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Wirtschaftsumfeld | Iran | Konjunktur

Politische Konflikte lassen Rezessionsrisiko steigen

Die Chancen für eine Lockerung der US-Sanktionen sind weiter gesunken. Zusätzlich leidet Irans Wirtschaft nun unter den Repressionen zur Unterdrückung der politischen Proteste.

Von Robert Espey | Dubai

Die derzeit vorliegenden Prognosen zur mittelfristigen Entwicklung der iranischen Wirtschaft gehen auch bei einem Fortbestand der US-Sanktionen nicht von einer Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Doch berücksichtigen die aktuellen Vorhersagen weder die Auswirkungen der seit Mitte September 2022 anhaltenden landesweiten Proteste noch die Folgen einer möglichen Eskalation im Atomstreit.

Wachstum schwächt sich ab

Die im Oktober 2022 veröffentlichte Vorhersage des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist gegenüber der Frühjahrsprognose unverändert geblieben. Für das laufende Jahr 2022/2023 (iranisches Jahr 1401: 21. März 2022 bis 20. März 2023) kalkuliert der IWF mit einem realen BIP-Plus von 3 Prozent. Im folgenden Fünfjahreszeitraum 2023/2024 bis 2027/2028 wird mit Zuwächsen von jeweils 2 Prozent gerechnet.

Die Weltbank hat jüngst ähnliche Zahlen präsentiert, war aber im Frühjahr noch deutlich optimistischer. Die im September präsentierten Prognosen der Economist Intelligence Unit (EIU) rechnen für 2022/2023 mit einem Wachstum von 3,2 Prozent, für 2023/2024 mit 2,3 Prozent.

Die iranische Statistikbehörde weist für das vergangene Jahr 2021/2022 ein BIP-Wachstum von 4,3 Prozent aus (2020/2021: 1 Prozent). Die steigende Öl- und Gasförderung leistete dazu einen wesentlichen Beitrag. Den offiziellen Angaben zufolge expandierte der Sektor um 9,7 Prozent, die anderen Wirtschaftsbereiche erzielten nur ein Plus von 3,5 Prozent.

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Die vorläufigen Daten für das 1. Quartal 2022/2023 (21. März bis 20. Juni 2022) zeigen ein verändertes Bild. Der im genannten Zeitraum gegenüber der Vorjahresperiode erzielte BIP-Anstieg um 3,8 Prozent wurde nicht mehr vom Öl- und Gassektor getragen. Die Öl- und Gasförderung konnte nur noch um 1,1 Prozent zulegen, gegenüber dem 4. Quartal 2021/2022 ergab sich sogar ein Rückgang um 2 Prozent.

Wachstumsimpulse kamen vor allem aus der verarbeitenden Industrie (+5,1 Prozent im Vergleich zum 1. Quartal 2021/2022) und dem Dienstleistungsgewerbe (+3,9 Prozent). Der Bausektor schrumpfte um 3,9 Prozent, die Landwirtschaft um 0,8 Prozent.

Ölexporte werden wieder schwieriger

Die Ausweitung der Ölförderung war 2021/2022 vor allem das Ergebnis einer zunehmenden Bereitschaft chinesischer Raffinerien, trotz noch geltender US-Sanktionen mehr iranisches Öl zu importieren. Das Risiko amerikanischer Sanktionen erschien relativ gering angesichts der erwarteten Sanktionslockerung nach einer Einigung zwischen Washington und Teheran über die Reaktivierung des Atomvertrages.

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Mittlerweile hat sich aber die Lage verändert. Die Verhandlungen über den Atomvertrag liegen gegenwärtig auf Eis und ein endgültiges Scheitern ist nicht mehr auszuschließen. Zudem tritt in China jetzt verbilligtes russisches Öl in Konkurrenz zu Öl iranischer Herkunft.

Nach den in den USA am 8. November 2022 stattfindenden Kongresswahlen (Midterm Elections) wird eine Wiederaufnahme der Atomverhandlungen erwartet. Der Optimismus, zu einem positiven Abschluss zu kommen, scheint allerdings derzeit sehr gedämpft zu sein.

Eine Reaktivierung des Atomabkommens würde Iran eine starke Ausweitung der Ölexporte ermöglichen. Kommt keine Einigung zustande, dürfte Washington den Druck auf Irans Abnehmer von Öl und petrochemischen Erzeugnissen spürbar erhöhen. Als Folge könnten die iranischen Ölausfuhren wieder auf ein sehr niedriges Niveau fallen.

