Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Wirtschaftsumfeld | Südamerika | Handelsabkommen Mercosur

Was bedeutet das EU-Mercosur-Abkommen für Deutschland?

Das neue Freihandelsabkommen eröffnet Chancen für deutsche Exporteure, Investoren und die Versorgung mit Rohstoffen. GTAI zeigt Potenziale und Fakten für Schlüsselbranchen auf.

Von Gloria Rose | São Paulo

Nach 25 Jahren Verhandlungen unterzeichneten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie die Staatschefs von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay Ende 2024 das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur. Die wachsende Konkurrenz durch China, handelspolitische Unsicherheiten in den USA und Europas schwindender globaler Einfluss hatten zuletzt den Druck erhöht, den Vertrag zum Abschluss zu bringen.

Die EU-Kommission will das Abkommen mit dem Mercosur so schnell wie möglich ratifizieren. Doch wann kann es tatsächlich in Kraft treten? Welche Chancen bietet das Freihandelsabkommen für die deutsche Wirtschaft? Und welche Übergangsfristen sind zu beachten? Germany Trade & Invest hat die wichtigsten Exportbranchen – Maschinenbau, Kfz, Chemie, Pharma und Ernährungswirtschaft – analysiert und zentrale Fakten zum Abkommen zusammengefasst.

  • Südamerika ist von geostrategischer Bedeutung

    Das Freihandelsabkommen scheint zum Greifen nah. Wie könnte es nun weiter gehen? Und was spricht für eine engere Zusammenarbeit mit Südamerika?

    Donald Trumps Zollpolitik erschüttert den regelbasierten Welthandel. Als Gegenmaßnahme will die EU-Kommission den Freihandelsvertrag mit dem Mercosur so schnell wie möglich ratifizieren. Zwar kann das Abkommen Verluste im Handel mit den USA bei Weitem nicht wettmachen, doch es entstünde eine der größten Freihandelszonen der Welt, mit mehr als 715 Millionen Einwohnern beiderseits des Atlantiks und einem Viertel der globalen Wirtschaftsleistung.

    Warum ist Südamerika so wichtig?

    In ihrem Koalitionsvertrag bekräftigt die neue deutsche Regierung: "Das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur muss endlich finalisiert werden. Wir wollen die strategische Partnerschaft mit Brasilien intensivieren und vertiefen sowie die Zusammenarbeit mit weiteren Partnern, insbesondere den größten Staaten Mexiko, Argentinien und Kolumbien, ausbauen." Aus Sicht Deutschlands sprechen insbesondere folgende Argumente für das Abkommen und die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Mercosur:

    1. Deutsche Unternehmen erhalten einen besseren Zugang zu den Wachstumsmärkten mit einer Bevölkerung von rund 260 Millionen Menschen. Brasilien und Argentinien schotten ihre Märkte bis heute weitgehend ab. Doch der Einfluss Chinas in Südamerika wächst. Durch das Freihandelsabkommen gewinnen europäische Produkte an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Konkurrenten ohne vergleichbare Handelserleichterungen.
    2. Die Mercosur-Länder sind demokratische Rechtsstaaten, die traditionell eng mit Europa verbunden sind und über vergleichsweise kurze und sichere Handelsrouten erreicht werden. Es herrscht ein starkes Interesse am multilateralen Handel und der Zusammenarbeit mit der EU. Viele deutsche Unternehmen sind mit Tochtergesellschaften vor Ort und in die lokale Industrie integriert. Die Region ist daher ein verlässlicher Partner für De-Risking-Strategien und gewinnt angesichts der Konflikte mit anderen Märkten stark an Bedeutung.
    3. Der Mangel an Fachkräften gilt auch in Südamerika als Herausforderung. Doch vielen deutschen Unternehmen gelingt es hier, motivierte Arbeitskräfte intern aus- und weiterzubilden und langfristig für sich zu gewinnen.
    4. Durch die Partnerschaft mit dem Mercosur setzt die EU wichtige Voraussetzungen, um die Dekarbonisierung weiter voranzutreiben. Denn die Länder in Südamerika verfügen über kritische Rohstoffe und sind Vorreiter bei erneuerbarer Energie.

    Was ist der Mercosur?

