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Vereinigtes Königreich ist europäische KI-Spitze
Gute Noten für den KI-Standort und eine ambitionierte Vision machen die britische Insel auch für deutsche Entwickler von künstlicher Intelligenz (KI) interessant.
03.11.2025
Von Marc Lehnfeld | London
Die Metropole London und das Vereinigte Königreich sind eines der stärksten Ökosysteme für künstliche Intelligenz weltweit. Dafür sorgen Googles KI-Schmiede DeepMind, der Entwickler von Lösungen für autonomes Fahren Wayve und die britischen Niederlassungen von Microsoft, Anthropic, OpenAI und Meta AI. Im Global AI Index des Medienhauses Tortoise belegt die Insel im Jahr 2024 den 4. Platz hinter Singapur, den USA und China, vor Frankreich. Damit führen die Briten auch das europäische Ranking an. Die Kernkompetenzen des Königreichs liegen im Fachkräftepool, den rechtlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen und bei der Forschungslandschaft.
Das Vereinigte Königreich punktet bei Unternehmen mit einem entwicklerfreundlichen Regulierungsumfeld. Anders als in der EU gibt es keine einheitliche KI-Definition und -Regulierung, sondern fünf allgemeine Prinzipien für den sicheren Einsatz von künstlicher Intelligenz. Diese Prinzipien müssen die branchenzuständigen Regulierungsbehörden berücksichtigen, wenn sie Vorgaben für ihren Sektor entwickeln.
Deutsche Unternehmen nutzen britische KI-Potenziale
Deutsche Unternehmen haben das Potenzial erkannt und investieren in das KI-Ökosystem. Zu den bekanntesten Referenzen gehört der Drohnenhersteller Helsing, der in Plymouth eine über 400 Millionen Euro teure Helsing Resilienzfabrik baut. Hier werden Mini-U-Boote des Modells SG-1 Fathom für die britische Marine produziert. Das KI-gestützte System der Unterwasserdrohnen erkennt in seiner akustischen Umgebung feindliche Akteure.
Der Biotechnologiekonzern BioNTech wiederum etabliert entlang seines knapp 1,2 Milliarden Euro schweren Investitions- und Forschungsprogramms an seinem Londoner Standort auch einen konzernweiten AI Hub. Diesen gestaltet das vor einigen Jahren akquirierte Unternehmen InstaDeep. Der Prozessoptimierer Celonis aus München hat im Januar 2025 einen Kooperationsvertrag mit der britischen Regierung abgeschlossen: In dem Großprojekt bündelt das bayerische Unternehmen die rund 286 dezentralen IT-Systeme von rund 18 Ministerien und Behörden.
Staatlicher Aktionsplan setzt auf Infrastrukturaufbau
Um im weltweiten im KI-Wettlauf am Ball zu bleiben, hat die Regierung im Januar 2025 einen ambitionierten Plan vorgelegt. Im AI Opportunities Action Plan sind zwei große Handlungsfelder hervorzuheben:
- Staatliche Milliardeninvestitionen fließen in den Aufbau einer öffentlichen KI-Infrastruktur, vor allem in Rechenkapazitäten, Dateninfrastrukturen und die Qualifizierung von Fachkräften.
- Der Staat will seine Rolle als Anwender von KI nutzen, um die Kommerzialisierung der Branche voranzutreiben. Dazu gehört auch die Bereitstellung öffentlicher Trainingsdaten.
Über 2 Milliarden Euro für schnelle Rechnerleistungen
Der Ausbau der KI-Infrastruktur wird durch die UK Compute Roadmap von Juli 2025 konkretisiert. Innerhalb der nächsten zehn Jahre fließen umgerechnet über 2 Milliarden Euro aus dem Haushalt in den Aufbau von KI-exklusiven Rechenkapazitäten. Bereits 2025 beginnt mit der ersten Milliarde der Ausbau weiterer öffentlicher KI-Forschungsressourcen, der sogenannten "AI Research Resource" (AIRR).
