Wirtschaftsumfeld | Indien | Wirtschaftsstruktur
Indien strebt Wandel der Wirtschaftsstruktur an
Der riesige Markt lockt auch deutsche Firmen an. Die Regierung versucht, die industrielle Wertschöpfung zu steigern.
13.10.2025
Von Florian Wenke | Mumbai
Indien hofft, als großer Sieger aus dem Wettstreit um Investitionen im Zuge der Verlagerung von Lieferketten hervorzugehen. Das Land möchte ein globales Produktionszentrum werden.
Es werden Millionen Arbeitsplätze abseits der Subsistenzlandwirtschaft benötigt, um die junge, aufstiegsorientierte und wachsende Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen. Eine weitere Mammutaufgabe ist der Wandel des Landes zu Klimaneutralität. Dieses Ziel möchte Indien bis 2070 erreichen.
Die mit dem Bevölkerungswachstum einhergehende Welle der Urbanisierung wird Indien ebenfalls prägen. Momentan leben etwas mehr als ein Drittel der Menschen in Städten. Laut den Vereinten Nationen sollen es bis 2030 rund 40 Prozent sein. Dafür sind große städtebauliche Maßnahmen nötig, die Themen wie Transport und Nahverkehr, aber auch Bauwirtschaft und Wasserversorgung betreffen.
Ausführliche Informationen zur indischen Wirtschaft finden Sie in den Wirtschaftsdaten kompakt.
Die Marktgröße bietet deutschen Unternehmen Vorteile
Regelmäßig befragen die Deutsche Industrie- und Handelskammer und die Auslandshandelskammern (AHK) deutsche Unternehmen zur Einschätzung der Lage in Auslandsmärkten. Die Ergebnisse werden im World Business Outlook veröffentlicht. In der Ausgabe für Frühjahr 2025 schätzen die befragten Unternehmen die aktuelle Geschäftslage und die zukünftigen Geschäftserwartungen für Indien deutlich besser ein als für die gesamte Region Asien-Pazifik (ohne China).
Im Gespräch häufig genannte Gründe für die positiven Erwartungen an Indien sind die Marktgröße sowie die Nähe zum Kunden. Kostenvorteile gehören ebenfalls zu den Punkten, die deutsche Unternehmen an Indien schätzen.
Anlässlich eines Besuches im Oktober 2025 äußerte sich Oliver Richtberg, Leiter Außenwirtschaft VDMA, zum Standort:
„Die Entwicklung in Indien bleibt dynamisch und die Nachfrage nach Investitionsgütern weiterhin hoch. Nahezu alle wichtigen Kundenbranchen sowie der Maschinenbau selbst investieren verstärkt im Land. Zahlreiche VDMA-Mitglieder prüfen derzeit mögliche neue Geschäftschancen, die sich daraus ergeben können.“
Allerdings gibt es auch andere Stimmen: Die lähmende Bürokratie ist einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte beim Gespräch mit Unternehmensvertretern. Im German-Indian Business Outlook 2025 der AHK Indien sind bürokratische Hürden der am häufigsten genannte negative Standortfaktor. Hinzu kommt eine mangelnde Berechenbarkeit der Verwaltung – oft werden Vorschriften oder Subventionsverfahren direkt nach Inkrafttreten wieder geändert. Außerdem existieren Verfahrensprobleme. So kann nicht immer damit gerechnet werden, dass den zuständigen Ansprechpartnern außerhalb von Metropolen die aktuellen Verwaltungsverfahren bekannt sind. Die Lücke zwischen geltenden Regelungen und der konkreten Umsetzung kann in Indien groß sein. Daher ist es wichtig, sich vorab genau zu informieren und mit vertrauenswürdigen lokalen Partnern zusammenzuarbeiten.
Indien strebt stärkere Industrialisierung an
Der Agrarsektor beschäftigt zwar das Gros der Arbeitskräfte, trägt laut Weltbank aber nur 16 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Der Dienstleistungssektor dominiert die Wirtschaft mit einem BIP-Anteil von etwa 50 Prozent. Ziel der Regierung ist die Stärkung des verarbeitenden Gewerbes. Bisher steuert dieses lediglich etwa 14 Prozent zum BIP bei, mit sinkender Tendenz. Das Regierungsziel liegt bei 25 Prozent.