    Mercosur ist die spanische Abkürzung für "Mercado Común del Sur" (Gemeinsamer Markt Südamerikas). Zu der Zollunion zählen Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Bolivien gehört seit Juli 2024 formal dazu, ist aber nicht Teil des Handelsabkommens mit der EU.

    Gegründet wurde Mercosur 1991 nach dem Vorbild der Europäischen Union. Ziel des Staatenbundes ist es, die wirtschaftliche Entwicklung und Integration des südamerikanischen Kontinents zu fördern. Es gibt eine gemeinsame Warennomenklatur (NCM) und einen gemeinsamen Zolltarif "Arancel Externo Común" (AEC) beziehungsweise "Tarifa Externa Comum" (TEC) in portugiesischer Sprache. Von dem gemeinsamen Tarif können die einzelnen Länder Ausnahmen in einem begrenzten Umfang festlegen.

    Der mit Abstand größte Abnehmer deutscher Waren im Mercosur-Raum ist Brasilien. Im Jahr 2024 entfielen 82 Prozent der deutschen Exporte auf die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas. Argentinien machte 14 Prozent aus. Uruguay und Paraguay kamen jeweils auf rund 2 Prozent.

    Zu den wichtigsten Exportwaren der EU in die Region zählen Maschinen (22 Prozent), chemische Erzeugnisse (14 Prozent), Pharmazeutika (12 Prozent) sowie Kfz und Kfz-Teile (9 Prozent).

    Wie schnell kann das Abkommen in Kraft treten?

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterzeichnete den fertigverhandelten Vertrag am 6. Dezember 2024 zusammen mit den Staatschefs der vier Mercosur-Länder. Zurzeit laufen die formaljuristischen Prüfungen und Übersetzungen in die 24 Amtssprachen der EU. Diese sollen bis Mitte 2025 abgeschlossen sein.

    Um die Ratifizierung zu beschleunigen, dürfte die EU-Kommission das Assoziierungsabkommen in zwei Teile aufteilen – einen Handelsteil und einen politischen Teil. Dabei könnte der Handelsteil im Europaparlament und im EU-Rat auch mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedsländer durchgesetzt werden. Beobachter halten eine vorläufige Anwendung des Handelsteils im Laufe von 2026 oder 2027 für möglich. Weitere Informationen bietet die Internetseite EU-Mercosur agreement: Factsheets and guides der EU-Kommission.

    Deutsche Wirtschaft drängt auf schnellen Abschluss

    Deutschland verliert in Südamerika seit Jahren Marktanteile. Chinesische Hersteller erobern die Märkte über niedrigere Preise, überzeugen aber zunehmend auch durch gute Qualität und günstige Finanzierungsangebote. Im Handelskrieg zwischen den USA und China droht eine Verschärfung der Entwicklung.

    Entsprechend eindringlich sind die Forderungen aus der deutschen Wirtschaft, das Abkommen abzuschließen. Hierfür sprechen sich unter anderem der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sowie die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) aus. Einer aktuellen DIHK-Erhebung zufolge erwartet jedes dritte Unternehmen von dem Abkommen positive Auswirkungen auf seine Geschäftstätigkeit. Dabei macht der Handel mit den Mercosur-Staaten gerade einmal 1 Prozent des gesamten Handelsvolumens Deutschlands aus. Etwa ein Viertel der befragten Unternehmen plant den Ausbau oder die Neuaufnahme von Geschäftsaktivitäten in der Region, wenn das Abkommen in Kraft tritt.

    Das Handelsabkommen bietet deutschen Herstellern nicht nur Kosteneinsparungen durch den Abbau der hohen Mercosur-Zölle. Die größten Vorteile sehen die Unternehmen laut der DIHK-Umfrage in der Minderung der technischen Handelshemmnisse. Außerdem erhalten deutsche Firmen durch das Abkommen freien Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Davon ausgenommen ist allerdings der Gesundheitssektor.

    Mercosur-Vertrag bringt Vorteile für den Mittelstand

    Gerade der industrielle Mittelstand profitiert, da kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von Handelshemmnissen besonders stark belastet werden, bemerkt der Bundverband der Deutschen Industrie (BDI). In dem EU-Mercosur-Vertrag wurde KMU ein eigenes Kapitel gewidmet. Darin verpflichten sich die Mercosur-Staaten, innerhalb von maximal drei Jahren Informationen zum Markteintritt für europäische KMU bereitzustellen und regelmäßig zu aktualisieren.

