Eine neue Monopolstruktur soll mehr Mittel für Ungarns Abfallwirtschaft mobilisieren. Die Investitionen steigen, Chancen entstehen bei Industrie- und Bioabfällen.
Ungarns nationaler Abfallwirtschaftsplan 2021 bis 2027 orientiert sich weitgehend an EU-weiten Zielvorgaben. Wie von der Europäischen Union vorgegeben, definiert der Plan unter anderem Quoten für das Recycling von Siedlungs- und Verpackungsabfällen. Zudem soll die Menge der auf Deponien entsorgten Siedlungsabfälle verringert und die Umweltbelastung reduziert werden. Eine erste Zwischenbilanz steht für das laufende Jahr an.
Ambitionierte Ziele, schleppende Umsetzung
Die Zwischenziele des nationalen Abfallplans sind ambitioniert – zumal Ungarn in fast allen Kategorien mit deutlichem Rückstand an den Start ging. Die Recyclingquote von Siedlungsabfällen lag 2023 bei lediglich 33,4 Prozent, also deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 48,2 Prozent. Besonders schwach schnitt Ungarn beim Recycling von Kunststoff- und Glasabfällen ab: Beide Abfallströme erreichten magere 23 Prozent, während der EU-Durchschnitt bei 41,5 Prozent für Kunststoff und 74,5 Prozent für Glas liegt.
Der EU-Monitoringbericht vom März 2025 kommt zum Schluss, dass Ungarn seine Recyclingziele bis 2025 voraussichtlich nicht erreichen wird. Gleiches gilt für das Ziel, die Deponierungsquote bis 2035 auf maximal 10 Prozent der Siedlungsabfälle zu senken. Einschätzungen lokaler Marktakteure gehen in die gleiche Richtung. Lediglich die Recyclingbilanz bei Kunststoff und Glas dürfte sich inzwischen merklich verbessert haben, da zum 1. Januar 2024 ein verpflichtendes Pfandsystem für Einweggetränkeverpackungen in Kraft trat.
Mehr als 50 Prozent des ungarischen Siedlungsabfalls wird deponiert Beseitigung von Siedlungsabfällen in Ungarn 2023, Anteil in Prozent| | Ungarn | EU*) |
|---|
| Deponierung | 54,3 | 23,0 |
| Energetische Behandlung | 12,2 | 24,8 |
| Recycling | 33,4 | 48,2 |
| Abfallbehandlung insgesamt | 100 | 96,2 |
* Durchschnitt der 27 EU-Mitgliedstaaten.Quelle: Eurostat 2025
Strukturreform schafft Abfallmonopol
Die schwache Abfallbilanz aber auch die finanzielle Schieflage der kommunalen Abfallbewirtschaftung veranlassten die Regierung im Jahr 2022 zu einer grundlegenden Reform des ungarischen Abfallsektors. Im Kern geht es um die Übertragung der Verantwortung für die Abfallverwaltung von den Kommunen auf den Staat, der wiederum eine Konzession für die Bewirtschaftung des Abfalls vergibt.
Den Zuschlag der öffentlichen Ausschreibung erhielt der ungarische Mineralölkonzern MOL, der am 1. Juli 2023 als alleiniger Konzessionsnehmer für die nächsten 35 Jahre die landesweite Bewirtschaftung aller Abfallarten – mit Ausnahme von Industrieabfällen – übernahm. Die Umsetzung erfolgt über die eigens gegründete Tochtergesellschaft MOHU.
Da MOHU ohne eigene Infrastruktur startete, übernahmen zunächst Subunternehmen Sammlung, Transport, Verarbeitung und Entsorgung. Siedlungsabfälle liegen weiterhin vor allem bei kommunalen Betrieben, während private Firmen andere Abfallarten – insbesondere Verpackungen, die unter das System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) fallen – sammeln und verwerten.
35
Jahre
beträgt die Laufzeit des Konzessionsvertrags von MOHU mit der ungarischen Regierung.
