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Trotz Ladeboom bleiben Hürden für Kanadas Elektromobilität
Die Ladeinfrastruktur wächst, doch die E-Auto-Nachfrage bleibt hinter den Zielen zurück. Technologiegetriebene Start-ups wie Voltra setzen aber auf weiteres Wachstum.
25.06.2025
Von Heiko Steinacher | Toronto
Voltra hat im Mai 2025 rund 1,8 Millionen US-Dollar (US$) eingeworben. Das Start-up der University of Waterloo hat eine Plattform für das Management von Ladeinfrastrukturen für Elektrofahrzeuge, Batterien und Mikronetze entwickelt. Flottenbetreiber, Eigentümer von Mehrfamilienhäusern und Mikronetz-Integratoren können dadurch Ladeprozesse in bestehende Systeme wie Gebäudeautomatisierung integrieren.
Doch entwickelt sich Kanadas Elektrofahrzeugmarkt wirklich so stark, dass sich der Druck auf das Stromnetz bereits bemerkbar macht? Mit Voltras Plattform lassen sich dezentrale Energiequellen und Lastmanagement steuern und vernetzen. Das wäre dann ein großer Vorteil.
Der Ehrgeiz der Regierung befeuert Voltras Optimismus. Denn Kanada will seine milliardenschweren Investitionen in die Batterieproduktion und die Ladeinfrastruktur fortsetzen, und ab 2035 sollen alle verkauften Neuwagen emissionsfrei sein. Im März hat Kanada zudem eine Ausweitung seiner Canadian Critical Minerals Strategy beschlossen, darunter mehr finanzielle Förderung und die Verlängerung von Steuergutschriften. Auch der Abbau kritischer Mineralien soll beschleunigt werden.
Das Ladenetz wird schnell ausgebaut
In British Columbia, Ontario und Québec – den drei führenden Provinzen bei der E-Mobilität – werden 2025 Hunderte neuer Schnellladestationen installiert. Die Zahl der öffentlichen Ladepunkte soll sich landesweit von knapp 13.000 (März 2025) bis 2027 in etwa verdoppeln. Doch so beeindruckend das klingt, bleibt noch ein weiter Weg: Laut einer Studie von Dunsky Energy + Climate Advisors aus dem Jahr 2024 benötigt Kanada bis 2040 etwa 679.000 öffentliche Ladeanschlüsse, um seine Ziele bei Nullemissionsfahrzeugen zu erreichen.
Führende Netzwerke wie Flo, Electrify Canada, Petro-Canada EV und Tesla Supercharger installieren mit Hochdruck Schnellladestationen entlang von Autobahnen, Stadtkorridoren und größeren Gewerbegebieten. Im Mittelpunkt steht der Großraum Toronto: Ladestationen sollen dort in großen Einkaufszentren wie Yorkdale und Square One und bei Lebensmittelketten wie Loblaws, Metro und Longo's entstehen.
Mit Baseload Power und Hypercharge sind in den vergangenen Jahren weitere Jungfirmen in den kanadischen Ladeinfrastrukturmarkt vorgestoßen. Auch für ausländische Akteure wird er immer interessanter. Mit Jolt trat im Sommer 2023 ein australischer Player auf den Markt, in Partnerschaft mit der kanadischen Firma Telus. Red E Charge und OpConnect (beide USA) kamen 2024 beziehungsweise im Frühjahr 2025 dazu.
Über Natural Resources Canada (NRCan) und die Canada Infrastructure Bank (CIB) investiert die Regierung in Ottawa stark in Infrastruktur und Produktionskapazitäten für E-Fahrzeuge. Die CIB unterstützt außerdem Projekte zum Aufbau eines Netzes von Wasserstofftankstellen.
Die komplette Wertschöpfungskette steht im Fokus
Kanada möchte eine komplette elektromobile Wertschöpfungskette im Land etablieren. Mehrere kanadische Firmen sind Partnerschaften mit internationalen Unternehmen eingegangen, um batterietaugliche Materialien und Recyclingkapazitäten zu entwickeln und die Lieferketten im Land weiter zu stärken.
Volkswagen erwägt über seine Tochter Audi eine neue nordamerikanische Produktionsstätte. Auch Kanada ist eine Option – um US-Zölle zu vermeiden und von den Handelsabkommen des Landes zu profitieren.
Um die Autoindustrie gegen wirtschaftliche Bedrohungen aus den USA zu schützen, hat der kanadische Premier Mark Carney einen "Strategic Response Fund" angekündigt. Ziel ist es unter anderem, mehr Autoteile und Fahrzeuge vollständig in Kanada zu produzieren. Dafür will Carney etwa 1,5 Milliarden US$ in die Hand nehmen.
Vorzieheffekte begünstigten 2024 das Marktergebnis
Laut Statistics Canada wurden im Jahr 2024 über 264.000 Nullemissionsfahrzeuge verkauft – ein Rekordwert. Batterieelektrische, Wasserstoff-Brennstoffzellen- und Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge machten damit gut 14 Prozent aller Neuwagenverkäufe aus.
Zu berücksichtigen sind dabei allerdings Vorzieheffekte, um sich die bislang geltende hohe Förderung zu sichern. So hatte die Provinz Québec im März 2024 angekündigt, dass sie Kaufprämien im Rahmen ihres "Roulez vert"-Programms Anfang 2025 reduzieren würde. Im Februar und März legte sie das Programm dann vorübergehend auf Eis, ehe es im April mit der reduzierten Prämie wieder anlief.
Im Januar 2025 wurde zudem das bundesweite iZEV-Programm (Incentives for Zero-Emission Vehicles) vorübergehend ausgesetzt, weil die zugewiesenen Mittel vollständig ausgeschöpft waren. Es bot bis zu 3.672 US$ Zuschuss für den Kauf oder das Leasing eines Nullemissionsfahrzeugs. Die Regierung in Ottawa spricht nur von einer Pause, doch ist unklar, wann das Anreizprogramm fortgesetzt wird.
Auch die Vorwegnahme der im Oktober 2024 eingeführten Sonderzölle Kanadas in Höhe von 100 Prozent auf in China hergestellte E-Fahrzeuge wirkte sich auf den Absatz aus. Dasselbe gilt für bestimmte E-Fahrzeuge aus den USA, auf die Kanada – in Reaktion auf zuvor eingeführte US-Zölle – seit April 2025 einen Aufschlag von 25 Prozent erhebt.
Zahl der Hybridfahrzeuge erreichte 2025 einen Quartalsrekord
Tatsächlich ist Kanada noch weit von seinem Ziel entfernt, bis 2035 nur noch emissionsfreie Neuwagen zu verkaufen. In einer Umfrage von J.D. Power vom Mai 2025 gaben nur 28 Prozent der Kanadier an, dass sie ein E-Fahrzeug in Erwägung ziehen würden.
Verbraucher entscheiden sich vielmehr für Übergangstechnologien als für vollelektrische Antriebe. So stiegen die Zulassungen von Hybridfahrzeugen weiter an und erreichten laut der Analyseplattform Electric Autonomy Canada im 1. Quartal 2025 landesweit gut 17 Prozent. Bei rein batterieelektrischen Fahrzeugen verzeichneten nur leichte und schwere Lkw ein Wachstum.
Aber: Trotz der Rückgänge beim Absatz von E-Autos im 1. Quartal gibt es Anzeichen für eine Erholung. So stiegen die Zulassungen von Nullemissionsfahrzeugen in Québec erneut sprunghaft an, nachdem die Kaufanreize im April wieder eingeführt worden waren.