    Vorgesehen ist eine Datenbank, die elektronisch nach Positionen der Zollnomenklatur durchsucht werden kann. Zusätzlich zu dem Informationsaustausch setzen alle Länder sogenannte KMU-Koordinatoren ein, die den Bedürfnissen von KMU bei der Umsetzung des Abkommens Beachtung verschaffen sollen. Rund 9.000 deutsche KMU exportieren bereits heute in den Mercosur.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Maschinenbau: Noch hat die EU die Nase vorn

    Der Abbau der Zölle stärkt die Wettbewerbsposition deutscher Maschinenhersteller. Allerdings gelten lange Übergangsfristen von bis zu 15 Jahren.

    Maschinen und Anlagen sind das wichtigste Exportgut der EU in die Länder des Mercosur. Laut Angaben von Eurostat standen sie 2024 für 21,5 Prozent der gesamten EU-Exporte in die Region. Damit sind die Europäer die wichtigsten Maschinenlieferanten der Südamerikaner. Noch zumindest, denn China holt rasant auf.

    Neue Chancen durch Zollabbau und Harmonisierung von Standards

    Mit dem EU-Mercosur-Abkommen steigt die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Maschinenbauer. Das Abkommen sieht einen schrittweisen Abbau der Zölle auf die meisten Maschinen vor. Wichtig für die Hersteller ist aber auch die Harmonisierung von Standards. Selbst kleine Abweichungen können technische Handelshemmnisse darstellen und verhindern, dass die Produkte schnell und sicher in den Markt gebracht werden können. Gegebenenfalls müssen Maschinen extra für einzelne Märkte angepasst werden.

    Um die südamerikanischen Märkte mit ihren relativ hohen Zugangsschranken für sich zu erschließen, haben mehr als 100 Maschinenbauer aus Deutschland eigene Produktionsniederlassungen vor Ort aufgebaut, zum Großteil im brasilianischen Bundesstaat São Paulo. Das Interesse an der Region wächst. "Nach der Unterzeichnung des Abkommens in Montevideo Ende 2024 haben die Anfragen europäischer Maschinenbauer aus allen Segmenten deutlich zugenommen", sagt Fabiane Wahlbrink, die den VDMA im Mercosur vertritt.

    Was sieht das Abkommen im Bereich Maschinenbau vor?

    Laut Angaben des VDMA ist im Abkommen ein Zollabbau für 95 Prozent aller Maschinenbauprodukte vorgesehen. Allerdings betragen die vereinbarten Zollabbauperioden zehn Jahre, und in einigen Fällen sogar bis zu 15 Jahre. Die positiven Auswirkungen des Abkommens dürften sich daher erst mittel- bis langfristig in den Exportzahlen niederschlagen.

    Nur bei wenigen Produkten wird der Zollsatz direkt im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens auf Null reduziert; dazu gehören:

    • Drehmaschinen für die Metallbearbeitung,
    • Maschinen für die Textilindustrie sowie
    • Maschinen für die Süßwarenindustrie

    Dagegen ist für einige Maschinen gar kein Zollabbau vorgesehen. Betroffen sind beispielsweise Melkmaschinen, Stroh- und Futterpressen, Lebensmittelverarbeitungsmaschinen, aber auch Pumpen mit Messgeräten. 

    Abkommen bietet mehr Vorhersehbarkeit als bisherige Vergünstigungen

    Bislang fallen beim Import von Maschinen und Anlagen in die Staaten des Mercosur Zölle in Höhe von 12 bis 20 Prozent an. Der im Durchschnitt gezahlte Zollsatz liegt jedoch niedriger, zumindest in Brasilien. Dies liegt an dem Sonderregime Ex-Tarifário. Im Rahmen dieses Programms gewährt Brasilien Zollerleichterungen für Kapitalgüter und IT-Produkte, die im Land nicht oder nicht konkurrenzfähig hergestellt werden können. Dabei gilt ein reduzierter Zollsatz von 2 oder sogar 0 Prozent.

    Allerdings müssen die Unternehmen die Ausnahmen alle ein bis zwei Jahre neu bei der brasilianischen Außenhandelskammer (CAMEX) beantragen. Zudem wurden Anträge einzelner Maschinenbauer zuletzt wider Erwarten abgelehnt. Auch das Sonderregime selbst ist zeitlich begrenzt und läuft nach aktuellem Stand Ende 2025 aus. Für eine Verlängerung benötigt Brasilien die Zustimmung der anderen Mercosur-Staaten.