Reform belastet private Entsorger
Während kommunale Betriebe von der Reform finanziell profitieren, sehen sich private Entsorger im Nachteil. Der Verband der Umweltdienstleister (KSZGYSZ) kritisiert vor allem die kurzen Vertragslaufzeiten: Alle zwei Jahre müssen die Dienstleistungsverträge mit MOHU neu verhandelt werden – oft zu schlechteren Bedingungen. Das erschwere Investitionen und mache den Aufbau neuer Anlagen oder Technologien wirtschaftlich riskant.
Trotz der Unsicherheiten für private Dienstleister legten die Investitionen im Abfallsektor 2023 deutlich zu. Nach Angaben des ungarischen Statistikamts flossen rund 64 Millionen Euro in die Abfallbearbeitung – ein Plus von 23 Prozent zum Vorjahr. In die Abfallsammlung investierten Unternehmen etwa 50 Millionen Euro, 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Großteil der Mittel dürfte von MOHU stammen: Mit der Konzession ist MOL zu umfangreichen Investitionen verpflichtet, verwaltet im Gegenzug aber auch die im EU-Vergleich hohen EPR-Gebühren.
Hohe Kosten verursachte etwa der Aufbau des landesweiten Pfandsystems, das seit dem 1. Januar 2024 gilt. MOHU betreibt die Automaten selbst, während Konzessionspartner die Rücknahme von Flaschen und Dosen verarbeiten. Investiert wurde zudem in die Fuhrparks kommunaler Betriebe. Branchenkreisen zufolge hat sich MOHU mit der Konzession auch zum Bau einer modernen Müllverbrennungsanlage verpflichtet. Sie entsteht südlich von Budapest auf dem Gelände des Mutterkonzerns MOL.
Industrieabfall als Marktnische
Industrieabfall ist der einzige Abfallstrom, der nicht unter die Konzession von MOHU fällt. Die Sammlung und Verwertung erfolgt weiter nach freien Marktkriterien. In einem industriell geprägten Land wie Ungarn stellt die Bewirtschaftung von Industrieabfällen eine profitable Nische dar – sowohl für private als auch für kommunale Unternehmen.
Viele Kunden stammen aus der Automobilindustrie, für die neben der Entsorgung zunehmend auch das Recycling von Produktionsabfällen aus Kosten- und Nachhaltigkeitsgründen an Bedeutung gewinnt. Unternehmen, die ihr Portfolio entsprechend erweitern möchten, könnten sich für moderne Verwertungsanlagen "made in Germany" interessieren – nicht zuletzt, um anspruchsvolle Industriekunden mit hohen Umweltstandards zu überzeugen.
Über ein Drittel der ungarischen Industrieabfälle werden verwertet Behandlung von Industrie- und anderem Wirtschaftsabfall in Ungarn 2023, Menge in 1.000 Tonnen, Anteil in Prozent| | Menge | Anteil |
|---|
| Verwertung | 3.117 | 67,8 |
| Energetische Behandlung | 267 | 5,8 |
| Verbrennung ohne Energiegewinnung | 7 | 0,2 |
| Deponierung | 1.179 | 25,6 |
| Sonstige Behandlung | 27 | 0,6 |
| Insgesamt | 4.598 | 100,0 |
Quelle: Ungarisches Statistikamt (KSH) 2025
Bioabfalltrennung steht noch aus
Bei biologischen Abfällen steht Ungarn noch ganz am Anfang. Zwar gab es das Ziel, ab 2023 eine verbindliche Trennung von Bioabfällen einzuführen, davon ist Ungarn aber noch weit entfernt. Nach Zahlen des nationalen Statistikamts wurden 2023 lediglich 37,5 Prozent des gesamten Siedlungsmülls getrennt gesammelt. Abgesehen von einigen lokalen Pilotprojekten wird Biomüll in Budapest und den meisten anderen größeren Städten weiterhin kaum erfasst.
Landesweit sind weniger als eine Handvoll Biogasanlagen in Betrieb, ein flächendeckendes Sammelsystem fehlt. Für deutsche Anlagenbauer könnte sich hier mittelfristig ein Markt bieten. Angesichts der monopolistischen Strukturen birgt ein Markteintritt jedoch Risiken – vor allem bei größeren Projekten wie spezialisierten Verwertungsanlagen. Marktexperten raten daher zu Kooperationen mit etablierten lokalen Akteuren.
Von Kirsten Grieß
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Budapest