugt auf Altbewährtes zurückzugreifen
Keineswegs trivial ist deshalb die Prüfung der Fragen, ob es für das Produkt vor Ort überhaupt einen Markt gibt beziehungsweise wer als Kunde in Frage kommt.
Bürokratie und Intransparenz lassen manche verzweifeln
Viele Unternehmen klagen über ein sehr bürokratisches und intransparentes Umfeld. Während einerseits ein "supercooles und von viel Hilfsbereitschaft geprägtes Klima für Start-ups herrsche", so ein deutscher Unternehmensvertreter, sei oft sehr schwer einzuschätzen, welche Unterlagen für welche Genehmigungsprozesse notwendig sind. Viele Ideen scheitern am Behördenweg. Allein schon die Beschaffung oder Verlängerung der persönlichen Identifikationsnummer RUT kann zum Kraftakt werden. Ohne RUT sind viele Transaktionen in Chile unmöglich. Selbst die Ausreise kann sich schwierig gestalten, musste ein deutscher Start-up-Vertreter erfahren.
Was tun, wenn sich der Partner in Chile nicht mehr meldet?
Erschwerend käme hinzu, dass Chilenen nicht nein sagen könnten. Im Ergebnis fließe viel unnötige Zeit in Follow-ups und Nachfragen. Hartnäckigkeit sei deshalb wichtig. Zugleich falle es schwer, den Zeitpunkt festzustellen, an dem es keine Perspektive mehr gebe. Antwortet der potenzielle Kunde nicht, weil er es vergessen oder gerade sehr viel zu tun hat, oder ist sein Interesse tatsächlich erloschen?
Geografisch einfach weit weg …
Ein Malus ist die abgelegene geografische Lage – etwa im Vergleich zu Kolumbien, das mitten in Südamerika liegt. Beispielsweise denken Investoren in den USA, die in Lateinamerika investieren, grundsätzlich zuerst an Mexiko – und dann weiter Richtung Süden. Von den USA dauert ein Flug nach Chile mindestens zehn Stunden (je nach US-Standort), nach Kolumbien nur etwa die Hälfte. Genauso gibt es zwar von Frankfurt aus Direktflüge nach Bogotá, nach Santiago de Chile müssen Reisende indessen mindestens einmal umsteigen.
Doch trotz aller Herausforderungen gibt es eine ganze Reihe deutscher Start-ups, die sich in Chile erfolgreich etablieren konnten.
Erfolgreiche Start-ups in Chile mit deutschem Hintergrund
Ineratec: Das 2016 gegründete und 2018 mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnete Karlsruher Unternehmen baut Anlagen für synthetische Treibstoffe, sogenannte E-Fuels. 2024 konnten die Karlsruher den chilenischen Kraftstoffhändler Copec als Großinvestor mit rund 1,5 Millionen Euro gewinnen. Ziel ist die gemeinsame Herstellung von synthetischen E-Fuels in Chile für den lokalen Markt und für den Export.
Ineratec profitierte auf seinem Weg nach Chile speziell von der Energy Challenge Germany im Rahmen der Energie-Partnerschaft Chile-Deutschland. "Ineratec war 2022 unter den drei Gewinnerteams unserer Energy Challenge Germany", so Annika Schüttler von der AHK Chile. "Der Preis war 2023 die kostenlose Teilnahme an unserem Acceleration-Programm einschließlich 13 Business-to-Business-Terminen vor Ort. Unter anderem haben wir Ineratec zu Copec begleitet." Hilfreich war außerdem die Teilnahme am vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützten Programm H2Upp. "Die Unterstützung der GIZ in jedem Schritt – auch bei er Antragstellung – war für uns sehr positiv. H2Upp gab uns Gelegenheit, Chile kennenzulernen und unsere Möglichkeiten zu analysieren", erinnert sich Samantha Michaux von Ineratec.
Ecoligo, 2016 in Berlin gegründet und seit 2000 in Chile aktive Crowdfounding-Plattform für die Installation von Solarpanels, vorwiegend für landwirtschaftliche Betriebe, aber auch Gewerbe und neuerdings Bildungseinrichtungen wie Universitäten; hat in Chile bisher circa 40 Projekte betreut mit einem Durchschnittsvolumen von rund 300.000 Euro. Zum Investitionsklima für deutsche Start-ups in Chile meint Jaime Andrés Gómez, der lokale Geschäftsführer: "Wir haben uns hier nie als Start-up begriffen, sondern immer als Filiale einer deutschen Firma. Aber für eine deutsche Firma zu arbeiten, hat mich immer mit Stolz erfüllt – denn man ist von Vorneherein gut angesehen."
Recorrido, 2013 von vier Deutschen gegründete Busticket-Plattform, die Busfernreisen in Chile deutlich transparenter macht und inzwischen auch in weiteren Ländern in Lateinamerika agiert. Bei einer Umfrage der Tageszeitung La Tercera landete Recorrido aus dem Stand auf Platz 16 unter den am meisten nachgefragten Verkaufskanälen.
Weitere deutsche Start-ups auf dem chilenischen Markt sind Pedidos Ya! und Greenventory.
Mentalitätswandel hilft Start-ups bei Personalsuche
Auch die Suche nach Personal dürfte in Chile etwas einfacher geworden sein. Wie ein Vertreter der renommierten Universidad Católica feststellte, streben die Absolventen nicht mehr wie noch vor wenigen Jahren ausnahmslos in die etablierten Konzerne. Im Gegenteil: Gegenwärtig gelte es unter vielen als "cool", in einem innovativen Start-up etwas zur Veränderung der Welt beizutragen. Dabei hilft, dass es in der Gesellschaft wenig Angst gibt, zu scheitern. Wer scheitert, muss keine soziale Diskriminierung fürchten.