    Wachstumsmotor für beide Seiten

    Der deutsche Maschinenexport wird von dem Abkommen und der damit verbundenen Vorhersehbarkeit profitieren. Es komme aber auch den Tochterunternehmen zugute, die die Maschinenbauer in der Region aufgebaut hätten. Das sagt Ricardo Salgado Moura, der in dem EU-Mercosur-Abkommen einen Wachstumsmotor für beide Regionen sieht. Salgado Moura ist seit 2019 Lateinamerikachef der WIKA Group, einem weltweit führenden Hersteller in der Sensor- und Messtechnik.

    Laut Salgado Moura werden die Handelserleichterungen die Positionierung von WIKA und anderen europäischen Unternehmen stärken, die mit Tochtergesellschaften in den Mercosur-Ländern vertreten sind. Das Abkommen ermögliche einen größeren Austausch von Fertig- und Halbfertigprodukten sowie von Dienstleistungen in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Management und IT. Über ein Produktionszentrum im Mercosur ließen sich internationale Lieferketten ergänzen und dadurch Risiken und geopolitische Unsicherheiten reduzieren, bekräftigt Salgado Moura.

    WIKA ist bereits seit 1981 mit einer eigenen Produktionsniederlassung in Brasilien tätig. Anfang 2026 will das Unternehmen eine neue Produktionsstätte in Boituva, etwa 120 Kilometer westlich der Stadt São Paulo, in Betrieb nehmen, um den gesamten lateinamerikanischen Markt zu bedienen. Als mit Abstand größtes Land der Region biete Brasilien einen guten Zugang zum Mercosur und weitere strategische Standortvorteile, sagt Salgado Moura im Gespräch mit GTAI.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Kfz: Im Wettstreit um Marktanteile

    Die Kfz-Industrie durchläuft weltweit eine tiefgreifende Umstrukturierung. Für europäische Hersteller spielt der Mercosur eine wichtige Rolle.

    Südamerika ist ein wichtiger Markt und Produktionsstandort für europäische Autobauer und Kfz-Teile-Hersteller. Viele deutsche Branchenunternehmen sind seit Jahrzehnten vor Ort mit eigenen Werken präsent, auch weil die Staaten der Region ihre Märkte mit hohen Zöllen schützen.

    Südamerikas Automarkt im Wandel

    Doch der Wettbewerb steigt. Chinesische E-Autobauer strömen massiv auf den Markt, allen voran in Brasilien. Bis sich die E-Mobilität in der Region durchsetzt, dürfte es aber noch dauern. Das liegt an dem breiten Einsatz von Biokraftstoffen im Transportsektor, was für eine längere Überlebenszeit des Verbrenners in Südamerika spricht.

    Mit den neuen Förderprogrammen "Mover" und "Kraftstoff der Zukunft" (Combustível do Futuro) bietet Brasilien Investitionsanreize für Forschung und Entwicklung. Diese nutzen auch die europäischen Kfz-Hersteller, die im Mercosur seit langem stark aufgestellt sind. Brasilien ist der weltweit wichtigste Markt für Fiat und der zweitwichtigste für Volkswagen Truck & Bus der Traton Group und für Mercedes-Benz do Brasil (Busse). Für Volkswagen war Brasilien 2024 der größte Absatzmarkt nach China und Deutschland.

    Lange Übergangszeit beim Abbau von Zöllen auf Kfz

    Mit 35 Prozent berechnet der Mercosur auf Kfz-Importe höhere Zölle als auf alle anderen Einfuhrgüter. Darüber schützen Brasilien und Argentinien ihre lokale Kfz-Industrie. Für Verbrenner ist eine vollständige Liberalisierung der Zölle innerhalb von 15 Jahren geplant. Allerdings beginnt der Zollabbau erst im siebten Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens. Immerhin wird für eine jährliche Quote von 50.000 Kfz in den ersten sechs Jahren nur die Hälfte des Zolls berechnet.

