Die Kfz-Industrie durchläuft weltweit eine tiefgreifende Umstrukturierung. Für europäische Hersteller spielt der Mercosur eine wichtige Rolle.
Südamerika ist ein wichtiger Markt und Produktionsstandort für europäische Autobauer und Kfz-Teile-Hersteller. Viele deutsche Branchenunternehmen sind seit Jahrzehnten vor Ort mit eigenen Werken präsent, auch weil die Staaten der Region ihre Märkte mit hohen Zöllen schützen.
Südamerikas Automarkt im Wandel
Doch der Wettbewerb steigt. Chinesische E-Autobauer strömen massiv auf den Markt, allen voran in Brasilien. Bis sich die E-Mobilität in der Region durchsetzt, dürfte es aber noch dauern. Das liegt an dem breiten Einsatz von Biokraftstoffen im Transportsektor, was für eine längere Überlebenszeit des Verbrenners in Südamerika spricht.
Mit den neuen Förderprogrammen "Mover" und "Kraftstoff der Zukunft" (Combustível do Futuro) bietet Brasilien Investitionsanreize für Forschung und Entwicklung. Diese nutzen auch die europäischen Kfz-Hersteller, die im Mercosur seit langem stark aufgestellt sind. Brasilien ist der weltweit wichtigste Markt für Fiat und der zweitwichtigste für Volkswagen Truck & Bus der Traton Group und für Mercedes-Benz do Brasil (Busse). Für Volkswagen war Brasilien 2024 der größte Absatzmarkt nach China und Deutschland.
Lange Übergangszeit beim Abbau von Zöllen auf Kfz
Mit 35 Prozent berechnet der Mercosur auf Kfz-Importe höhere Zölle als auf alle anderen Einfuhrgüter. Darüber schützen Brasilien und Argentinien ihre lokale Kfz-Industrie. Für Verbrenner ist eine vollständige Liberalisierung der Zölle innerhalb von 15 Jahren geplant. Allerdings beginnt der Zollabbau erst im siebten Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens. Immerhin wird für eine jährliche Quote von 50.000 Kfz in den ersten sechs Jahren nur die Hälfte des Zolls berechnet.
Für Elektro- und Hybridfahrzeuge wurde im Ende 2024 unterzeichneten Abkommen die Übergangszeit auf 18 Jahre verlängert. Dafür wird der Zoll bereits ab Inkrafttreten des Abkommens von 35 Prozent auf 25 Prozent gesenkt – in Uruguay und Paraguay sogar auf 16,4 respektive 14,3 Prozent. Für Fahrzeuge, die mit Wasserstoff oder anderen innovativen Technologien angetrieben werden, erstreckt sich der Zollabbau über einen Zeitraum von 25 beziehungsweise 30 Jahren.
Achtung: Das Abkommen erlaubt es den Mercosur-Ländern, die Notbremse zu ziehen und den Zoll vorübergehend wieder auf 35 Prozent anzuheben, falls eine Importwelle aus der EU die heimische Kfz-Industrie schädigen sollte.
Auf Kfz-Teile fallen im Mercosur üblicherweise Zölle in Höhe von 14 bis 18 Prozent an. Auch diese werden schrittweise abgebaut.
Über das brasilianische Sonderregime für Kfz-Teile namens "Regime de Autopeças Não-Produzidas" kann der Zoll entfallen, wenn die Komponenten, die die brasilianische Kfz-Industrie benötigt, nicht im Land hergestellt werden. Ähnlich wie beim Ex-Tarifário-Regime für Kapitalgüter und IT-Produkte wird die Liste der betroffenen Produkte fortwährend aktualisiert.
Abkommen bietet Vorhersehbarkeit und Stabilität
Angesichts der langen Übergangsfristen realisieren sich Handelsgewinne im Bereich Kfz nur nach und nach. Volkwagen sieht darin eine Stärke des EU-Mercosur-Abkommens. Die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe werde nicht abrupt gefährdet. Stattdessen biete das Abkommen durch den Zeithorizont von 15 Jahren Vorhersehbarkeit und Stabilität.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) begrüßt den Abschluss der Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen, für das er sich seit Jahrzehnten einsetzt. In einer Stellungnahme vom 5. Dezember 2024 bezeichnet der VDA die Vertragsunterzeichnung als einen bedeutenden Schritt für die deutsche Exportwirtschaft und für den Klimaschutz.
Die Wolfsburger blicken optimistisch auf die Marktintegration zwischen EU und Mercosur, die Synergien fördern und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen könne. Strategisch setzt VW auf Lokalisierung und produziert in Südamerika für Südamerika und für Afrika. Im April 2025 kündigte das Unternehmen Investitionen in Höhe von 580 Millionen US$ für das Werk in Pacheco, Argentinien, an. Der neue Pick-up Amarok, der dort speziell für den südamerikanischen Markt entwickelt wird, soll 2027 vom Band laufen. Bis 2028 will der Konzern insgesamt 3,7 Milliarden US$ in Brasilien und Argentinien investieren und 17 neue Modelle auf die Mercosur-Märkte bringen.
Für Kolbenschmidt Pistons Brazil ist der Abbau von Handelshemmnissen jeder Art von entscheidendem Vorteil, bekräftigt Geschäftsführer Claus von Heydebreck im Gespräch mit GTAI. Der Kleinkolbenhersteller exportiert heute mehr als 50 Prozent seiner Produktion in Nova Odessa im Bundesstaat São Paulo, hauptsächlich nach Europa. Niedrigere Zölle steigerten die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte in Europa und ermöglichten dem brasilianischen Werk zusätzliches Geschäft. "Das Risiko einer erhöhten Konkurrenz gegenüber europäischen Wettbewerbern, die ebenfalls vom Zollabbau profitieren würden, sehe ich als begrenzt. Ich vertraue auf unsere Wettbewerbsfähigkeit", sagt von Heydebreck.
Für deutsche Kfz-Teile-Lieferanten ohne lokale Produktion im Mercosur könnten sich je nach Geschäft durch das Abkommen neue Chancen ergeben. Claus von Heydebreck sieht Importchancen für deutsche Hightech-Komponenten, bei denen Personal- oder Energiekosten keine allzu tragende Rolle spielten.
Von Gloria Rose
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São Paulo