Sektoren | Anteil an Bruttowertschöpfung 2024/2025 | Anteil an den Beschäftigten 2024/20251) |
---|---|---|
Finanzdienstleistungen, Immobilienwirtschaft und sonstige Dienstleistungen | 22,9 | 12,62) |
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 17,9 | 32,6 |
Handel, Transport, Telekommunikation und Gastgewerbe | 17,5 | 23,1 |
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung | 14,5 | 5,4 |
Verarbeitendes Gewerbe | 13,9 | 10,7 |
Baugewerbe | 8,8 | 14,53) |
Energieversorgung (inklusive Gas- und Wasserversorgung) | 2,7 | 0,4 |
Bergbau | 1,8 | 0,3 |
Unter dem Schlagwort "Atmanirbhar Bharat" (frei übersetzt: Wirtschaftlich unabhängiges Indien) will die Regierung die Industrieproduktion im Land stärken und unabhängiger von Importen werden. Mit den lokal hergestellten Gütern soll der Binnenmarkt versorgt werden. Gleichzeitig hofft Indien, auch als Standort für exportorientierte Unternehmen attraktiver zu werden. Dafür strebt Indien bessere Exportbedingungen durch Handelsabkommen an. Derzeit verhandelt das Land unter anderem mit den USA und der EU. Bis Ende 2025 oder 2026 dürften hier Übereinkommen erzielt werden. Mit dem Vereinigten Königreich und den Staaten der European Free Trade Association (EFTA) gelangen 2025 Einigungen. Zudem werden Importe teils durch Zölle, vor allem aber durch nicht tarifäre Handelshemmnisse unattraktiver gemacht.
Die Automobilbranche ist ein Wachstumsmotor. Hinzu kommt eine leistungsfähige chemische Industrie mit der auf Generika spezialisierten Pharmabranche als Teilbereich. Der Maschinenbau wächst ebenfalls. Zusätzlich gewinnt Indien im Bereich der Elektronikfertigung rapide an Bedeutung und ist zudem dabei, in die Halbleiterproduktion einzusteigen.
Deutlich stärker als die Industrie ist in den vergangenen Jahren der exportstarke Dienstleistungssektor gewachsen. Indien ist ein wettbewerbsfähiger Standort für IT-Dienstleistungen. Firmen setzen branchenübergreifend immer häufiger auf digitale Forschungs- und Entwicklungszentren im Land oder lassen gleich ganze zentrale unternehmensinterne Dienstleistungen für alle Standorte von sogenannten Global Capability Center erbringen. Auch als Standort der Datenverarbeitung wird Indien durch die Ansiedlung von Rechenzentren wichtiger.
Regionale Unterschiede sind ausgeprägt
Die Landesteile sind gekennzeichnet durch wirtschaftliche Uneinheitlichkeit. Der Süden, der Westen und die Hauptstadtregion New Delhi sind tendenziell stärker industrialisiert und wohlhabender als der Rest des Landes.
Deutsche Unternehmen siedeln sich vornehmlich in Regionen rund um Mumbai, Pune, Bangalore, Chennai sowie New Delhi an. Insbesondere die Automobilindustrie, aber auch der Maschinenbau haben dort ihre Zentren. Bedeutende Regionen sind zudem traditionelle Wirtschaftszentren wie Kolkata und die immer wichtiger werdenden Bundesstaaten Gujarat und Telangana.
Bundesstaat/Unionsterritorium | Anteil am BIP | BIP pro Kopf 1) | Bevölkerung (in Mio.)2) |
---|---|---|---|
Maharashtra | 13,7 | 4.233 | 128 |
Tamil Nadu | 9,4 | 4.826 | 77 |
Uttar Pradesh | 9,0 | 1.486 | 239 |
Gujarat | 8,1 | 4.361 | 73 |
Karnataka | 8,7 | 5.041 | 68 |
Westbengalen | 5,5 | 2.172 | 100 |
Rajasthan | 5,2 | 2.472 | 82 |
Madhya Pradesh | 4,5 | 2.037 | 88 |
Andhra Pradesh | 4,8 | 3.561 | 53 |
Telangana | 5,0 | 5.112 | 38 |
New Delhi | 3,7 | 6.605 | 22 |
Haryana | 3,7 | 4.712 | 31 |
Bihar | 3,0 | 914 | 130 |