    Für Elektro- und Hybridfahrzeuge wurde im Ende 2024 unterzeichneten Abkommen die Übergangszeit auf 18 Jahre verlängert. Dafür wird der Zoll bereits ab Inkrafttreten des Abkommens von 35 Prozent auf 25 Prozent gesenkt – in Uruguay und Paraguay sogar auf 16,4 respektive 14,3 Prozent. Für Fahrzeuge, die mit Wasserstoff oder anderen innovativen Technologien angetrieben werden, erstreckt sich der Zollabbau über einen Zeitraum von 25 beziehungsweise 30 Jahren. 

    Achtung: Das Abkommen erlaubt es den Mercosur-Ländern, die Notbremse zu ziehen und den Zoll vorübergehend wieder auf 35 Prozent anzuheben, falls eine Importwelle aus der EU die heimische Kfz-Industrie schädigen sollte.

    Auf Kfz-Teile fallen im Mercosur üblicherweise Zölle in Höhe von 14 bis 18 Prozent an. Auch diese werden schrittweise abgebaut.

    Über das brasilianische Sonderregime für Kfz-Teile namens "Regime de Autopeças Não-Produzidas" kann der Zoll entfallen, wenn die Komponenten, die die brasilianische Kfz-Industrie benötigt, nicht im Land hergestellt werden. Ähnlich wie beim Ex-Tarifário-Regime für Kapitalgüter und IT-Produkte wird die Liste der betroffenen Produkte fortwährend aktualisiert.

    Abkommen bietet Vorhersehbarkeit und Stabilität

    Angesichts der langen Übergangsfristen realisieren sich Handelsgewinne im Bereich Kfz nur nach und nach. Volkwagen sieht darin eine Stärke des EU-Mercosur-Abkommens. Die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe werde nicht abrupt gefährdet. Stattdessen biete das Abkommen durch den Zeithorizont von 15 Jahren Vorhersehbarkeit und Stabilität.

    Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) begrüßt den Abschluss der Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen, für das er sich seit Jahrzehnten einsetzt. In einer Stellungnahme vom 5. Dezember 2024 bezeichnet der VDA die Vertragsunterzeichnung als einen bedeutenden Schritt für die deutsche Exportwirtschaft und für den Klimaschutz.

    Die Wolfsburger blicken optimistisch auf die Marktintegration zwischen EU und Mercosur, die Synergien fördern und neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen könne. Strategisch setzt VW auf Lokalisierung und produziert in Südamerika für Südamerika und für Afrika. Im April 2025 kündigte das Unternehmen Investitionen in Höhe von 580 Millionen US$ für das Werk in Pacheco, Argentinien, an. Der neue Pick-up Amarok, der dort speziell für den südamerikanischen Markt entwickelt wird, soll 2027 vom Band laufen. Bis 2028 will der Konzern insgesamt 3,7 Milliarden US$ in Brasilien und Argentinien investieren und 17 neue Modelle auf die Mercosur-Märkte bringen.

    Für Kolbenschmidt Pistons Brazil ist der Abbau von Handelshemmnissen jeder Art von entscheidendem Vorteil, bekräftigt Geschäftsführer Claus von Heydebreck im Gespräch mit GTAI. Der Kleinkolbenhersteller exportiert heute mehr als 50 Prozent seiner Produktion in Nova Odessa im Bundesstaat São Paulo, hauptsächlich nach Europa. Niedrigere Zölle steigerten die Wettbewerbsfähigkeit der Produkte in Europa und ermöglichten dem brasilianischen Werk zusätzliches Geschäft. "Das Risiko einer erhöhten Konkurrenz gegenüber europäischen Wettbewerbern, die ebenfalls vom Zollabbau profitieren würden, sehe ich als begrenzt. Ich vertraue auf unsere Wettbewerbsfähigkeit", sagt von Heydebreck.

    Für deutsche Kfz-Teile-Lieferanten ohne lokale Produktion im Mercosur könnten sich je nach Geschäft durch das Abkommen neue Chancen ergeben. Claus von Heydebreck sieht Importchancen für deutsche Hightech-Komponenten, bei denen Personal- oder Energiekosten keine allzu tragende Rolle spielten.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Chemie: Aussichten auf Handelsgewinne

    Das Abkommen sichert deutschen Herstellern von Chemieprodukten Chancen in Wachstumsmärkten. Durch die Dekarbonisierung ergeben sich neue Synergien.

    Nach Maschinen und Anlagen sind chemische Erzeugnisse das zweitwichtigste Exportgut der EU in die Länder des Mercosur. Im Jahr 2024 standen Chemikalien laut Eurostat für 14 Prozent der EU-Ausfuhren in die südamerikanische Staatengemeinschaft.