Für erfahrenere Kräfte bleibt jedoch oft nichts anderes, als sie anderswo abzuwerben.
Unerlässlich: die richtigen Beziehungen
Eine Herausforderung, der Start-ups weltweit gegenüberstehen, ist: Beziehungen sind oft entscheidend. Das gilt umso mehr für das kleine Chile. Wenn die Start-up-Gründer aus sozial benachteiligten Schichten kommen, bleiben sie oft unterfinanziert, weil ihnen die Kontakte zu den "richtigen" Leuten fehlen, während solche, deren Gründer aus den richtigen Gesellschaftsschichten stammen, es erheblich leichter haben. Dies gilt umso stärker, da Privatinvestoren in den letzten Jahren deutlich vorsichtiger geworden sind.
Abhilfe will hier die Fundación EtM (www.emprendetumente.org; zu Deutsch: "bediene dich deines Verstandes!") schaffen. Sie will kleine Start-ups mit finanzkräftigen Partnern zusammenzubringen und so "unwahrscheinliche", aber fruchtbare Paarungen vermitteln. Hierfür veranstaltet sie mit Unterstützung von Corfo regelmäßig große Netzwerkveranstaltungen.
Name | Anmerkungen |
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EtMDay | Organisator: EtM (Emprende tu mente); jährliche Matchmaking-Veranstaltung; nächster Termin: 20.- 22.11.25 |
Chile Fintech Forum | Organisator: Asociación de Fintech Chile; letzter Termin: 13.-14.05.25; 2026 noch offen |
Innovationszirkel der AHK-Chile | Monatliche Treffen von Start-ups, interessierten Unternehmen, Acceleratoren und deutschen Experten |
Made Inn Conce | Organisator: UDD Ventures, Inkubator der Universidad de Desarrollo in Concepción (abgekürzt "Conce"), wichtigste jährliche Veranstaltung in Südchile; Termin für 2026 noch offen |
El Ecosistema Start up | Organisator: private Beratungsfirma, die wöchentlich kleine Events für Start-ups veranstaltet |
AHK in vielen Fragen hilfreich
Umgekehrt kann es aber "superschnell" gehen, "wenn man an den richtigen Stellen platziert wird", sagt Tim Boeltken, CEO des Karlsruher Start-ups Ineratec. "Für uns war die Kombination aus AHK mit einer Teilnahme an der Energy Challenge Germany und unserem lokalen Partner Ferrostaal Chile der Schlüssel." Auch im Nachlauf erlebte er die AHK als hilfreiche Anlaufstelle, etwa bei der Suche nach bestimmten Expertinnen und Experten oder einem Anwalt. Vom Erstkontakt bis zur Millioneninvestition durch die chilenische Copec hat es dann nur anderthalb Jahre gedauert.
Auch in anderen Fragen, etwa bei der Personalsuche oder der richtigen Rechtsform für den Markteintritt, kann die AHK mit ihrem Netzwerk helfen. Ratsam ist dabei die Hinzuziehung eines kompetenten Anwalts- beziehungsweise Steuerberatungsbüros, zumal zwischen Chile und Deutschland kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht. Auch hier kann die AHK Chile mit einer entsprechenden Liste weiterhelfen.
Tipp
Ohne Vor-Ort-Recherche geht nichts, dabei:
- genau prüfen, ob die Geschäftsidee zu Chile passt – und wenn nicht, ob sie entsprechend angepasst werden kann, und
- bestehende Netzwerke und Unterstützungsangebote nutzen!
Name | Kurzbeschreibung |
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Markterkundungsreisen | Die AHK Chile organisiert regelmäßig Markterkundungsreisen für deutsche Start-ups nach Chile und umgekehrt; Ansprechpartnerin: Annika Schüttler (aschuttler@ahkchile.cl) |
Energy Challenge Germany & Chile (Link ab November 2025 verfügbar; im Rahmen der Energy Partnership Chile Alemania)
| Organisatoren: u.a. AHK Chile, Bayerische Repräsentanz für Südamerika, GIZ Chile Zielgruppe: Start-ups in Deutschland und Chile, die Lösungen zur Energiewende anbieten |
Green Tech Challenge ab 2026 | Organisatoren: u.a. AHK Chile, Bayerische Repräsentanz für Südamerika Zielgruppe: Start-ups in Deutschland und Chile, Fokus auf Umwelttechnologie und -dienstleistungen; Ansprechpartner: Yannic Weiss (yweiss@ahkchile.cl) Link auf Veranstaltung voraussichtlich ab November 2025 verfügbar |
OktoberINVESTfest
| Informationsveranstaltung der Bayerischen Repräsentanz für Südamerika Ziel: Anbahnung von Venture Capital-Kooperationen für Hightech-Start-ups; nächster Termin: 23.10.25; Ansprechpartnerin: Pamela Valdivia (pvaldivia@bayern-chile.cl) Link auf Veranstaltung voraussichtlich ab September 2025 verfügbar |
Falling Walls Science Summit | Falling Walls | Plattform für innovative Ideen von wissenschaftsbasierten Start-ups; organisiert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) in Zusammenarbeit mit Partnern; jüngste Veranstaltung in Chile 11.06.25 |
German Accelerator (South America) | Sitz: Buenos Aires (Argentinien) Ziel: Vernetzung der deutschen Start-up-Szene mit Südamerika |