Wirtschaftsumfeld | Slowakei | Wirtschaftsstruktur
Autofabriken und ihre Zulieferer prägen die Wirtschaftsstruktur
Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist die Slowakei zum bedeutenden Zentrum des Fahrzeugbaus geworden. Andere Branchen entwickeln sich weniger dynamisch. Das West-Ost-Gefälle bleibt.
28.02.2024
Von Gerit Schulze | Slowakei
Gemessen an ihrer Wirtschaftskraft bewegt sich die Slowakei im unteren Drittel der 27 EU-Staaten. Mit rund 110 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt (BIP) rangierte sie 2022 auf Platz 63 weltweit und lag auf einem Niveau mit Oman und Ecuador. Die Wirtschaftsleistung im Nachbarland Tschechien ist etwa doppelt so groß. Dafür ist das BIP der Slowakei seit dem EU-Beitritt im Durchschnitt um fast einen Prozentpunkt pro Jahr schneller gewachsen.
Zuletzt konnte das Land wichtige neue Investoren aus den Bereichen Automotive, Wärmepumpenproduktion und Energie gewinnen. Dabei profitiert es von seiner Nähe zu den europäischen Wirtschaftszentren, von verfügbaren Baugrundstücken und den vergleichsweise günstigen Energiepreisen.
Dominanz der Fahrzeugindustrie nimmt weiter zu
Das ändert aber nichts daran, dass die Diversifizierung der slowakischen Wirtschaft nur langsam vorankommt. Im Gegenteil: Die Neuansiedlung von Volvo Cars als fünfter Fahrzeughersteller im Land zementiert die hohe Abhängigkeit von der Automobilindustrie.
Schon heute ist die Slowakei das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Produktion an Pkw (über 180 Autos pro 1.000 Einwohner). Die Branche trägt mehr als ein Zehntel zum Bruttoinlandsprodukt und über 40 Prozent zu den Exporterlösen bei. Eine erfolgreiche Transformation der Automobilindustrie hin zu emissionsfreien Antriebssystemen wäre für die Slowakei enorm wichtig.
Ausführliche Informationen zur Wirtschaft finden Sie in den Wirtschaftsdaten kompakt Slowakei.
Neue Investitionen trotz aktueller Schwächephase
Die Mitgliedschaft in der Eurozone erwies sich als starkes Argument für Auslandsinvestoren. Für deutsche Unternehmen war zudem die dynamische Fahrzeugindustrie der Slowakei ein wichtiger Grund, sich im Umfeld der Autofabriken als Zulieferer anzusiedeln.
Der Bestand der deutschen Direktinvestitionen belief sich Ende 2021 laut Bundesbank auf über 8,6 Milliarden Euro. Niederlassungen deutscher Unternehmen sorgen für 7 Prozent der Steuereinnahmen des slowakischen Staates. Das zeigen Zahlen des Beratungsunternehmens BMP Partners. Unter den zehn größten Steuerzahlern waren 2022 vier deutsche Konzerne: Volkswagen, Schaeffler, Lidl und Continental.
Verarbeitendes Gewerbe bleibt ein starker Wirtschaftsfaktor
Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung der Slowakei ist in den letzten zwei Jahrzehnten konstant geblieben - bei rund 23 Prozent. Während der Fahrzeugbau und damit verbundene Industriezweige wie die Produktion von Kunststoffen und Metallerzeugnissen seit dem EU-Beitritt zulegen konnten, verloren andere Branchen an Bedeutung. Dazu gehört die Herstellung von Lebensmitteln, Möbeln und Bekleidung.
Um das Wohlstandsniveau Westeuropas zu erreichen, wären neue, innovativere Wirtschaftszweige mit höherer Wertschöpfung nötig. Hier hinkt die Slowakei den anderen Staaten der Region hinterher. Der Anteil der Forschungsausgaben am BIP lag 2022 noch unter 1 Prozent. Damit war das Land Schlusslicht unter den Visegrád-Staaten. Die schwache Innovationskraft zeigt sich auch bei Start-ups und Risikokapital, wo die kleine Republik viel Nachholbedarf hat.
Immerhin haben IT-Dienstleistungen und die Softwareentwicklung ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung seit dem EU-Beitritt 2004 verdreifachen können. Inzwischen entstehen rund 3 Prozent der Wertschöpfung in diesem Bereich und damit mehr als in der Stahlindustrie. Zugelegt haben auch das Gesundheitswesen, Verwaltungsdienstleistungen und der Immobiliensektor. Der Transport- und Logistiksektor profitierte vom Boom der Automobilindustrie. Die Bauwirtschaft ist dank der regen Investitionstätigkeit stabil und steht für über 6 Prozent der Bruttowertschöpfung.
Bedeutung als Gas-Transitland verloren
Einen starken Rückgang verzeichnete der Energiesektor, denn die Slowakei büßte 2022 ihre Rolle als wichtiges Transitland für russisches Erdöl und -gas ein. Perspektivisch könnte die Energiesparte wieder zulegen und das Land ein Nettoexporteur von Strom werden. Die stabile und vergleichsweise günstige Energieversorgung ist schon heute ein Standortvorteil.
Die Stromerzeugung ruht vor allem auf fünf Atommeilern, ein sechster Block könnte 2024 hochgefahren werden. Auf die Kernkraft entfielen 2022 rund 60 Prozent der Stromerzeugung. Weitere 15 Prozent kamen aus der Wasserkraft und 23 Prozent aus Kohle und Gas. Ende 2023 ging das große Kohlekraftwerk Nováky vom Netz, 2024 soll die Anlage in Vojany folgen. Für Ausgleich könnten Gaskraftwerke und erneuerbare Energiequellen sorgen. Dank Förderung aus EU-Fonds sind größere Vorhaben beim Ausbau der Windkraft geplant.
Derzeit hängt die Slowakei noch komplett von russischem Kernbrennstoff für die des Landes Kernreaktoren ab. Verträge mit dem US-Unternehmen Westinghouse und mit der französischen Framatome über die Lieferung von Brennstäben laufen.
Sektoren | Anteil an der Bruttowertschöpfung 2022 | Anteil an den Beschäftigten 2022 |
---|---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 2,5 | 2,5 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 0,2 | 0,3 |
Verarbeitendes Gewerbe | 22,8 | 23,9 |
Energieversorgung | 1,4 | 1,0 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung | 0,9 | 0,9 |
Baugewerbe | 6,7 | 9,8 |
Dienstleistungen | 65,6 | 82,2 |
West-Ost-Gefälle löst sich nur langsam auf
In der Slowakei besteht immer noch ein starkes West-Ost-Gefälle. Die Hauptstadt Bratislava und ihr Umland gehören zu den wohlhabendsten Regionen in Europa. Dort entsteht über ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes, und die Wirtschaftsleistung pro Kopf entspricht der von Rheinland-Pfalz und Niedersachsen.
Auch andere Regionen wie Žilina oder Nitra, wo sich die Automobilindustrie konzentriert, haben sich überdurchschnittlich gut entwickelt. Doch je weiter es in den Osten des Landes geht, desto niedriger ist der Lebensstandard, verbunden mit schlechterer Infrastruktur und höherer Arbeitslosigkeit. Das führte zu starker Abwanderung vor allem junger, gut ausgebildeter Menschen.
Der Personalmangel in der Westslowakei animiert neue Investoren, sich häufiger im Osten ansiedeln. Dazu gehört Volvo Cars im Industriepark Valaliky bei Košice. Die staatliche Wirtschaftsförderung und die Infrastrukturpläne zielen darauf ab, Investoren verstärkt in den Osten zu lenken, um das Gefälle zu verringern.