    Die Nachfrage nach Chemiewaren in den Mercosur-Staaten steigt, getrieben vom Agribusiness, der verarbeitenden Industrie und der Bauwirtschaft. Bei der Deckung ihres Bedarfs sind die Länder in hohem Maße auf Importe angewiesen. Das wichtigste Lieferland ist China, gefolgt von den USA und der EU. Russland ist ein wichtiger Lieferant von Düngemitteln.

    EU-Mercosur-Abkommen als geopolitischer Stabilitätsanker

    Auf den Import von Chemieerzeugnissen erhebt der Mercosur Zölle von bis zu 18 Prozent. Aus Sicht des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) kann die handels- und geopolitische Bedeutung des Vertrages gerade in Zeiten eines sich zuspitzenden US-chinesischen Hegemonialkonflikts nicht überschätzt werden. Es würden nicht nur Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse abgebaut. Auch mögliche Zollerhöhungen würden für den jeweiligen Partner verhindert, betont der VCI in einer öffentlichen Stellungnahme. 

    Restriktive Maßnahmen für den Handel ergreift in der Region hauptsächlich Brasilien. Zum Schutz der lokalen Industrie setzte das Land in den vergangenen Jahren Antidumping-Zölle auf Dicarbonsäure, Ethylenglykolmonobutylether (EGBE) und Monoethanolamin (MEA) aus Deutschland in Kraft.

    Südamerikas Markt für Chemieerzeugnisse wächst stark

    Mit der wachsenden Weltbevölkerung wird die landwirtschaftliche Produktion in Südamerika in den kommenden Jahrzehnten weiter zulegen. Die Agrarriesen Brasilien und Argentinien spielen schon heute weltweit in der ersten Liga. Dabei gehören die Mercosur-Staaten auch zu den wichtigsten Agrarchemiemärkten weltweit und erweitern die Nachfrage von Jahr zu Jahr.

    Die lokale Chemieindustrie kommt mit dem Wachstum schon lange nicht mehr mit und weist bei Düngemitteln eine hohe Importabhängigkeit auf. So deckte Brasilien 2024 rund 45 Prozent seines Bedarfs an Industriechemikalien aus Einfuhren. Um die Versorgung zu sichern, fördert das Land die Düngerproduktion über den 2022 verabschiedeten Plano Nacional de Fertilizantes.

    Wettbewerbsvorteile bei Produktion grüner Chemieprodukte

    Argentinien und Brasilien verfügen über große Vorkommen an Erdöl und Erdgas und erweitern die Förderung in den kommenden Jahren. Dies bietet Chancen für den Ausbau der Chemieindustrie. Noch größere Wettbewerbsvorteile kann Südamerika allerdings im Zuge der Dekarbonisierung ausspielen, dank der hervorragenden Bedingungen für erneuerbare Energien und die Produktion von grünem Wasserstoff sowie die großen Ressourcen an Biomasse.

    Bereits jetzt steigen die Investitionen in Biomethan und Biokraftstoffe, darunter auch hochwertiges SAF (Sustainable Aviation Fuel). Evonik erwartet eine zunehmende Nachfrage nach Katalysatoren, die für die chemischen Prozesse benötigt werden. Der Spezialchemiekonzern aus Essen ist ein führender Anbieter im Katalysatorgeschäft.

    “Das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen bietet der chemischen Industrie in beiden Regionen viele Vorteile. Europäische Spezialchemie-Unternehmen verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit im Mercosur, während Mercosur-Konzerne mit Fokus auf biobasierte Rohstoffe und grüne Energie leichter Zugang zum EU-Markt erhalten. Da beide Gruppen komplementäre Positionen in der Wertschöpfungskette einnehmen, schafft der Freihandel in der chemischen Industrie hauptsächlich Gewinner."

     

    Hendrik Schönfelder Geschäftsführer Evonik Brasilien

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Pharmazeutika: Es geht um De-Risking und Innovation

    Die Nachfrage nach Medikamenten in Südamerika steigt. Die EU ist der wichtigste Lieferant. Das Abkommen bietet Chancen, doch die Wirtschaft sieht noch Potenzial für Verbesserungen.

