Markets International 3/25 I Polen I Wirtschaftsumfeld
Wahl mit Nebenwirkungen
Der Wahlsieg von Karol Nawrocki in Polen sorgt für einen politischen Richtungswechsel. Trotz wachsender Unsicherheit bleibt das Land für viele deutsche Unternehmen attraktiv.
22.09.2025
Von Christopher Fuß | Warschau
Eigentlich hätte Tobias Schüßler allen Grund zur Freude. Im Juni 2025 konnte sein Unternehmen Goldbeck Solar einen weiteren Photovoltaikpark in Polen fertigstellen. Die Anlage im westpolnischen Postomino liefert Strom für rund 46.000 Haushalte. „Polen zählt neben Deutschland und dem Vereinigten Königreich zu unseren drei wichtigsten Märkten“, sagt Schüßler, der bei Goldbeck Solar als Chief Operating Officer arbeitet. Doch die jüngste Präsidentschaftswahl trübt die Stimmung.
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Mit Karol Nawrocki übernimmt ein nationalkonservativer Kandidat aus den Reihen der PiS-Partei das Präsidentenamt. Im Wahlkampf machte Nawrocki Stimmung gegen Deutschland und gegen den Green Deal der EU. Die erneuerbaren Energien könnten die Kohle – immer noch der wichtigste Energieträger Polens – nicht ersetzen, behauptete Nawrocki. Für Unternehmen wie Goldbeck Solar, die auf den Ausbau grüner Technologien setzen, sind das keine guten Nachrichten.

Damit bleibt die politische Lage in Warschau angespannt. Es droht sogar politischer Stillstand: Der Präsident kann mit seinem Vetorecht nahezu jedes Gesetz stoppen – und Nawrocki hat bereits angekündigt, von diesem Instrument Gebrauch zu machen. Das PiS-Lager und das Regierungslager rund um Premierminister Donald Tusk stehen sich unversöhnlich gegenüber. Schon Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda, ebenfalls PiS-nah, hatte Projekte blockiert. Beobachter erwarten, dass Nawrocki noch kompromissloser agieren wird.
Auch Schüßler rechnet damit, dass dringend notwendige Reformen vorerst ausbleiben. Nach der Wahl fällt die Prognose des Topmanagers trübe aus: „Wir erwarten, dass sich unser Geschäft in Polen künftig langsamer entwickeln wird“, erklärt er.
Investoren bleiben Polen treu
Nicht alle Unternehmen teilen diese Sorge. Ewa Mikos, Leiterin Business Development bei Siemens Polska, gibt sich gelassen: „Wir wissen nicht, wie sich der neue Präsident bei konkreten Gesetzesvorlagen verhalten wird. Voreilige Diskussionen helfen da wenig.“ Siemens unterstützt polnische Firmen bei der Digitalisierung und Automatisierung – und das Geschäft läuft weiterhin gut. „Vor und nach der Wahl hat sich für uns nichts geändert. Die Wirtschaft in unseren Tätigkeitsbereichen entwickelt sich weiterhin stabil“, sagt Mikos.
Tatsächlich erlebt Polens Industrie derzeit eine Modernisierungswelle. Steigende Löhne zwingen Unternehmen zur Automatisierung – ein Trend, von dem Siemens profitiert. Auch Schüßler von Goldbeck Solar verliert die Hoffnung nicht. „Der polnische Markt ist für uns weiterhin attraktiv“, sagt er. Besonders dynamisch entwickeln sich stationäre Großspeicher. Diese Megabatterien speichern überschüssigen Strom aus Solar- und Windparks. „In letzter Zeit wurden zahlreiche Projekte genehmigt. Das eröffnet neue Geschäftschancen, die Einbußen in anderen Segmenten kompensieren könnten“, hofft Schüßler.
An Polens Standortvorteilen ändert die Präsidentschaftswahl aus Sicht von Goldbeck Solar wenig: „Es gibt verfügbare Flächen für Projekte, einen hohen Nachholbedarf beim Energiemix und einen verlässlichen Genehmigungsprozess“, zählt Schüßler auf.
Partnerschaft jenseits der Politik
Der Optimismus hat eine solide Grundlage: Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen entwickelten sich in den vergangenen Jahren sehr stark – unabhängig davon, wer in Warschau oder Berlin das Sagen hatte. Zwischen 2015 und 2023 wuchsen das Handelsvolumen und der Investitionsbestand deutscher Unternehmen in Polen trotz politischer Spannungen um fast das Doppelte. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit folgt anderen Regeln: Sie wird von Unternehmen geprägt, nicht von Politikern. Deutsche wie polnische Firmen wissen längst, wie gut sie sich ergänzen.
Die Entscheidungen fallen in Brüssel
Die Wahl von Karol Nawrocki zum Präsidenten der Republik Polen ist ein Rückschlag für Premierminister Donald Tusk. Dennoch wäre es falsch, die möglichen politischen Auswirkungen zu dramatisieren. Viele Reformen scheiterten in der Vergangenheit nicht nur am Veto des Präsidenten, sondern auch an Konflikten innerhalb der Regierung.
Die größten wirtschaftlichen Fragen werden ohnehin in Brüssel verhandelt: Wie geht es weiter mit dem Mercosur-Abkommen? Wie schützt Europa seine Industrie vor chinesischer Konkurrenz? Und wie gelingt der Spagat zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit? Das sind die Themen, die Entscheider aus der Wirtschaft umtreiben.
Deutschland sollte polnische Anliegen ernst nehmen – und gleichzeitig Allianzen mit anderen gleichgesinnten EU-Staaten schmieden. Denn nur wer zuhört und flexibel ist, kann in Brüssel überzeugen.