Internetrestriktionen treffen Wirtschaft hart

Zu den Maßnahmen der iranischen Regierung zur Unterdrückung der weiterhin starken Protestbewegung gehören die Abschaltung oder Verlangsamung des Internets sowie weitere Blockierungen ausländischer Kommunikationsplattformen (WhatsApp, Instagram etc.). Die in Iran übliche Umgehung der Internetzensur durch VPN (Virtual Private Network) wird weiter erschwert.

Insbesondere für viele Dienstleistungssektoren bedeuten die Internetrestriktionen eine starke Einschränkung ihrer Geschäftsaktivitäten. Onlinehändler sprechen von Umsatzrückgängen zwischen 50 und 100 Prozent. Auch alle anderen Wirtschaftszweige leiden unter der Behinderung der Kommunikation mit Lieferanten und Kunden. Telefon und Fax erleben eine Renaissance.

Social Media werden in Iran stark für geschäftliche Aktivitäten eingesetzt. Gemäß einer Erhebung der Statistikbehörde nutzen 57 Millionen der 84 Millionen Iraner WhatsApp, 44 Millionen Instagram und 43 Millionen Telegram. Diese Apps sind jetzt in Iran blockiert. Im E-Commerce spielt Instagram eine wichtige Rolle. Der Großteil des Taxigewerbes wird über Apps (Snapp etc.) abgewickelt.

Rezession und steigende Arbeitslosigkeit würden Konflikte verschärfen

Bei einer stagnierenden oder schrumpfenden Ölproduktion in Verbindung mit einer anhaltenden Schwächung anderer Wirtschaftssektoren müssten die BIP-Prognosen nach unten korrigiert werden. Für 2023/2024 wäre eine Verlangsamung des BIP-Wachstums auf unter 2 Prozent zu erwarten. Auch eine Rezession könnte nicht ausgeschlossen werden.

Eine Verschlechterung der ohnehin kritischen Arbeitsmarktlage würde die Protestbereitschaft breiter Bevölkerungsschichten voraussichtlich weiter erhöhen. Ein immer gewaltsameres Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende wäre zu befürchten.

Hohe Kaufkraftverluste erzeugen sozialen Sprengstoff

Neben der Gewalt gegen Frauen werden die Proteste in Iran vor allem von der zunehmenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten angeheizt. Die seit 2018/2019 rasant gestiegene Inflation hat zu massiven Kaufkraftverlusten geführt. Offiziellen Zahlen zufolge stieg die Teuerungsrate in den städtischen Regionen 2018/2019 auf 26,6 Prozent, 2021/2022 waren es fast 40 Prozent. Für den Monat Shahrivar (August/September) wird 2022 ein Preisanstieg gegenüber dem Vorjahresmonat von 48,4 Prozent gemeldet, die Lebensmittelpreise zogen um 76,1 Prozent an.

Die offizielle Arbeitsmarktstatistik gibt für das 2. Quartal 2022/23 (21. Juni bis 20. September 2022) die Zahl der Arbeitslosen in der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen mit 1,6 Millionen an und die entsprechende  Arbeitslosenquote mit 16,2 Prozent. Die offiziellen Arbeitslosenquoten zeichnen aber ein verzerrtes, geschöntes Bild der tatsächlichen Arbeitsmarktsituation, weil 59 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren (entspricht 37,6 Millionen von 63,7 Millionen Personen) nicht zur Erwerbsbevölkerung (Erwerbstätige und aktiv Arbeitssuchende) gezählt werden.

Gemäß Statistik gingen im 2. Quartal 2022/2023 rund 23,8 Millionen Personen einer abhängigen oder selbstständigen Beschäftigung nach. Dies entsprach einer Erwerbstätigenquote von nur 37 Prozent.

EU verhängt neue Iran-Sanktionen

Als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen der iranischen Sicherheitskräfte gegen Demonstrierende und die weiteren schweren Einschränkungen des Internetzugangs hat die EU am 17. Oktober 2022 Sanktionen gegen elf Personen und vier Organisationen des Sicherheitsapparats verhängt. Weitere EU-Sanktionen sind wegen der iranischen Lieferungen von Drohnen an Russland in Vorbereitung. Dem Vernehmen nach sind Strafmaßnahmen gegen den Hersteller der Drohnen, Shahed Aviation Industries, sowie zwei für das Drohnenprogramm verantwortliche Militärs und einen Revolutionsbrigadisten geplant. 

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