    Das EU-Mercosur-Abkommen ist für europäische Pharmaunternehmen von großer Bedeutung, da es Handelsvorteile bietet und eine weitere Marktexpansion ermöglicht. Schon heute ist die EU der mit Abstand wichtigste Arzneimittellieferant der Südamerikaner. Betrachtet man die Länder einzeln, ist Deutschland nach den USA das zweitwichtigste Lieferland der Mercosur-Staaten.

    Mercosur erhebt derzeit Zölle auf pharmazeutische Produkte von bis zu 14 Prozent. Durch den Zollabbau werden europäische Medikamente und Gesundheitsprodukte wettbewerbsfähiger. Der bessere Marktzugang ist umso bedeutender, da die Pharmamärkte Südamerikas intensiv wachsen. Das liegt daran, dass der Region ein rascher demografischer Wandel bevorsteht und die Nachfrage nach hochwertigen Medikamenten und Gesundheitsdienstleistungen steigt.

    Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen im Gesundheitssektor ausgeklammert

    Einen freien Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen sieht das Abkommen im Gesundheitssektor nicht vor. Bei Anschaffungen für Brasiliens öffentliches Gesundheitssystem "Sistema Único de Saúde" (SUS) werden lokale Produzenten bevorzugt. Das ist in der brasilianischen Industriepolitik verankert. In Argentinien fragt das öffentliche Beschaffungswesen viele Produkte gar nicht nach. Hier ergeben sich demnach keine neuen Chancen für europäische Exporte.

    Positive Effekte auf Versorgung und Forschung

    Darüber hinaus trägt das Abkommen zur Diversifizierung der Lieferketten bei und verbessert damit die Versorgungslage in der EU. Pharmakonzerne aus Brasilien und Argentinien decken mehr als die Hälfte der Medikamentennachfrage auf den heimischen Märkten und expandieren mittlerweile auch auf Auslandsmärkte. Auch in Paraguay und Uruguay erweitern ansässige Arzneimittelfabrikanten ihre Kapazitäten, bislang allerdings nur für den Inlandsmarkt. Die Kooperation mit dem Mercosur kann demnach dazu beitragen, die Abhängigkeit Europas von China und Indien zu verringern und Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln zu vermeiden.

    Positive Aussichten bestehen auch für die Forschung und Entwicklung. Das Abkommen begünstigt gemeinsame Innovationsprojekte zwischen europäischen und Mercosur-Pharmaunternehmen. Dies könnte Fortschritte bei Biotechnologie, Impfstoffen und neuen medizinischen Behandlungen ermöglichen.

    Wirtschaft sieht noch Luft nach oben

    Für den deutschen Pharmakonzern Boehringer Ingelheim bedeutet der Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens eine gute Gelegenheit, Präsenz und Einfluss in Südamerika, insbesondere in Brasilien, auszubauen. Geschäftsführerin Andrea Sambati begrüßt die Handelserleichterungen, bemängelt jedoch, dass große Hürden für den Pharmasektor weiter bestehen blieben. Im brasilianischen Patentschutz stellt Sambati Beeinträchtigungen für das Innovationsökosystem fest, die im Abkommen nicht behandelt worden seien.

    Insgesamt stellten die Verfahren zum Schutz geistigen Eigentums ausländische Konzerne vor große Herausforderungen, ebenso wie die langwierigen Zulassungsverfahren für neue Produkte und die fehlende Vorhersehbarkeit in der Preisgestaltung. Um die Registrierung und den Vertrieb innovativer Arzneimittel in Südamerika zu erleichtern, müssten EU und Mercosur Vorschriften harmonisieren und die Verfahren vereinfachen. Aufbauend auf dem Freihandelsabkommen könne die intensivere Zusammenarbeit auf diese Bereiche ausstrahlen.

    Von Gloria Rose | São Paulo

  • Ernährungswirtschaft: Chancen im Export hochwertiger Produkte

    Deutsche Lebensmittel und Getränke erhalten einen deutlich verbesserten Zugang zu den Märkten der Mercosur-Staaten.

    Das EU-Mercosur-Abkommen eröffnet deutschen Herstellern von Lebensmitteln und Getränken bedeutende Chancen durch den Abbau von Zöllen. Wichtig ist aber auch der Abbau von nicht tarifären Handelshemmnissen. Hierzu tragen die vorgesehenen Dialogformate mit ihrem regelmäßigen technischen Austausch bei, so das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH).

