Special | China | KI-Strategie
China nutzt KI als Schlüsseltechnologie
China setzt auf künstliche Intelligenz auf dem Weg zur industriellen Weltspitze. Dabei schafft der Staat notwendige Freiräume, ohne seinen Kontrollanspruch aufzugeben.
03.11.2025
Von Corinne Abele | Shanghai
China betrachtet künstliche Intelligenz (KI) als zentrale Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur industriellen Weltspitze bis 2049. Seit das Land 2017 das Entwicklungsprogramm für die neue KI-Generation auf den Weg gebracht hat, hat es die Grundlagenforschung, Infrastruktur sowie technologische Entwicklung in Bezug auf KI vorangetrieben, Regularien und Fördermaßnahmen kontinuierlich angepasst sowie regionale KI-Cluster und einen Talentpool aufgebaut. Shanghai zählt dabei zu Chinas führenden KI-Clustern mit alleine rund 60 registrierten großen Sprachmodellen (Large Language Model, LLM).
Künstliche Intelligenz nach Plan
Die Regierung fördert eine kontrollierte, aber rasche Anwendung von KI in der Industrie, Logistik, Bildung und Verwaltung. Konkrete Umsetzungspläne für Industrie und Gesellschaft stehen daher im Mittelpunkt der staatlichen Planer. Die KI-Regulierung erfolgt zügig – mit verbindlichen Vorgaben zu Sicherheit, Kennzeichnung und nationalen Standards. Dadurch soll staatliche Kontrolle einerseits und ein zuverlässiges Innovationsumfeld andererseits sichergestellt werden.
China schafft dabei sein eigenes KI-Ökosystem, mit chinaspezifischen Anwendungen, setzt sich aber auch für ein globales KI-Governance-System ein. Chinesische Entwickler generativer KI (GenAI) setzen auf Open-Source-Ansätze – so auch DeepSeek, Chinas aktuell prominentestes LLM. Dies beschleunigt deren Verbreitung in staatlichen und privaten Sektoren.
Im 15. Fünfjahresplan (2026–2030), dessen Grundzüge im Herbst 2025 bekannt werden dürften, soll KI eine Schlüsselrolle einnehmen. Das 2025 veröffentlichte KI+-Aktionsprogramm verfolgt drei Phasen: Bis 2027 wird KI in sechs Bereichen – Wissenschaft, Industrie, Konsum, allgemeiner Wohlstand, Verwaltung und globaler Zusammenarbeit – integriert. Bis 2030 soll KI dann in 90 Prozent der Endgeräte und Anwendungen – etwa in Smartphones, Smart Homes, industriellen Systemen, Gesundheitsdiensten, Bildungstechnologien und Verwaltungsprozessen – zum Einsatz kommen, um ab 2035 eine smarte Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen. Die Zentralregierung gibt die Richtung vor, Industrieverbände und Regionalregierungen folgen. Dabei geht es sowohl um industrielle Effizienz als auch gesellschaftliche Optimierung und Kontrolle.
Förderung auf nationaler und regionaler Ebene
Der öffentliche Sektor investiert viel in die KI-Förderung, laut einem Bericht der Bank of America summieren sich die Ausgaben im Jahr 2025 auf insgesamt rund 54 Milliarden Euro. Damit steht China an der Spitze der Staatsausgaben für KI. Entsprechende Programme stehen prinzipiell auch ausländischen Unternehmen offen. Der 2025 gegründete Staatsfonds für die KI-Industrie umfasst 60,06 Milliarden RMB (rund 7,2 Milliarden Euro) bei 13 Jahren Laufzeit. Beteiligt sind staatliche Banken; Fondmanager ist die Guizhitou Private Fund Management mit staatlich kontrollierten Anteilseignern.
Verschiedene weitere Fonds treiben die Entwicklung verschiedener KI-Cluster voran, darunter der Shanghai Pioneer AI Fund (rund 2,7 Milliarden Euro), der Shenzhener Fonds für KI und Robotik (rund 1,2 Milliarden Euro) und acht weitere Industriefonds in Peking (mit je mindestens umgerechnet 1,2 Milliarden Euro) unter anderem für KI, Robotik, Informationstechnologie sowie intelligente Fertigung. Ergänzt werden sie durch weitere regionale Förderprogramme im ganzen Land. Experten warnen jedoch bereits vor einer neuen KI-Blase.
"Die Beschränkungen beim Zugang zu modernsten Chips zwingen China geradezu, schneller aufzuholen."
Daniel Yoo ist Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) in Shanghai.
Warum ist das Thema künstliche Intelligenz (KI) in China so wichtig?
Aufgrund der großen disruptiven Kraft ist KI in China von besonderer Bedeutung. Daher stand unser 14. VDMA Summit im September 2025 in Shanghai unter dem Motto "KI im Maschinenbau – von der Maschine zum smarten System". China geht sehr schnell voran. In der Industrie ist die aktuelle Aufgabe, praxistaugliche KI-Lösungen zu identifizieren und zu erproben. Die Anwendungen reichen von Steigerung der Prozesseffizienz über Marketing und Standardisierung bis hin zu Themen wie Predictive Maintenance. In China ist davon vieles möglich.
Wie können deutsche Maschinenbauer vom KI-Ökosystem im Land profitieren?