Leuchtturmprojekt ist der Aufbau eines rund 863 Millionen Euro teuren, zweiten Supercomputers im Edinburgh Parallel Computing Centre (EPCC) an der University of Edinburgh. Insgesamt soll die öffentlich bereitgestellte Rechenkapazität für KI im Land bis 2030 von 21 auf 420 AI-ExaFLOPS verzwanzigfacht werden. Zur Einordnung: Der derzeit größte Supercomputer der Welt "El Capitan" in den USA hat 1,7 ExaFLOPS. Nach einem Bericht von Statista hatten die USA im März 2025 der Anzahl nach mit 5.426 Datenzentren die höchste Anzahl weltweit, gefolgt von Deutschland mit 529 und dem Vereinigten Königreich mit 523.
Neben dem Aufbau öffentlicher KI-Rechenkapazitäten will das Königreich auch den Aufbau einer kommerziellen Datenzentrenlandschaft schaffen, die ausländische Unternehmen ins Land lockt. Dafür sollen AI Growth Zones (AIGZs), für Datenzentren besonders geeignete Flächen, geschaffen werden. Optimierte Genehmigungsverfahren und zügige Netzanschlüsse sollen es KI-Investoren erlauben, die Zonen schnell zu erschließen. Die ersten zwei Cluster entstehen am Culham Campus südlich von Oxford, wo die UK Atomic Energy Authority (UKAEA) nun nach strategischen Investoren sucht, und in Newcastle mit den Ankerinvestoren NVIDIA, OpenAI und Nscale. Blackstone kündigte dort in Blyth bereits eine Investition von rund 11,5 Milliarden Euro für ein Datenzentrum an.
Staat wird als KI-Anwender zum Markttreiber
Zentraler staatlicher Akteur ist die Organisationseinheit "Sovereign AI Unit" im Ministerium für Wissenschaft, Innovation und Technologie (DSIT). Die Organisationseinheit ist mit einem Budget von 500 Millionen Pfund, rund 575 Millionen Euro, ausgestattet. Sie kann in Zusammenarbeit mit der British Business Bank und der staatlichen Agentur "Innovate UK" KI-Start-ups unterstützen, die die Handlungsfelder Rechenkapazität, Trainingsdaten und Talentförderung abdecken. Zudem kann sie im Public-Private-Partnership-Ansatz die Zusammenarbeit mit KI-Unternehmen organisieren. Im laufenden Jahr wurden bereits Partnerschaften mit Anthropic, Nvidia, Cohere und OpenAI geschlossen.
Seit 2018 hat die öffentliche Hand bereits über 1.300 Verträge über KI-Leistungen im Wert von umgerechnet knapp 4 Milliarden Euro geschlossen, wie der "AI Procurement Tracker" des Dienstleisters Tussell bis Juli 2025 zeigt. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2025 war das Auftragsvolumen mit 662,5 Millionen Euro höher als für das gesamte Vorjahr (552,8 Millionen Euro). Wertmäßig gingen die meisten Aufträge an Microsoft (circa 1,2 Milliarden Euro), Palantir (über 432 Millionen Euro) und Init (etwa 300 Millionen Euro). Hinter der Dominanz von Microsoft steckt die Beschaffung des Supercomputers für das britische Met Office im Projekt "Supercomputing 2020+", das im Mai 2021 an den US-Konzern vergeben wurde. In dem Projekt werden mit einem Gesamtvolumen von 1,4 Milliarden Euro über den Zeitraum 2021 bis 2032 die Supercomputer des staatlichen meteorologischen Instituts erneuert.
Die hohen öffentlichen KI-Budgets treffen auf eine andererseits hohe Staatsschuldenquote von rund 95 Prozent und hohe Staatsschuldenzinsen. Realisieren sich die anvisierten Effizienzgewinne durch die KI-Investitionen nicht, droht auch die Rolle des Staates als Enabler zu kippen.