    Die Mercosur-Staaten importierten 2023 Nahrungsmittel und Getränke (SITC-Warenpositionen 0 und 11) im Wert von 238 Millionen US-Dollar (US$) aus Deutschland. Rund 79 Prozent der Importe entfielen auf Brasilien, gefolgt von Argentinien (14 Prozent), Paraguay (4 Prozent) und Uruguay (3 Prozent).

    In Brasilien zählen deutsches Bier, Schokolade und Gebäck zu den Produkten, die in Haushalten der mittleren und oberen Einkommensklasse besonders geschätzt werden. Jahr für Jahr wächst die Präsenz deutscher Spezialitäten in brasilianischen Supermärkten. Nahezu die Hälfte des importierten Biers stammte 2024 aus Deutschland. Deutsche Schokolade machte 13 Prozent der Gesamtimporte aus. Dagegen kam "made in Germany" bei Gebäck lediglich auf einen Anteil von 3 Prozent. Noch geringer ist die Bedeutung Deutschlands bei Wein. Deutsche Weine sind bisher kaum auf dem brasilianischen Markt vertreten.

    Zoll auf europäische Nahrungsmittel und Getränke

    Ein zentraler Vorteil ist der Abbau der hohen Mercosur-Zölle. Für die meisten EU-Agrarprodukte wird der Zoll in bis zu vier Jahren nach Ratifizierung des Freihandelsabkommens auf Null gesetzt. Derzeit fallen beim Import von EU-Produkten in den Mercosur die folgenden Zölle an:  

    • Olivenöl (10 Prozent Zoll)
    • Malz (14 Prozent)
    • Wein (27 Prozent)
    • Schaumwein (20 bis 35 Prozent)
    • Whiskey und andere Spirituosen (20 bis 35 Prozent)
    • Erfrischungsgetränke (20 bis 35 Prozent)
    • Schokolade (20 Prozent)
    • Gebäck, Waffeln und Kekse (18 Prozent)
    • Pfirsiche aus der Dose (55 Prozent) 

    Bei besonders sensiblen Produkten wurden längere Übergangsfristen beim Zollabbau vereinbart. Hinzu kommen feste Zollkontingente. Zu den sensiblen Produkten gehören beispielsweise:

    • Käse (28 Prozent) - Zollabbau für 30.000 Tonnen
    • Milchpulver (28 Prozent) - Zollabbau für 10.000 Tonnen
    • Babynahrung (18 Prozent) - Zollabbau für 5.000 Tonnen

    Bessere Absatzchancen für hochwertige Produkte und regionale Spezialitäten

    Der Zollabbau steigert die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produzenten auf den Märkten Südamerikas. Zugutekommen dürfte dies insbesondere Herstellern von Milchprodukten, Säuglingsnahrung, Süßwaren und Frischobst, erwartet das BMEL. Qualitativ hochwertige Lebensmittel, insbesondere Bioprodukte, Nischenprodukte und spezialisierte Agrarwaren haben in den Ländern des Mercosur als Luxusprodukte gute Absatzchancen.

    Außerdem schützt das Abkommen insgesamt 357 geografische Herkunftsbezeichnungen aus der EU, darunter 28 traditionelle deutsche Produkte wie "Dresdner Christstollen", "Lübecker Marzipan" oder "Schwarzwälder Schinken" sowie Weine aus den traditionellen Anbaugebieten. Damit sind diese Produkte besser vor Nachahmung geschützt und können mit einem Premiumpreis vermarktet werden.

    Schutz der Bauern in der EU bei sensiblen Produkten

    In einigen Ländern der EU gibt es Widerstand der Bauern gegen das EU-Mercosur-Abkommen. Doch sensible Bereiche für die europäische Landwirtschaft werden weiterhin wirksam geschützt. Der Marktzugang in die EU wird bei Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol durch Quoten begrenzt. Diese lassen nur begrenzte Mengen an Agrarprodukten aus dem Mercosur zu niedrigen Zollsätzen oder zollfrei zu. Zudem sieht das Abkommen eine bilaterale Schutzklausel vor – für den Fall, dass hohe Importe europäische Bauern ernsthaft gefährden. Weiterführende Informationen bietet ein Factsheet der Europäischen Kommission.

    Von Gloria Rose | São Paulo

nach oben
Feedback
Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.