Vor dem Hintergrund von Lokalisierungsbestrebungen und geopolitischen Einflüssen im KI-Bereich müssen Unternehmen in China zunehmend mit regionalen Lösungen arbeiten. Ein Drittel unserer VDMA-Mitglieder ist bereits vor Ort investiert und unterhält lokale Fertigungsstätten. Diese Unternehmen beliefern den chinesischen Markt und sollten sich daher aktiv damit auseinandersetzen, wie sie das sich schnell entwickelnde KI-Ökosystem für sich nutzbar machen können.
Ein vielversprechendes Beispiel ist der Bereich "Physical AI", also die Verschmelzung von KI mit Robotik und Maschinen. Hier investiert die chinesische Industrie massiv Ressourcen. Besonders bemerkenswert ist, dass viele chinesische KI-Start-ups ausdrücklich an einer Zusammenarbeit mit europäischen Maschinenbauern interessiert sind. Konkret sollten deutsche Maschinenhersteller Kooperationen mit solchen innovativen Start-ups eingehen und prüfen, welche Synergien sie für ihr eigenes Unternehmen entwickeln können. Dies wird meiner Einschätzung nach mittel- bis langfristig notwendig sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welche Herausforderungen bestehen?
Eine grundlegende Frage ist, ob KI tatsächlich das disruptive Potenzial entfalten wird, das wir ihr heute zuschreiben. Selbst die führenden Unternehmen in diesem Feld geben zu, dass bislang kaum tragfähige Geschäftsmodelle existieren. Es wird also viel investiert, aber noch wenig verdient.
Weiter gibt es viele Sicherheitsbedenken. Datentransfer und Datenhoheit spielen eine entscheidende Rolle. Ebenfalls wichtig ist Nachhaltigkeit. Insbesondere große KI-Modelle zu trainieren, erfordert gewaltige Energiemengen. Es ist zwingend erforderlich, Lösungen für eine energieeffizientere und nachhaltigere Nutzung von KI zu finden.
Und dann kommt aus chinesischer Perspektive eine ganz spezifische, geopolitische Herausforderung hinzu: die Beschränkungen beim Zugang zu modernsten Chips und Halbleitertechnologien. Diese zwingen China geradezu, schneller aufzuholen und eigene, innovative Lösungen zu finden. In diesem Sinne sind die größten Herausforderungen auch die stärksten Motivatoren.
Standardisierung: Strategie und Treiber
China treibt die Standardisierung im KI-Bereich strategisch voran. Sie soll Risiken minimieren, Interoperabilität und Steuerung industrieller Anwendungen unterstützen und auch den globalen Einfluss stärken; internationale Zusammenarbeit ist erwünscht. Bis September 2025 hat China bereits 30 nationale KI-Standards veröffentlicht, weitere 84 befinden sich laut der staatlichen Behörde für Marktüberwachung (SAMR) in Arbeit. Sie betreffen Software, Hardware, Schlüsseltechnologien, Branchenanwendungen und Sicherheit. Auch in Bereichen wie autonomes Fahren und Robotik treibt Peking Standards voran: Seit 2021 wurden 126 Standards für Robotik entwickelt, 15 weitere für humanoide Roboter sind in Vorbereitung.
Das wachsende Regelwerk für KI-Algorithmen, -Anwendungen sowie Data Labeling stellt ausländische Unternehmen vor Herausforderungen. So kooperieren deutsche Firmen häufig mit chinesischen Firmen bei der Fahrzeugentwicklung, beim autonomen Fahren und der intelligenten Fertigung. Bei der grenzüberschreitenden Datenübertragung müssen sie jedoch nachteilige strenge Vorgaben der chinesischen Datenschutzgesetze beachten – darunter das Datenschutzgesetz und das Gesetz zum Schutz persönlicher Informationen. Hinzu kommt Chinas wachsende Ausfuhrkontrolle, die auch Algorithmen treffen kann.
China bei KI-Patenten und -Talenten vorne
Neben den USA ist China zweifellos der wichtigste KI-Player, wobei die Anzahl veröffentlichter Patente nur als Indikator dienen kann. Seit 2017 hat China gemäß eines Berichts der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) von 2024 im Bereich GenAI jedes Jahr mehr Patentfamilien veröffentlicht als alle anderen Länder zusammen. Sechs der zehn Top GenAI-Patentanmelder weltweit sind in China ansässig: fünf Unternehmen sowie die chinesische Akademie der Wissenschaften. Die Liste der Top Ten Forschungseinrichtungen für GenAI-Patentanmeldungen weltweit dominieren acht chinesische Universitäten und Institute.
China und die USA liefern sich ein technologisches Wetteifern, bei dem künstliche Intelligenz auch eine zentrale Rolle spielt. So beschränken die USA den Export von Chiptechnologie nach China, was zu Engpässen bei KI-Chips führt. China wiederum beschränkt die Ausfuhr von Seltenen Erden, die für die Chipproduktion essenziell sind.
Wie Dongbi Technology Data und die United Nations Industrial Development Organization in einem gemeinsamen Bericht auf der Global Digital Economy Conference 2025 in Peking im Juli 2025 veröffentlichten, stieg die Anzahl der KI-Forscher von 10.000 im Jahr 2014 auf 52.000 im Jahr 2024. Die USA und China stellen laut dem Bericht 60 Prozent der globalen KI-Forschungstalente. Allerdings ist die Fluktuationsrate von KI-Fachkräften zwischen Hochschulen und Unternehmen in China deutlich geringer als in den USA. Dies soll künftig verbessert werden.